Sozialhilfebezügern weht im Kanton Zürich künftig ein rauerer Wind entgegen: Das Bundesgericht hat heute grünes Licht gegeben für eine Verschärfung des Sozialhilfegesetzes. Wer Sozialhilfe bezieht, kann sich in Zukunft erst gegen eine Sanktion wehren, wenn diese bereits verhängt ist – und eine Kürzung der Leistungen droht.
Heute kann man schon vorher Rekurs einlegen und damit verhindern, dass eine Auflage oder Weisung in Kraft tritt. Es geht dabei zum Beispiel um die Anordnung, eine billigere Wohnung zu beziehen oder ein Arbeitsintegrationsprogramm zu besuchen.
Knapper Entscheid
Das Zürcher Kantonsparlament hatte die Verschärfung Ende 2018 beschlossen. Kritiker warnen, dass Sozialhilfebezüger so gezwungen werden, sich renitent zu verhalten. Die Änderung beschneide die Grundrechte. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht hat den Entscheid darum ans Bundesgericht gezogen. Die Klage unterstützt haben unter anderem auch die Hilfsorganisation Caritas und die Sozialwerke Pfarrer Sieber.
Doch ihr Widerstand blieb zwecklos. Mit knappen drei zu zwei Stimmen haben die Lausanner Richter die Beschwerde abgelehnt. Den Betroffenen drohe «in der Regel» keine Nachteile, die nicht wieder gutzumachen wären, wenn sie die Anordnungen nicht direkt anfechten können, fand die Mehrheit. Es könne aber nicht ganz ausgeschlossen werden. Sollte dies der Fall sein, müsse man sie Sanktion sofort vor dem Kantonsgericht anfechten können.
Die beiden unterlegenen Richter hatten hingegen argumentiert, dass die Weisungen von Sozialbehörden Grundrechte der Betroffenen tangieren könnten. Die Sozialhilfebezüger könnten sich aber nicht gleich dagegen wehren, sondern sie müssten abwarten oder sich vielmehr einer Anordnung widersetzen. Die neue Bestimmung sei eines Rechtsstaates unwürdig.
Kommt der Fall nach Strassburg?
Die Verschärfung geht zurück auf einen Vorstoss von SVP-Kantonsrat Benedikt Hoffmann (49), mitunterzeichnet worden war er von Kollegen aus FDP und GLP. Damit könne man verhindern, dass Sozialhilfebezüger mit einer Beschwerde eine Sanktion hinauszögern können. Das spare Kosten, argumentierten die Befürworter. Auch Sicherheitsdirektor Mario Fehr (61, SP) hatte sich hinter den Vorschlag gestellt – und damit gegen seine Partei, die sich gegen die Initiative gewehrt hatte.
Die Organisationen, die sich gegen die Änderung gewehrt haten, sind enttäuscht über das Urteil des Bundesgerichts. Es stelle einen massiven Grundrechtseingriff dar. Die Organisationen prüfen einen Weiterzug des Entscheides an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Caritas Zürich sei empört, dass ein fundamentales Recht den Schwächsten in der Gesellschaft künftig verweigert werde, sagte Direktor Max Elmiger. Das knappe Urteil des Bundesgerichtes zeige, wie umstritten diese Gesetzesverschärfung sei.
«Beim Baurecht käme es beispielsweise niemandem in den Sinn, dass eine Sanktion ausgeführt werden muss und erst dann angefochten werden kann», sagt Elmiger. Denn das hiesse, der Beschwerdeführer müsste zuerst etwas als Strafe abreissen, um nach eventuell gewonnener Beschwerde wieder aufbauen zu dürfen. Genau das werde nun Menschen in der Sozialhilfe aufgezwungen: «Sie müssen zuerst die Sanktion entgegennehmen und können erst dann das Rechtsmittel ergreifen.»
Andere Kantone könnten nachziehen
Der Entscheid könnte Signalwirkungen auf andere Kantone haben. Nicht nur in Zürich wird über eine härtere Gangart gegenüber Sozialhilfebezügern diskutiert. Beispielsweise auch im Aargau, Baselland und Solothurn stehen Vorschläge zur Verschärfung zur Debatte. (lha)