Bundesrat Schneider-Ammann über Brexit, Widmer-Schlumpf und sein digitales Wissen
«Ich will unbedingt einen Deal mit den Briten»

Wirtschaftsminister Schneider-Ammann kämpft gegen Donald Trump für den Freihandel. Sein Ziel: ein Freihandelsabkommen mit Grossbritannien. Im Streit um die Unternehmenssteuerreform III greift er seine ehemalige Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf an.
Publiziert: 29.01.2017 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 17:31 Uhr
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Bundesrat Johann Schneider-Ammann (64) letzten Donnerstag vor seinem Büro im Bundeshaus Ost.
Foto: Valeriano Di Domenico
Interview: Marcel Odermatt und Simon Marti

SonntagsBlick: Herr Bundesrat, die Schweizer Exporte erreichten 2016 einen Höchststand. Haben wir den Frankenschock überstanden?
Johann Schneider-Ammann: 
Wir sind gut unterwegs, innovationsfähig, leistungsbereit. Und die Rahmenbedingungen stimmen. Das Problem ist: Um die Marktanteile zu halten, haben viele Unternehmen ihre Margen gesenkt. Dieses Geld fehlt nun, um weitere Investitionen tätigen zu können.

Die Schweiz verdient jeden zweiten Franken im Export. US-Präsident Donald Trump will Freihandelsverträge, die nur den USA nützen. Ist das eine Gefahr für unser Land?
Donald Trump ist ein Business-Mann ...

... wie Sie!
(Lacht) Ja, und als Geschäftsmann macht er niemandem Geschenke. Aber er weiss, dass stabile Geschäftsbeziehungen wichtig sind. Dabei kann nicht nur eine Seite profitieren.

Finden Sie es denn gut, wenn Autokonzerne in Mexiko produzieren und amerikanische Arbeiter ihren Job verlieren?
So einfach ist es natürlich nicht: In den USA produzierte Autos sind für die Konsumenten deutlich teurer. Freihandel bleibt das richtige Konzept. Aber ich war immer der Meinung, dass er ökonomischen, sozialen und ökologischen Kriterien genügen muss. Dass Trump kritische Fragen stellt, kann ich durchaus verstehen. Die USA können es sich leisten, ein Powerplay aufzuziehen: Das riesige Land verfügt über einen gewaltigen Binnenmarkt. Das ist bei uns völlig anders. Aber sich vom Welthandel zu isolieren, können sich auch die Vereinigten Staaten nicht leisten.

Wie stehen die Chancen für ein Schweizer Freihandelsabkommen mit den USA?
Nach der EU sind die USA unser zweitwichtigster Handelspartner. Wir sind interessiert an einem Abkommen mit den Vereinigten Staaten. Wir warten ab, was mit dem TTIP-Freihandelsabkommen zwischen EU und USA passiert. Dort könnten wir uns anhängen. Wenn aus TTIP nichts wird, entscheiden wir über das weitere Vorgehen.

Grossbritannien verabschiedet sich aus der EU. Befürworten Sie einen Deal mit den Briten?
Unbedingt. Ich habe am WEF in Davos Handelsminister Liam Fox getroffen. Er ist an einem Übereinkommen mit der Schweiz sehr interessiert. Mein Ziel ist klar. Nach dem Austritt von Grossbritannien darf kein Tag vergehen, ohne dass wieder eine Regelung mit dem Inselreich in Kraft tritt. Sie muss mindestens gleich gut sein wie heute. Wir wollen einen nahtlosen Übergang.

Wann beginnen die Verhandlungen?
Solange Grossbritannien Mitglied der EU ist, kann es keine neuen Handelsverträge abschliessen. Aber es ist klar, dass wir im Hintergrund parallel zu den Austrittsgesprächen bereits Diskussionen führen können, wie wir unsere Wirtschaftsbeziehungen künftig gestalten wollen. Es wäre sicher ein positives Signal und würde mich persönlich sehr freuen, wenn wir als eines der ersten Länder mit Post-Brexit-Britannien ein Freihandelsabkommen hätten. Darauf arbeiten wir hin.

Kürzlich hat sich eine ehemalige Bundesrätin in den Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III eingeschaltet.
Wir passen unser Steuersystem nicht freiwillig an, sondern aufgrund des Drucks von aussen. Die Reform will den teilweise sehr mobilen Gesellschaften, rund 24'000 Firmen, ein Angebot machen, um sie im Land zu halten. Frau Widmer-Schlumpf hat diese Reform massgeblich mitbestimmt. Ich kann nicht verstehen, dass deren Architektin nun eine Reform nicht mehr mitträgt, die sie im Amt bedingungslos vertreten hat.

Dennoch: Es bleibt der Vorwurf, die bürgerliche Mehrheit im Parlament habe übermarcht.
Selbst wenn es so wäre, wäre es das Ergebnis eines demokratischen Prozesses.

War es so?
Nein. Man orientierte sich mehr am Markt, als es seinerzeit gewisse Kreise um die Finanzministerin gewollt haben. Aber man tat dies nicht unbedacht, sondern weil man verhindern wollte, dass Unternehmen, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen die Schweiz verlassen.

Diese Marktnähe entbehrt aber politischen Fingerspitzengefühls – und gefährdet nun die Vorlage an der Urne.
Die Diskussion nimmt nochmals Fahrt auf. Nicht akzeptabel ist aber, wider besseren Wissens Falschaussagen zu verbreiten. Die meisten grossen Firmen werden nach einem Ja stärker zur Kasse gebeten. Sonderarrangements für diese Unternehmen wird es künftig nicht mehr geben.

Der Mittelstand wird die Zeche nicht zahlen müssen?
Die kleineren und mittleren Firmen werden in der Tendenz nicht mehr zahlen.

Und die Privatpersonen?
Das kann ich nicht einschätzen. Der Plan war aber nie, dass Privatpersonen die Ausfälle bei den Unternehmen decken müssen. Wenn wir den Standort stärken, ziehen wir auch neue Unternehmen an. Damit steigen die Einnahmen.

Was passiert, wenn die Reform nicht durchkommt?
Konkret hat mir niemand mit einer Abwanderung gedroht. Aber ich besuche unter anderem immer wieder grosse Handelsfirmen in Genf. Sie machen Milliardenumsätze, stellen Tausende Arbeitsplätze und zahlen Steuern. Die sagen immer: Wir warten nun ab bis im Februar und sehen. Wenn die Schweiz bis dahin die USR III angenommen und ihr Verhältnis zur EU geklärt hat, dann bleibt sie ein sehr attraktiver Standort. Mit anderen Worten: Sie beurteilen die Lage dauernd. Und die weltweite Konkurrenz tut alles, um sie zu sich zu holen.

Diese Woche haben Sie sich mit Google-Chef Eric Schmidt getroffen. Was haben Sie besprochen?
Schmidt ist von der Schweiz begeistert, er ist beeindruckt von der ETH und der Infrastruktur.

Mit welchen Konsequenzen aus der Digitalisierung rechnen Sie für die Schweiz?
Die Menschen hatten immer Angst vor grossen Umwälzungen. Aber nach jeder industriellen Revolution realisierte man: Der Wohlstand wuchs. Ich nehme die Ängste sehr ernst und will den starken Wandel nicht kleinreden. Aber die Digitalisierung bringt auch grosse Chancen. Die Welt wird in zehn oder zwanzig Jahren eine ganz andere sein – aber keine schlechtere.

Im Rahmen der Initiative DigitalSwitzerland forderte FDP-Ständerat Ruedi Noser für die kommenden zehn Jahre zwei Milliarden für die Hochschulen. Reicht das?
Das Signal ist richtig, wir müssen uns der Herausforderung jetzt stellen, nicht erst in einigen Jahren. Was das finanziell heisst, steht nicht fest.

Müsste man nicht schon früher beginnen? Sollen Primarschüler programmieren lernen?
IT-Kenntnisse werden immer wichtiger. Das muss auch in der Schule ein Thema sein. Für die Volksschule bestimmen das die Kantone. Die Jungen wachsen ja mit der Digitalisierung auf. Ein solches Gerät (zeigt auf ein iPhone) beherrscht mein dreijähriger Enkel so gut, wie ich es nie tun werde. Das ist doch ein wahnsinniger Fortschritt!

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