Das gab es noch nie: Eine eidgenössische Volksabstimmung muss wiederholt werden. Das Bundesgericht hat das knappe Nein zur Abschaffung der Heiratsstrafe gestern für ungültig erklärt. Die CVP-Initiative scheiterte im Februar 2016 mit 50,8 Prozent – wohl auch daran, dass der Bundesrat die Zahl der Betroffenen massiv unterschätzt hatte.
Er hatte stets von 80'000 Ehepaaren gesprochen, die betroffen seien. Später musste der Bund die Zahl auf 454'000 korrigieren. Es sei «geradezu schockierend», dass die Zahl nicht relativiert worden sei, so ein Bundesrichter.
CVP will neue Parlamentsdebatte
Nun freut sich die CVP, dass die Richter den Urnengang von 2016 ungeschehen machten. «Das ist ein historischer Entscheid», sagt Präsident Gerhard Pfister (56). Indem die Abstimmung wiederholt werde, bleibe das Vertrauen in die direkte Demokratie erhalten.
Der CVP-Präsident fordert nun, dass der Bundesrat eine neue Botschaft zur Initiative ausarbeitet und dem Parlament vorlegt. «Womöglich entscheidet dieses mittels Gegenvorschlag für die Abschaffung der Heiratsstrafe.» Dann könne der Rückzug der Initiative zum Thema werden, so Pfister. Auch aus Sicht des Solothurner CVP-Ständerats Pirmin Bischof (60), der mit der Abstimmungsbeschwerde den Stein ins Rollen brachte, muss erneut eine Parlamentsdebatte geführt werden. «Alles andere wäre nicht im Sinn und Geist des Urteils.»
Staatsrechtler widersprechen
Doch die CVP dürfte sich täuschen. Laut einer bundesratsnahen Quelle ist eine neuerliche parlamentarische Beratung der Initiative ausgeschlossen. Das bestätigen Staatsrechts-experten. «Es braucht jetzt weder eine neue Botschaft des Bundesrats noch eine neuerliche Parlamentsdebatte», sagt der Zürcher Professor Urs Saxer. Vielmehr müsse die Stimmbevölkerung bald über dieselbe Vorlage mit den aktualisierten Zahlen befinden können. Und Rainer J. Schweizer, emeritierter Staatsrechtsprofessor, sagt: «Das Bundesgericht verlangt einzig, dass das Volk nochmals unter fairen Bedingungen über die Initiative abstimmen kann.»
Für die CVP droht der Sieg vor Bundesgericht so zum Bumerang zu werden. Ein gewichtiges Argument der Initiativgegner war die Definition der Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die das Volksbegehren festschreiben will. Für grosse Teile der Bevölkerung ein No-Go – 2016 wie heute. So schiesst die SP bereits wieder gegen die Initiative, die ein «rückständiges Gesellschaftsbild» propagiere. «Wir wehren uns gegen die Zementierung des alten Rollenbilds», sagt SP-Vize Beat Jans (54).
Mit einem Buebetrickli in der ständerätlichen Wirtschaftskommission könnte die CVP aber doch zur Gewinnerin werden: Am 2. Mai will CVP-Ständerat und Kommissionspräsident Bischof eine Art Gegenvorschlag aufgleisen. Ein echter Gegenvorschlag ist nicht mehr möglich. Bischofs Vorschlag sieht eine Gemeinschaftsbesteuerung von Eheleuten vor, die aber auf die strittige Ehedefinition verzichtet.