Maskiert im Kriegsland
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Sommaruga in der Ukraine:Der erste Staatsbesuch in Europa während der Pandemie

Bundespräsidentin Sommaruga besucht Ukraine
Maskiert im Kriegsland

Es ist der erste Staatsbesuch während der Pandemie in Europa. Bundespräsidentin Sommaruga besucht mit der Ukraine ein Land im Krieg – der durch Corona vollends vergessen zu gehen droht.
Publiziert: 21.07.2020 um 23:31 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 15:00 Uhr
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Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga kommt in Kiew an. Aus Sicherheitsgründen trug sie auch während des Flugs von Bern-Belp in die Ukraine eine Maske. Rechts im Bild der Schweizer Botschafter in der Ukraine, Claude Wild.
Foto: Niels Ackermann/Lundi13
Benno Tuchschmid

Die Bundespräsidentin ist maskiert. Während des Flugs im Bundesratsjet von Bern-Belp nach Kiew. Als sie in der ukrainischen Hauptstadt am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegt. Und auch beim offiziellen Empfang durch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (42). Immer ist da eine Maske im Gesicht von Simonetta Sommaruga (60).

Nein, die Reise von Bundespräsidentin Sommaruga in die Ukraine ist kein normaler Staatsbesuch. Es ist europaweit der erste seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Und der erste Besuch einer Schweizer Bundespräsidentin in der Ukraine überhaupt. Am zweiten Tag kam es zu einem Zwischenfall.

Sommaruga war am Dienstagabend schon auf dem Weg zum Staatsdiner – und musste umkehren. Der Anlass wurde kurzfristig abgesagt. Ein Schwerbewaffneter hatte am Morgen in der westukrainischen Grossstadt Luzk einen Linienbus gekapert und Geiseln genommen. Da die Geiselnahme andauerte, verzichtete Präsident Wolodimir Selenski am Abend auf das Festessen. Offenbar verhandelte er persönlich mit dem Geiselnehmer und konnte die Freilassung dreier Menschen erwirken. Später stürmten Polizisten den Bus und nahmen den Kidnapper fest, alle Geiseln kamen frei.

Bevor die Geiselnahme dazwischen kam, sagt Bundespräsidentin Sommaruga an der Pressekonferenz im Marienpalast, dem ukrainischen Präsidentensitz, die Pandamie habe die internationale Zusammenarbeit in den letzten Monat erschwert – und erschwere sie noch immer. Persönliche Kontakte seien aber enorm wichtig, deshalb sei sie froh, dass der Besuch nun stattfinde: «Es war höchste Zeit!»

Der letzte Krieg Europas

Doch der Besuch Sommarugas ist nicht nur aus seuchentechnischen Gründen sensibel. Die Ukraine ist ein Land im Krieg. Seit 2014 halten russisch kontrollierte Separatisten gewaltsam den Osten des Landes unter ihrer Kontrolle.

Über 13'000 Menschen sind bisher im einzigen offenen Krieg Europas gestorben. Sie wurden Opfer geopolitischer Interessen. Anders als zum Beispiel im Balkankrieg gibt es im Donbass, der betroffenen Region im Osten, keinen ethnischen Konflikt. Die heute durch eine Frontlinie getrennten Gebiete waren einst ein und dieselbe Region: Noch heute überqueren täglich 30'000 Menschen an den wenigen Checkpoints die sogenannte Kontaktlinie. Und gleichzeitig sterben weiterhin Menschen – vor allem durch Artilleriebeschuss.

Schweiz versucht Frieden zu stiften

Die Schweiz spielt in der Lösung des Ukraine-Konflikts seit Beginn eine Rolle als Vermittlerin. 2014 war Ex-Aussenminister Didier Burkhalter Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unter deren Vermittlung ein weitreichendes Vertragswerk ausgehandelt wurde. Ziel der Abkommen: Waffenstillstand, Gefangenenaustausch, Wahlen, Frieden.

Der Staatsbesuch in der Ukraine ist deshalb auch politisch brisant.

Simonetta Sommaruga sagt an der Pressekonferenz mit Präsident Selenski: «Die Ostukraine ist eine Priorität der Schweizer Friedenspolitik.» Sie erwähnt in ihrer Rede zwei Gefangenenaustausche, die von Schweizer Diplomaten mit ermöglicht wurden. Einer im Dezember 2019, der letzte im April dieses Jahres. Rund 600 Kriegsgefangene wurden bisher ausgetauscht. Doch noch immer sind Hunderte unter teils menschenunwürdigen Zuständen auf beiden Seiten eingekerkert. Gemäss Präsident Selenski soll es möglichst bald wieder einen solchen Austausch geben.

Doch die Person, an der kein Weg vorbeiführt, ist Wladimir Putin. Und gemäss Experten hat er kein Interesse an einem baldigen Ende des Kriegs.

Am Donnerstag fliegt Sommaruga ins Konfliktgebiet

Die Wahrheit ist allerdings auch, dass es für eine Lösung den Druck der grossen europäischen Länder bräuchte. Und die haben im Moment drängendere Probleme. Covid-19 zum Beispiel.

Involvierte Schweizer Diplomaten mit denen BLICK gesprochen hat, sind frustriert. «Den aktiven Konfliktparteien geht es nur um ihre Interessen, und überhaupt nicht um die Menschen», sagt einer unter der Bedingung der Anonymität.

Am Donnerstag wird Sommaruga ins Konfliktgebiet an der russischen Grenze fliegen. Diplomatisch gesehen ist diese Reise sensibel. Von Russland dürfte sie mit Argusaugen beobachtet werden. Entsprechend zurückhaltend gab sich Simonetta Sommaruga an der Pressekonferenz nach ihrem Treffen mit Selenski. Sie betonte vor allem das humanitäre Engagement der Schweiz im Krisengebiet.

Kurz vor Ende der Pressekonferenz stellt Präsident Selenski in Aussicht, dass es im Osten schon bald zu einer Waffenruhe kommen könnte. Dann verschwinden er und Sommaruga durch eine Türe im hinteren Teil des Saals.

Das klingt hoffnungsvoll. Die Realität dürfte allerdings ganz anders aussehen. Auf einen Waffenstillstand hatten sich die Konfliktparteien schon 2014 geeinigt. Eingehalten wird er bis heute von niemandem. Gerade erlag wieder ein Soldat seinen Verletzungen im Donbass. Er wird nicht der letzte sein.

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