Gestern bekam er die Büroschlüssel, ab heute ist Ignazio Cassis (56) Aussenminister der Schweiz. Er herrscht damit über ein Schlüsseldepartement, denn in den kommenden Jahren werden hier entscheidende Weichen gestellt – vor allem in der EU-Frage.
Cassis hat grosse Erwartungen geweckt
Cassis weiss um diese Bürde. Trotzdem hat er im Wahlkampf grosse Versprechungen gemacht. BLICK nimmt den neuen Bundesrat beim Wort. An diesen Ankündigungen werden wir Sie messen, Herr Cassis:
- «In der EU-Politik müssen wir den Reset-Knopf drücken»: Vom «vergifteten» Rahmenvertrag will Cassis nichts wissen. Er will einen Neuanfang in den Verhandlungen mit Brüssel. Nur: Cassis kann nicht nach eigenem Gutdünken schalten und walten. Verantwortlich ist der Gesamtbundesrat. Und der hat ein bestehendes Verhandlungsmandat. Zudem wird Brüssel sich nicht von einem Personalwechsel an der EDA-Spitze beeindrucken lassen. Cassis bleibt nur ein kommunikativer Neustart. Es muss ihm gelingen, im Inland mit neuen Begriffen Goodwill für eine Regelung mit der EU zu schaffen.
- Eine weitere grosse Ansage im EU-Dossier: «Die Guillotine-Klausel muss weg.» Gemäss dieser werden alle bilateralen Abkommen hinfällig, wenn ein Vertrag gekündigt wird. Ein Wegfall würde die Schweizer Position verbessern – die Probleme mit der Personenfreizügigkeit könnten freier verhandelt werden, ohne Schaden für die Schweizer Wirtschaft zu riskieren. Bloss: Die Personenfreizügigkeit ist einer der Grundpfeiler der EU. Brüssel wird dieses Pfand kaum aus der Hand geben.
Noch kein Termin mit Rom
- Vorwärtsmachen will der Tessiner in Sachen Italien: «Wir brauchen endlich ein Doppelbesteuerungsabkommen inklusive Grenzgängerabkommen!» Er ist überzeugt, dass ein italienischsprachiger Bundesrat hier mehr erreichen kann. Noch gibt es aber keinen Termin mit Rom, wie das Aussendepartement gestern auf BLICK-Anfrage mitteilte.
- Als Parlamentarier hat sich Cassis gegen mehr Geld für die Entwicklungshilfe ausgesprochen. Als Aussenminister kann er hier Nägel mit Köpfen machen und auf eine Erhöhung des Budgets verzichten. Wenn er sich gegen die eigenen Beamten durchsetzen kann, die natürlich mehr Geld wollen.
Widersprüchliche Signale
- Wie schwierig solche Versprechen sind, wird Cassis in der Eritrea-Frage erfahren. Er will einerseits, dass die Schweiz bald wieder Flüchtlinge aus dem ostafrikanischen Land dorthin zurückschickt, «die Eritrea-Geschichte muss endlich enden». Dazu soll die Schweiz eine Botschaft in Eritrea eröffnen. Die würde aber 750'000 Franken pro Jahr kosten. So wird das natürlich nichts mit dem bescheidenen Budget.
- Gemessen an seinen eigenen Versprechen muss sich Cassis zudem mit Simonetta Sommaruga (57) anlegen. Denn er lehnt «staatliche Vorgaben zu Lohngleichheit, Arbeitszeiterfassung und Geschlechterquoten ab». Anliegen, denen sein Vorgänger Burkhalter immer wieder zu einer Mehrheit in der Landesregierung verholfen hat. Das sollte nun der Vergangenheit angehören.
Droht ein Streit um die Burka?
- Auch mit FDP-Kollege Johann Schneider-Ammann (65) muss Cassis streiten. Verkündete er doch im Sommer, er stehe «für mehr Markt in der Landwirtschaft ein». Wie fest, wird sich schon bald zeigen: dann, wenn der Bundesrat die nächste Agrarreform an die Hand nimmt.
- Differenzen im Bundesrat dürfte es auch beim Burka-Verbot geben. Cassis befürwortet ein solches: «Verhüllung ist nur einmal im Jahr akzeptabel – beim Karneval.» Der Bundesrat hat sich bis anhin sehr skeptisch gegenüber einem Verbot geäussert. Es wird spannend sein zu beobachten, ob sich Cassis in der anstehenden Debatte über die Burka-Initiative durchsetzen kann.