Bundespräsident Ueli Maurer zur Krise der Volkspartei
«Die SVP darf nicht auf den Klima-Hype aufspringen»

Wahlen gewinne die SVP nur mit bewährten Themen wie EU, Ausländern oder Steuern, meint ihr früherer Präsident Ueli Maurer. Der Bundespräsident erklärt ausserdem, warum der Mittelstand die Zeche bezahlt, wenn das Volk Steuerreform und AHV-Finanzierung ablehnt.
Publiziert: 31.03.2019 um 00:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2019 um 08:25 Uhr
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Bundespräsident Ueli Maurer: «Wahlkampf für die SVP kann ich nicht betreiben.»
Foto: Karl-Heinz Hug
Interview: Simon Marti und Marcel Odermatt

Viele Jahre lang war Ueli Maurer (68) für die meisten Politikinteressierten einfach ein lautes Sprachrohr der SVP. Seit 2009 hat sich das aber geändert. Denn seither ist der ehemalige Parteichef und Nationalrat Mitglied des Bundesrats. Spätestens seit seinem Wechsel 2016 ins Finanzdepartement ist der Zürcher zu einer zentralen Figur in der Regierung geworden. In diesem Jahr präsidiert Maurer das Gremium zum zweiten Mal.

Beim Gespräch in seinem Büro im Bernerhof ist das Topthema natürlich gesetzt: der Absturz der SVP bei den Wahlen vor Wochenfrist in Zürich. Als oberster Säckelmeister spricht er natürlich auch über sein Projekt, das am 19.Mai zur Abstimmung kommt: die Steuerreform und die AHV-Finanzierung. Mit Verve erklärt Maurer, warum viele – auch in seiner eigenen Partei – falsch liegen, wenn sie die Vorlage bekämpfen.

Herr Bundespräsident, Sie waren von 1996 bis 2008 Chef der SVP. Seit Sonntag liegt Ihre Zürcher Sektion auf dem Niveau von 1995. Schmerzt Sie das?
Ueli Maurer: Eigentlich nicht. Wir haben viele Jahre lang gewonnen. Es ging nur aufwärts. Jetzt schlägt das Pendel etwas zurück. Es liegt nun an der Partei, Gegensteuer zu geben.

Wie sehen Sie die Lage – was läuft schief?
Wir sind bequem geworden, unsere Leute strengen sich zu wenig an. Wer gewinnt, glaubt, dass es immer so weitergeht. Ich stelle auch eine gewisse Oberflächlichkeit fest. Ob Rahmenvertrag, Steuerreform oder Waffenrecht: Die SVP kann immer zu einem Geschäft Nein sagen. Entscheidend ist aber, dass die Partei dann auch genau begründen kann, weshalb sie das tut, und Alternativen aufzeigt. Das ist im Moment zu wenig der Fall.

1991 verloren Sie die Regierungsratswahl gegen Moritz Leuenberger, 2007 das Ständeratsrennen gegen Verena Diener. Wie geht ein Politiker mit solchen Niederlagen um?
Bei mir ging das sehr rasch. Mir war es damals wichtiger, mir politisch treu zu bleiben, als mich zu verbiegen, um ein Amt zu erlangen. Ich war damals ein Politiker mit Ecken und Kanten – etwas, das in einem Exekutivamt nicht gern gesehen wird. Ich empfand es eher als ein Kompliment für meine pointierte Politik.

Ihre Partei setzt voll auf das Thema Europa. Würden Sie das als Gesamtverantwortlicher auch tun?
Ja, diese Strategie ist richtig. Wir hatten schon zu meiner Zeit als Kernthemen das Verhältnis Schweiz-EU, Ausländerkriminalität, Steuern und Abgaben. Diese Dossiers haben wir jahrelang bearbeitet, unseren Leuten erklärt – und hatten damit Erfolg. Ich würde daran festhalten.

Im Moment reden alle vom Klima.
Die SVP darf nicht auf den Klima-Hype aufspringen. Das wäre völlig unglaubwürdig. Für ein neues Kampagnenthema ist der Zug schon lange abgefahren. Es dauert vier bis acht Jahre, um einen Wahlkampf wie bei den Nationalratswahlen vorzubereiten. Das weiss ich aus Erfahrung. Die SVP muss bei ihren Themen bleiben, wenn sie im Oktober Erfolg haben will. Ein Schnellschuss wäre fatal.

Sie sind als Bundespräsident das Aushängeschild Ihrer Partei. Welchen Beitrag sind Sie persönlich zu leisten bereit, damit die Wahlen für die SVP gut ausgehen?
Diese Frage stellt sich für mich nicht. Ich habe als Bundespräsident eine andere Funktion, eine andere Verantwortung in meinem Amt. Natürlich werde ich Anlässe besuchen und meinen Standpunkt klarmachen. Wahlkampf für die SVP kann ich aber nicht betreiben.

Sie sind offenbar immer weniger auf einer Linie mit Ihrer Partei: Gewichtige SVP-Vertreter lehnen die Vorlage über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) ab. Sie kämpfen als Finanzminister für ein Ja. Warum liegen Ihre Parteifreunde in diesem Punkt falsch?
Die SVP kämpft nicht dagegen, sie hält sich zurück. Ich vertrete die Vorlage des Bundesrats und des Parlaments. Es ist ein gut eidgenössischer Kompromiss und eine Güterabwägung: Nimmt man in Kauf, dass eine gute Steuervorlage abgelehnt wird, weil man sie nicht mit der AHV verquicken will? Oder sagt man Ja, im Interesse des grossen Ganzen? Die meisten entscheiden sich für den Wirtschaftsstandort.

Aber staatspolitisch ist die Verbindung stossend.
Nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III forderten alle ein Gegengewicht. Also verknüpfte das Parlament die neue Reform mit der AHV. Es ist ein Kompromiss und der ist nicht schlecht. Neben den Räten haben auch Kantone, Städte und alle Wirtschaftsverbände zugestimmt. Und man kann festhalten, dass die Vorlage niemandem schadet. Nur wenige Exoten sagen Nein.

Was sagt es über die Reformfähigkeit eines Landes aus, wenn man zwei sachfremde Geschäfte verknüpfen muss, um eine Mehrheit zustande zu bringen?
Das Parlament war eben der Meinung, dass die Steuerreform – die SV17 – alleine nicht mehrheitsfähig ist. Ich denke auch, dass es wohl ein Gegengewicht braucht, um die Abstimmung zu gewinnen. Auch die Leute, die ich treffe, halten das für sinnvoll.

Man fragt sich aber auch, weshalb der Mittelstand mit den vorgesehenen Lohnabzügen die Zeche dafür bezahlen muss.
Genau das Gegenteil ist der Fall! Der Mittelstand zahlt, wenn wir die Vorlage nicht annehmen. Dann verliert die Schweiz Steuersubstrat; diese Lücke muss der Mittelstand dann füllen.

Aber bei einem Ja werden die AHV-Abzüge höher.
1.50 pro 1000 Franken Lohn. Die AHV kostet uns ohnehin mehr. Die Pläne des Bundesrats sehen dafür eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1,7 Prozent vor. Sagen wir ja zu STAF, müssen wir die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV um lediglich 0,8Prozent erhöhen. Das ist eindeutig sozialer und kommt vor allem den geringeren und mittleren Einkommen entgegen. Wenn wir der AHV, wie vorgeschlagen, zwei Milliarden jährlich zuhalten, sparen wir rund ein Prozent Mehrwertsteuer. Bei einem Jahreseinkommen von 80'000 Franken macht das etwa 400 Franken aus. Die Erhöhung der AHV-Beiträge beträgt bei gleichem Einkommen nur 100 Franken. So spart ein Haushalt in diesem Beispiel 300 Franken.

Vor zwei Jahren warnten Sie davor, dass viele Firmen bei einem Nein zur Unternehmenssteuerreform die Schweiz verlassen würden. Im aktuellen Abstimmungskampf haben Sie dieses Argument wiederholt. Wie viele Firmen sind in letzter Zeit abgewandert?
Bei einem Nein würden wir Steuereinnahmen verlieren. Für die Firmen wird es einfach zu schwierig zu planen, weil die Rechtssicherheit fehlt. Seit dem Nein zur letzten Reform sind einige gegangen. Die Gefahr ist nun, dass noch mehr abwandern. Deshalb ist die Abstimmung am 19. Mai vor allem auch eine Frage der Sicherheit. Wir sichern AHV und Arbeitsplätze!

Die Linke wird ohnehin konkrete Steuersenkungen für Firmen in den Kantonen bekämpfen. Sieht so Ihre Planungssicherheit aus?
Das betrifft vielleicht fünf gefährdete Kantone. Die anderen beurteilen ihre Ausgangslage grundsätzlich selbständig und werden im Gegensatz zur USR III keine zu grossen Steuersenkungen vornehmen, um mehrheitsfähig zu sein.

Am 19. Mai wird auch über das Waffenrecht abgestimmt. Etliche Offiziere wehren sich dagegen. Was sagen Sie als ehemaliger Major zur Vorlage?
Die Offiziere sind so gespalten wie der Rest der Bevölkerung. Die EU will mit dieser Massnahme den Terrorismus bekämpfen. Es ist nachvollziehbar, wenn unsere Leute sagen, dass die Grösse eines Magazins keinen Einfluss auf den Terrorismus hat. Auch hier haben wir eine Güterabwägung zu treffen. Wollen wir bei Schengen dabei sein und nehmen Einschränkungen in Kauf oder riskieren wir einen Bruch und bleiben dafür im Waffenrecht frei? Wahrscheinlich ist man mit einem Ja näher am Gesamtinteresse der Schweiz.

Alle rechnen damit, dass Sie im Dezember nochmals als Bundesrat antreten.
Ja, ich will nochmals kandidieren.

Sie werden am 1. Dezember 69 Jahre alt.
Ich fühle mich sehr fit. Das Amt ist sehr anstrengend und fordernd. Aber die Arbeit macht mir Spass. Ich wüsste nicht, was ich im Moment lieber machen würde. Klar, ich habe meine Hobbys, habe Enkelkinder. Aber nein, es gefällt mir gut.

Haben Sie Angst loszulassen – in ein Loch zu fallen, wenn Sie dieses Spitzenamt mal nicht mehr innehaben?
Wahrscheinlich würde mir schon etwas fehlen. Aber logisch, eines Tages ist Schluss. Im Dezember ist es aber sicher noch nicht so weit.

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