Eigentlich müsste CVP-Bundesrätin Viola Amherd (57) ihre Stirn in Sorgenfalten legen – angesichts der negativen Wahlprognosen für ihre Partei. Beim Besuch von BLICK in ihrem Büro im Bundeshaus Ost wirkt sie aber fit und aufgestellt. Noch immer schwärmt sie von der Badminton-WM in Basel, die sie am Wochenende besucht hat. Angesichts der sommerlichen Temperaturen lässt sie es sich nicht nehmen, den Journalisten eigenhändig ein Glas Mineralwasser einzuschenken.
BLICK: Vor einem Jahr hätten Sie fast auf eine Bundesratskandidatur verzichten müssen, weil Sie wegen Nierensteinen im Spital lagen. Was geht Ihnen beim Gedanken daran durch den Kopf?
Viola Amherd: Daran denke ich gar nicht mehr! Mir geht es gesundheitlich sehr gut. Es verwundert mich sogar, wie gut ich zwäg bin nach der damals schwierigen Situation. Es war lästig und schmerzhaft, aber es war einfach kurierbar. Viele Menschen sind mit ganz anderen Krankheiten konfrontiert.
Einen Verzicht würden Sie heute demnach bereuen?
Auf jeden Fall.
Sie wurden schliesslich locker gewählt. Und dann die Überraschung: Verteidigungsministerin!
Das Verteidigungsdepartement, das VBS, war tatsächlich nicht meine erste Wahl und die Thematik war mir nicht sehr nahe. Doch ich habe mich gut in die Dossiers eingearbeitet und gesehen, wie spannend das VBS ist. Ich wurde auch sehr gut aufgenommen. Es gefällt mir super.
Was gefällt Ihnen besonders?
Die Vielfalt. Ich habe nämlich nicht gerne Routine. Und mir gefällt die Möglichkeit, neue Impulse zu setzten und die Sache von einer anderen Seite her zu betrachten. Das ist eine Riesenchance.
Sie sind die erste Frau im VBS. Was hat sich damit im Departement geändert?
Es ist bestimmt eine neue Situation für alle. Eines ist mir an den ersten Sitzungen mit den Ämtern aufgefallen: Sie haben darauf hingewiesen, dass sie noch zu wenige Frauen hätten, aber auch gleich auf ihre Frauenförderungsprojekte aufmerksam gemacht. Die Sensibilität ist mit einer Frau an der Spitze offenbar gestiegen.
Hat die Frauenförderung schon konkret Früchte getragen?
Durchaus. Dass der Bundesrat Monica Duca Widmer zur Verwaltungsratspräsidentin der neuen Ruag-Beteiligungsgesellschaft ernannt hat, ist ein erstes Resultat. Wir wollen aber vor allem auch den Frauenanteil in der Armee erhöhen. Dazu habe ich eine Arbeitsgruppe eingesetzt.
Die Offiziersgesellschaft hat Ihnen ein Vier-Punkte-Programm unterbreitet, das mehr Werbekampagnen und Ausbildungsgutschriften beinhaltet. Was machen Sie damit?
Ich freue mich, dass die Offiziersgesellschaft den Ball aufgenommen hat und sich aktiv einbringt. Sämtliche Vorschläge werden in der Arbeitsgruppe geprüft. Weiter arbeiten wir an neuen Berufsbildern für die Armee.
Berufsbilder extra für Frauen?
Nein, wir wollen die Berufsmilitär-Karriere für beide Geschlechter attraktiver gestalten. Denken Sie nur an die langen Arbeitszeiten oder Versetzungspflichten – da wird es mit Familie schwierig. Es braucht flexiblere Arbeitszeiten. Und es sollen zwei Personen zusammen eine Rekrutenschule führen können.
Jobsharing für Kommandanten also?
Ja, warum nicht? Für solche Modelle bin ich offen. Wollen wir ein attraktiver Arbeitgeber sein, müssen wir in diese Richtung gehen – sonst kommt niemand mehr zu uns. Nächsten Frühling werden wir unsere Vorschläge unterbreiten.
Wie sieht es bei der Suche nach dem neuen Armeechef aus? Haben sich da auch Frauen beworben?
Der Prozess läuft und im September werde ich dem Bundesrat einen Vorschlag unterbreiten. Zu möglichen Kandidaturen sag ich jetzt noch nichts.
Ihr wichtigstes Geschäft ist der Kampfjet-Kauf. Fürchten Sie sich vor einem Debakel wie beim Gripen 2014?
Ich habe Respekt vor der Volksabstimmung, bin aber optimistisch. Wichtig ist Transparenz. Wir müssen der Bevölkerung darlegen, wie der Beschaffungsprozess abläuft. Und klar aufzeigen, dass es nicht nur um einen Teilersatz, sondern grundsätzlich um das Weiterbestehen unserer Luftwaffe geht. Ein Nein zum Planungsbeschluss bedeutet das Ende unserer Luftwaffe.
Sie übertreiben! Die bestehende Flotte müsste halt länger fliegen.
Die aktuelle Flotte ist veraltet, der Betrieb wäre mit unverhältnismässig hohen Kosten verbunden und völlig widersinnig.
Das Volk soll nur über das Kostendach abstimmen, hat aber zum Jet-Typ nichts zu sagen. Damit kauft man die Katze im Sack.
Welche Marke auf dem Jet steht, ist nicht entscheidend. Es eignen sich alle Flugzeuge, die derzeit zur Auswahl stehen. Ob Renault oder Volkswagen, zentral ist, dass wir den für unsere Ansprüche idealen Jet zu einem guten Preis erhalten, um den Schutz der Schweiz zu gewährleisten.
Wollen Sie damit eine Schlammschlacht um den richtigen Typ verhindern, wie das beim Gripen der Fall war?
Ehrlich gesagt: Ich verstehe von den einzelnen Typen nichts. Und die meisten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auch nicht. Es handelt sich um hochkomplexe, technische Systeme. Die Auswahl des richtigen Kampfjets für unser Land müssen wir deshalb den Experten überlassen. In diese müssen wir vertrauen, sonst können wir nichts mehr beschaffen. Und übrigens hat auch das Parlament bereits beschlossen, dass es eine Abstimmung über den Grundsatz braucht und nicht über den Typ.
Sie wollen ein Kostendach von sechs Milliarden Franken. Wird das Parlament noch daran herumschrauben?
Es wird sicher noch den einen oder anderen Antrag nach oben oder unten geben. Für mich ist wichtig, dass wir den Kauf über das ordentliche Budget der Armee finanzieren und keinen zusätzlichen Kredit sprechen müssen. Wir zwacken das Geld damit nicht einem anderen Bereich wie der Landwirtschaft oder der Kultur ab.
Wie wollen Sie dem Volk den Sechs-Milliarden-Deal schmackhaft machen, nachdem Ueli Maurer schon mit einem Dreieinhalb–Milliarden-Geschäft gescheitert ist?
Es ist nicht das Gleiche. Damals ging es mit dem Gripen nur um einen Teilersatz der Flotte. Jetzt geht es auch noch um den Nachfolger für den FA/18. Der Gesamtersatz kostet mehr. Meine Aufgabe ist es zu erklären, dass die Sicherheit der Bevölkerung diesen Preis wert ist.
Hilft Ihnen da der Frauenbonus, weil es Kampfjets bei den militärkritischeren Frauen schwerer haben als bei Männern?
Ich glaube nicht, dass Frauen für ein Geschäft stimmen, nur weil eine Frau dieses vertritt. Frauen schauen stärker auf die Sache, darum müssen wir erst recht die Fakten darlegen und die Notwendigkeit des Jetkaufs. Sicherheit ist für viele Frauen ein wichtiges Thema.
Oder holen Sie sogar die Linke mit einem Zückerli ins Boot? Sie könnten wie beim AHV-Steuer-Deal ein Paket schnüren und den Kampfjet-Kauf mit einem grosszügigen Vaterschaftsurlaub kombinieren.
(Lacht) Es wird kein solches Päckli geben. Ich habe zwar den AHV-Steuer-Deal unterstützt, bin grundsätzlich aber keine Anhängerin solcher Pakete. Das Stimmvolk soll frei abstimmen können.
Steht der Abstimmungstermin schon fest?
Wenn alles reibungslos läuft, können wir nach unserem Fahrplan am 27. September 2020 darüber abstimmen.
Also in etwas mehr als einem Jahr. Noch ist es aber ruhig in Sachen Kampfjets. Wieso?
Wir haben aus dem gescheiterten Gripen-Kauf gelernt. Jetzt ist klar, dass wir am selben Strick ziehen müssen. Ich mache bei jeder internen Sitzung darauf aufmerksam, dass wir uns nicht in Detailfragen verstricken dürfen. Für diese Fragen haben wir Spezialisten. Aber ich erwarte noch etliche Störmanöver bis nächsten September.
Sie sind mit Karin Keller-Sutter neu im Bundesrat. Man hat das Gefühl, zusammen mit Simonetta Sommaruga gäben die Frauen im Bundesrat den Ton an.
Ich erlebe den Bundesrat wirklich als Kollegialbehörde, in der sich jedes Mitglied einbringt. Man ist nicht immer gleicher Meinung, hoffentlich auch nicht. So wird diskutiert. Die Stimmung ist gut.
Der Bundesrat geht also wieder gemeinsam Essen nach seiner Sitzung?
Ich weiss nicht, was früher war. Heute gehen wir immer zusammen zum Zmittag, ja. Ich finde das auch wertvoll. Vor der Sitzung trinken wir schon einen Kaffee zusammen, und wenn es drin liegt, gibt es auch eine gemeinsame Pause – bei Wetter wie heute auf der Terrasse. Auch auf dem Bundesratsausflug hab ich mich sehr wohlgefühlt.
In zwei Monaten sind Wahlen. Wie stark beeinflusst das Ihre Arbeit?
Kaum, ich betrachte die Geschäfte nicht parteipolitisch, sondern aus Departementssicht. Das Einzige ist, dass ich im Gegensatz zu vorher bis zum Wahltermin hin keine Parteiveranstaltungen mehr besuche. Die beste Werbung für meine Partei ist sowieso, wenn ich meine Arbeit gut mache.
Machen Sie sich Sorgen um Ihre Partei? Es drohen der CVP Verluste – auch im Wallis.
Mir ist meine CVP wichtig. Ich hoffe natürlich, dass sie gut abschneidet. Nicht für mich persönlich, sondern um im Parlament gute Lösungen zu finden. Im Ständerat werden wir stark bleiben. Abgerechnet wird im Oktober.
Aus Ihrer Partei hören wir Kritik, andere Bundesräte pflegten einen engeren Austausch mit den Parteigremien als Sie. Was ist da dran?
Ich fahre eine saubere Linie. Und ja, ich rede nicht über vertrauliche Bundesratsgeschäfte. Das kann man nicht. Aber ich treffe mich wöchentlich mit Gerhard Pfister.
Wenn die Grünen die CVP überholen würden, wackelte Ihr Sitz. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Nein. Das Parlament ist frei, zu wählen, wen es möchte. Wenn es lieber jemanden der Grünen will, ist das so. Aber schauen Sie, wie lange die CVP und die SVP nicht im Bundesrat waren, obwohl sie die Stärke dazu hatten. Es ist darum fraglich, ob das Parlament die Zeit reif hält für einen Grünen-Bundesrat.
Sie kennen ja die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Was erwarten Sie von ihr?
Ja, ich habe sie schon getroffen und als Sachpolitikerin kennengelernt. In ihrer neuen Funktion muss sie aber die EU-Interessen vertreten. Sie wird keine Wunder bewirken können in den Beziehungen zu uns.
Sie erhoffen sich also keine Verbesserung in den Beziehungen zur EU?
Doch, wenn die Brexit-Geschichte dann irgendwann mal erledigt ist, hoffe ich sehr, dass die Schweiz wieder ins Gespräch mit der EU kommt. Aber klar ist: Wenn wir beim Rahmenabkommen eine Lösung wollen, müssen beide Seiten, die EU und die Schweiz, zu einem Schritt bereit sein. Leicht wird es nicht.