BLICK: Frau Sommaruga, Sie kritisieren die Durchsetzungsinitiative scharf. Warum sehen Sie die Demokratie in Gefahr?
Simonetta Sommaruga: Diese Initiative bricht mit den Grundregeln unserer direkten Demokratie. Seit über 100 Jahren ist es in unserer direkten Demokratie so: Die Bevölkerung entscheidet bei Abstimmungen. Das Parlament macht die Gesetze. Diese Initiative will das ändern. Neu soll die Bevölkerung auch noch selber die Gesetze machen. Da wird etwas völlig auf den Kopf gestellt.
Viele Leute sind aber noch immer unzufrieden mit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative. Warum sollen sie trotzdem darauf verzichten, selber die Gesetze zu schreiben?
Die Ausschaffungsinitiative ist umgesetzt, die Gesetze sind verschärft. Wer damit nicht einverstanden ist, hätte das Referendum ergreifen können. Das hat niemand getan, auch die Initianten nicht. Die Initiative umgeht das Parlament und schaltet die Gerichte aus. Auch die Anliegen der Kantone werden nicht berücksichtigt. Diese sprechen denn auch von einem Chaos, das die Durchsetzungsinitiative auslösen würde.
Viele BLICK-Leserinnen und -Leser kritisieren in Kommentaren und Leserbriefen aber, der Bundesrat und das Parlament hätten ihren Job nicht gemacht.
Das Parlament hat das Gesetz zur Ausschaffung massiv verschärft. Damit ist erfüllt, was die Bevölkerung mit dem Ja zur Ausschaffungsinitiative gefordert hat. Die Durchsetzungsinitiative wurde lanciert, bevor das Parlament seine Arbeit überhaupt beginnen konnte. Das ist ein Bruch mit unseren Spielregeln.
Sind Sie enttäuscht über das dürftige Engagement der Wirtschaftsverbände in diesem Abstimmungskampf?
Die Initiative geht zu weit, weil sie zwei grosse Trümpfe der Schweiz schwächt: Rechtssicherheit und Stabilität. Beides ist für die Wirtschaft zentral.