Darum gehts
Wer Unterstützungsbeiträge für Kinder und Jugendliche in Ausbildung – sogenannte Familienzulagen – erhalten will, muss sich mit einem komplizierten Verwaltungsapparat herumschlagen, wie der Beobachter aufzeigte. Mehr als 220 Kassen wickeln die Zahlungen ab, die Wegleitung umfasst 164 Seiten. Das führt im modernen, mobilen Leben zu Hürden, an denen Berechtigte nicht selten scheitern.
Wie entsteht ein solches Bürokratiemonster? Wie bändigt man es? Und gibt es noch andere? Rahel Freiburghaus, promovierte Politologin an der Universität Bern, ordnet ein.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Rahel Freiburghaus, wie entsteht ein Bürokratiemonster wie die Familienzulagen?
Das hat mit unserer Kompetenzordnung zu tun. Wenn die Gesellschaft neue Bedürfnisse an den Staat stellt – wie etwa bei der familienergänzenden Kinderbetreuung –, dürfen sich zuerst nur die Kantone darum kümmern. So können sehr unterschiedliche Lösungen entstehen. Im föderalistischen System ist Vielfalt durchaus gewollt. Doch zu unserem Föderalismus gehört auch der Subsidiaritätsgedanke: Wenn eine Aufgabe von den Kantonen nicht mehr effizient oder in der erforderlichen Qualität erfüllt werden kann, kommt eine Bundeslösung zum Tragen.
Also erst, wenn der Problemdruck gross genug ist.
Ja. Und damit etwas neu in die Zuständigkeit des Bundes fällt, braucht es eine Verfassungsänderung, also eine Mehrheit der Stimmberechtigten und der Kantone.
Die Hürde für eine Verfassungsänderung ist hoch. Gibt es keine Zwischenschritte?
Doch – auch weil das Parlament den Bundesrat immer wieder damit beauftragt, zu überprüfen, welche Aufgaben von welcher Staatsebene am besten erfüllt werden können. Letztmals wurde die Aufgabenteilung von Bund und Kantonen im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) erfolgreich überprüft, die 2008 in Kraft getreten ist. Da hat man zum Beispiel die Sonderschulen neu den Kantonen zugewiesen; die Nationalstrassen hingegen dem Bund.
2019 war eine neuerliche Auslegeordnung geplant. Wieso ist dieser Anlauf gescheitert?
Einerseits wegen der Covid-19-Pandemie, andererseits aber auch, weil das Projekt «Aufgabenteilung II» in den Worten von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nie so richtig zum Fliegen kam. Man wollte damals nur vier Aufgabengebiete überprüfen. Da blieben zu wenig Verhandlungsmasse, zu wenig Chancen auf Kreuzgeschäfte. Darum haben Bund und Kantone Mitte 2024 das Projekt «Entflechtung 27» lanciert, bei dem 21 Aufgabenbereiche angeschaut werden – von Prämienverbilligung über musikalische Bildung bis zum Straf- und Massnahmenvollzug.
Das sind viele und sehr unterschiedliche Themen – ist ein Projekt dieser Dimension nicht zum Scheitern verurteilt?
Nein, denn das Projekt «Entflechtung 27» ist bewusst sehr breit und ausdrücklich ergebnisoffen angelegt. Im Frühling 2026 gibt es einen ersten Zwischenbericht. Bis dann erarbeitet eine Projektorganisation mit Experten des Bundes und der Kantone Optionen, welche Aufgaben und Finanzierungen entflochten werden könnten.
Und dann merkt man, dass für gewisse Aufgaben neu der Bund zuständig sein sollte?
Ja, das ist ein mögliches Resultat. Es kann aber auch sein, dass man eine heutige Verbundaufgabe ganz den Kantonen überlässt – wie eben 2008 die Sonderschulung. Oder man beschliesst, eine heute von Bund und Kantonen gemeinsam erfüllte Aufgabe auch weiterhin gemeinsam zu erfüllen, ändert jedoch den Finanzierungsschlüssel – also wie viel der Bund und wie viel die Kantone zahlen.
Glauben Sie an das Projekt «Entflechtung 27»?
Wenn Sie mich vor einem halben Jahr gefragt hätten, hätte ich dessen Erfolgschancen als durchaus gegeben eingeschätzt. Aber unterdessen hat der Bundesrat sein Entlastungsprojekt 27 vorgestellt – und das, ohne die Kantone, Städte und Gemeinden in die Vorarbeiten des Bundes einzubeziehen.
Das hat diese verärgert, weil man vereinbart hatte, dass man die bundesrätlichen Sparmassnahmen klar vom Entflechtungsprojekt trennt. Nach Auffassung der Kantone preschte der Bundesrat nun mit seinem Entlastungspaket vor und will einseitig Kürzungen durchsetzen. Die Kantone fürchten sich vor einseitigen Lastenverschiebungen. Oder etwas zugespitzt: Sie finden, dass der Bund auf ihrem Buckel sparen will.
Das tönt alarmierend.
Ja, das ist eine durchaus bemerkenswert harsche Reaktion der Kantone. Laut der Konferenz der Kantonsregierungen ist das Entlastungsprogramm 27 «äusserst unbefriedigend».
Ist das also das Ende des Projekts «Entflechtung 27»?
Um ein Scheitern zu verhindern, muss der Bund den Kantonen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zum Entlastungspaket 27 entgegenkommen. Und er muss anerkennen, dass er einen Fehler gemacht hat, die Kantone, Städte und Gemeinden nicht gebührend in seine Vorarbeiten einzubeziehen.
Das alles tönt recht kompliziert. Wenn man als Bürgerin ein Bürokratiemonster am eigenen Leib erfährt – etwa bei den Familienzulagen –, dürfte man sich zuweilen einen Elon Musk oder einen Javier Milei wünschen, der es schnell und radikal bändigt.
Vor diesem Vorgehen würde ich in aller Deutlichkeit warnen. Verwaltung mag manchmal langwierig erscheinen, ja, aber nur, weil enorm viel Fachwissen integriert ist und viele Anliegen berücksichtigt werden. Das kann zwar dauern, schafft aber Rechtssicherheit und demokratische Akzeptanz.