«Wir haben so rasch gehandelt wie kaum ein anderes Land»
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Bundespräsidentin Sommaruga:«Wir haben so rasch gehandelt wie kaum ein anderes Land»

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur Wirtschaftshilfe
«Wir haben so rasch gehandelt wie kaum ein anderes Land»

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga erklärt, warum eine Isolation von Risikogruppen für sie nicht in Frage kommt. Und warum jetzt auch die Kantone gefragt sind.
Publiziert: 11.04.2020 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2020 um 13:24 Uhr
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Die Schweiz scheint den ersten Höhepunkt in der Coronakrise überschritten zu haben. Zeit für ein Gespräch mit SP-Bundesrätin Sommaruga.
Foto: Thomas Meier
Interview: Camilla Alabor und Simon Marti

Frau Bundespräsidentin, die Neuansteckungen mit dem Coronavirus gehen zurück. Hat die Schweiz das Gröbste überstanden?
Simonetta Sommaruga: Ich hoffe es. Vor dreieinhalb Wochen sagte ich: Es muss ein Ruck durch unser Land gehen. Und dieser Ruck hat stattgefunden. Zum Glück! Die Ausbreitung des Virus verlangsamt sich, die Spitäler sind nicht überlastet. Jetzt ist entscheidend, dass wir die Distanz- und Hygiene­regeln weiter einhalten, gerade über die Ostertage. Dann können wir erste Lockerungen vornehmen.

Die Lockerungen – von vielen sehnlich erwartet – sollen vor Ende Monate möglich sein. An welche Bereiche denken Sie da?
Erst einmal darf es keine Zunahme der Ansteckungen mehr geben. Und für jene Bereiche, in denen wieder gearbeitet wird, braucht es ein Schutzkonzept. Nicht dass wir eine neue Welle auslösen. Welche Branchen konkret unter die Lockerungen fallen, wird der Bundesrat kommende Woche entscheiden.

Es ist paradox: Trotz der Corona-Krise mussten manche Spitäler Kurz­arbeit beantragen. War der Bund übervorsichtig?
Wir waren weder übervorsichtig noch leichtsinnig. Wir waren realistisch. Die Schweiz hat ein hervorragendes Gesundheitssystem. Was notwendig war in der Vorbereitung, das wurde gemacht, dank dem unglaub­lichen Einsatz des Per­sonals.

Wäre es nicht denkbar, Risikogruppen zu isolieren, während der Rest der Gesellschaft wieder in die gewohnten Abläufe zurückkehrt?
Jetzt kommt eine Phase, in der es darum geht, Lockerungen mit einem Schutzkonzept zu begleiten. Da geht es um Fragen wie: Wie setzen wir Masken ein? Wie viel testen wir? Aber in der Schweiz sogenannte Risiko­gruppen vollkommen zu isolieren, ist für mich unvorstellbar.

Weshalb?
Wir sprechen von sehr vielen Menschen. Da sind zunächst alle, die über 65 Jahre alt sind. Hinzu kommen jene Personen, die eine Vorerkrankung wie Krebs, Diabetes oder Bluthochdruck haben. Diese Personengruppen vollständig von der Aussenwelt abzuschneiden, ist nicht praktikabel.

Gleichzeitig müssen Personen mit Vorerkrankungen weiterhin zur Arbeit gehen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein. Denn wir haben die Arbeitgeber aufgefordert, Homeoffice zu fördern und – wo das nicht geht – den Schutz der Angestellten ­sicherzustellen. Die Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Es ist auch in ihrem Interesse, die Mitarbeitenden zu schützen. Die Betriebe, die ich besucht habe, setzen dies um. Der Bundesrat kann aber nicht jedes einzelne Arbeitsverhältnis regeln. Es gibt keine Lösung, die für alle passt.

Die wirtschaftlichen ­Szenarien sind düster: Es droht eine Arbeitslosenquote von sieben Prozent. Was unternimmt der Bundesrat dagegen?
Der Bundesrat garantiert mit historisch hohen Beträgen, dass die Löhne weiterhin bezahlt werden und Liquidität vorhanden ist. Aber die Zeiten bleiben hart. Wenn im Ausland die Wirtschaft einbricht, schlägt das auf uns zurück, weil unsere Firmen jeden zweiten Franken im Ausland verdienen.

Eben ...
... genau darum hat der Bundesrat rasch gehandelt – so rasch wie die Regierung in kaum einem anderen Land. Die meisten Kantone übrigens ebenfalls. ­Impulse wird es aber auch brauchen, und diese werden kommen. Wenn ich ­allein mein Departement anschaue: Wir werden viel Geld in den Unterhalt der Eisenbahn investieren, da sprechen wir von Milliardenbeträgen. Wir wollen die erneuerbaren Energien und die Gebäudesanierung fördern, was dem Gewerbe Aufträge und Arbeit sichert. Indem wir Projekte vorziehen, können wir sinnvolle Impulse geben.

Der Bundesrat regiert mit Notrecht. Welche Rolle nehmen Sie als Vorsteherin der Landesregierung ein?
Die Zusammenarbeit im Bundesrat ist entscheidend. Als Bundespräsidentin ist es mir wichtig, alle mitzunehmen, auch die ­Bevölkerung. Gerade jetzt, wo das Parlament nicht tagt, ist es entscheidend, breite Kontakte persönlich zu pflegen. Darum bin ich in die Firmen und Spitäler gegangen – um zu erfahren, welche Probleme sich ­ihnen stellen. Ich habe mit den Sozialpartnern gesprochen, die Parlaments- und Kommissionspräsidenten eingeladen und Regierungsräte getroffen. In der aktuellen Situation muss man kreativ werden.

Apropos Parlament: Beruhigt es Sie, dass die Bundesversammlung im Mai wieder zusammenkommt?
Ja. Für mich ist ganz wichtig, dass das Parlament ­wieder tagt. In der Schweiz werden bedeutende Entscheide vom Parlament und nicht vom Bundesrat al­lein gefällt.

Allerdings präsentieren nun alle Parteien ihre Forderungen, während sie sich in einer ersten Phase noch gemeinsam hinter den Bundesrat gestellt hatten. Wird die Krise jetzt politisch instrumentalisiert?
Diesen Eindruck habe ich nicht. Aus meinen vielen Kontakten in den letzten Wochen habe ich herausgehört, dass die Ziele des Bundesrats unbestritten sind: die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, die wirtschaftlichen Schäden möglichst tief zu halten – und helfen, sofort helfen! Die Frage, wie es langfristig weitergeht, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Das ist auch gut so.

Namentlich bei der Luftfahrt gehen die Meinungen auseinander. Die Grünen wollen einer staatlichen Unterstützung nur dann zustimmen, wenn die Airlines die Pariser Klimaziele erfüllen. Teilen Sie diesen Standpunkt?
Sollte der Bund die Luftfahrt unterstützen, gelten strenge Voraussetzungen. So darf kein Geld ins Ausland fliessen und es dürfen keine Dividenden ausbezahlt werden, bis die Steuergelder zurückerstattet sind. Sie fragen sich, wa­rum wir das überhaupt ­machen?

Natürlich!
Weil wir die Arbeitsplätze in der Schweiz sichern wollen und weil das für unser Land eine kritische Infrastruktur ist. Klar ist aber auch: Die Klima- und Umweltschutzmassnahmen sind deswegen nicht ausgehebelt. Das Parlament ist kurz davor, ein CO2-Gesetz zu verabschieden, inklusive Flugticketabgabe. Ich gehe nicht davon aus, dass daran gerüttelt wird. Das Pariser Abkommen gilt nach wie vor.

Vorstösse, auf den Umweltschutz zu verzichten, dürften aber kommen. Sobald es der Wirtschaft schlechter geht, werden doch alle sagen: Economy first!
Das wäre definitiv der falsche Entscheid. Denn die Umweltprobleme bleiben bestehen, selbst wenn sie gerade etwas in den Hintergrund gerückt sind. Wir ­haben eine Verantwortung gegenüber zukünftigen ­Generationen.

Im Augenblick lässt der Bundesrat viele Selbständige im Stich: Physiotherapeuten etwa oder Taxifahrer ...
Der Bundesrat hat die Selbständigen, die von den ­Sofortmassnahmen direkt betroffen waren, unterstützt. Ebenso rasch wie die anderen KMU. Dass die ­Krise nun auch Selbstän­dige trifft, die zwar arbeiten dürfen, aber keine Kunden mehr haben, ist dem Bundesrat und den Kantonen bewusst. Hier sucht man gemeinsam nach Lösungen.

Können Sie denn versichern, dass jene, die Hilfe brauchen, sie auch bekommen werden?
Der Bund kann nicht überall mit der grossen Kelle anrichten. Aber ich versichere Ihnen: Auch die Kantone sind sich bewusst, welche Probleme bestehen. Zum Beispiel bei den Kindertagesstätten.

Die aktuelle Situation zeigt auf, wie prekär die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals sind. Welche Lehren ziehen Sie da aus der Corona-Pandemie?
Die Situation der Pflegenden ist nicht erst seit Corona schwierig. Das ist der Grund, warum der Bundesrat den Gegenvorschlag zur Pflege-Initiative unterstützt. Tatsächlich leistet das Pflegepersonal Unglaubliches. Aber vergessen wir nicht: Ganz viele andere tun das auch.

An wen denken Sie?
Nehmen wir zum Beispiel die Lebensmittelversorgung. Was die Leute in der Logistik oder die Mitarbeiterinnen an den Kassen täglich leisten, ist nicht minder beeindruckend. Tatsächlich erleben wir in dieser Phase der Krise eine Schweiz, in der so vieles möglich ist, was wir uns vorher vielleicht gar nicht vorstellen konnten.

Viele Frauen sind derzeit an der Front tätig: als Verkäuferinnen, Kita-Angestellte, Pflegerinnen. Gerade diese Tätigkeiten werden aber schlecht entlöhnt.
Ich habe jahrelang dafür gekämpft, dass Frauen und Männer für dieselbe Arbeit denselben Lohn erhalten. Dieses Gesetz ist jetzt in Kraft. Aber es stimmt: Frauen sind häufiger in Berufen tätig, die schlecht bezahlt werden. Oder sie arbeiten Teilzeit, weshalb Entlassungen sie teils als Erste treffen. Auch die Kinderbetreuung bleibt in der jetzigen ­Situation, wo beide Eltern Homeoffice machen, häufig an den Frauen hängen.

Aber?
Aber der Bundesrat hat sie nicht vergessen. Am letzten Mittwoch hat er entschieden, dass jene 200'000 Personen, die auf Abruf arbeiten, von der Kurzarbeitsentschädigung profitieren können. Das bietet einen gewissen Schutz für Personen in besonders prekären Verhältnissen.

Die Situation wird über längere Zeit schwierig bleiben. Was stimmt Sie trotz allem hoffnungsfroh?
Die Solidarität, die wir alle er­leben konnten. Und dass wir neue Formen ­finden, einander nahe zu sein. So darf ich meine Mutter über Ostern nicht besuchen. Dafür werde ich ihr am Telefon etwas auf dem Klavier vorspielen. Sie kann sich ein Stück aussuchen.

Die Bundespräsidentin

Simonetta Sommaruga (59) ist Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. Die ausgebildete Konzertpianistin wurde 2010 in den Bundesrat gewählt und ist seit Anfang Jahr zum zweiten Mal Bundespräsidentin. Die SP-Politikerin ist verheiratet mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann.

Simonetta Sommaruga (59) ist Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. Die ausgebildete Konzertpianistin wurde 2010 in den Bundesrat gewählt und ist seit Anfang Jahr zum zweiten Mal Bundespräsidentin. Die SP-Politikerin ist verheiratet mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann.

Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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Habe ich das Coronavirus oder nur die Grippe?

Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.

Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.

Schutz gegen Coronavirus

Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:

Hygienemassnahmen

  • Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
  • Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
  • Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.

Kontakt minimieren

  • Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
  • Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
  • 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
  • Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
  • Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.

Informiert bleiben

  • An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch

Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:

Hygienemassnahmen

  • Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
  • Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
  • Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.

Kontakt minimieren

  • Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
  • Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
  • 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
  • Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
  • Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.

Informiert bleiben

  • An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch
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