Bürger lancieren Klimawandel-Initiative
Schluss mit leeren Worten!

Die Schweiz hat das Klimaabkommen von Paris ratifiziert. Doch Wissenschaftler, Kulturschaffende und Leute aus der Praxis glauben nicht daran, dass die Politik den Klimawandel wirklich angeht. Nun lancieren sie eine Volksinitiative.
Publiziert: 08.08.2018 um 03:27 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2018 um 18:12 Uhr
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Hinter der Gletscher-Initiative steckt Journalist Marcel Hänggi. Er fordert, dass fossile Brenn- und Treibstoffe ab 2050 verboten sind. Die Schweiz soll dann keine menschengemachten CO2-Emissionen mehr produzieren.
Foto: Bernard van Dierendonck
Sermîn Faki und Cinzia Venafro

Bio-Bauer Reto Raselli (65) aus dem Puschlav schwitzt. Vor allem hat er genug von hehren Versprechen. «Die Politiker können noch so lange Abkommen ratifizieren, jetzt braucht es Druck von uns», sagt er.

Der Bio-Pionier, der unter anderem Kräuter für Ricola-Zückerli anbaut, spricht das Abkommen von Paris an, das den Klimawandel verlangsamen soll. Doch weil Raselli der Politik nicht traut, will er persönlich dafür sorgen, dass die Schweiz das Abkommen wirklich umsetzt. Und zwar per Volksinitiative.

Kein Öl, kein Gas, keine Kohle

Am 25. August fällt am Steingletscher am Sustenpass der Startschuss. Auf Initiative des Wissenschaftsjournalisten Marcel Hänggi (49) gründen Raselli und Gleichgesinnte einen Verein, der kommenden Frühling die Gletscher-Initiative lanciert.

Das Volksbegehren ist radikal: Bis 2050 soll die Schweiz kein CO2 mehr ausstossen. Und zwar, indem der Einsatz von fossilen Brenn- und Treibstoffen – Erdöl, Erdgas und Kohle – verboten wird. Fertig Ölheizung, Schluss mit Benzin-Motoren. Der Widerstand aus Wirtschaft und Politik dürfte massiv sein.

Abseits der etablierten Politik

Doch die Initiative wird abseits der Parteien lanciert und soll von der Bevölkerung getragen werden. Gründungsmitglieder des Vereins sind Wissenschaftler, Kulturschaffende wie Schriftsteller Peter Stamm (55) und Leute aus der Praxis.

Und die hätten sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können: 2018 wird als Extremsommer in die Geschichte eingehen. Glaubt man Gletscherforscher Wilfried Haeberli (71), gewöhnen wir uns besser daran: Klimamodelle würden zeigen, dass ein Sommer wie dieser am Ende des 21. Jahrhunderts der Normalzustand ist.

«Das heisst, mehrere solcher Sommer könnten dann aufeinanderfolgen und einzelne Sommer könnten noch extremer sein», so der ehemalige Professor, der von 1983 bis 2010 die weltweite Gletscherbeobachtung für die Uno geleitet hat und die Initiative ebenfalls mitträgt.

Das Pariser Klima-Abkommen

196 Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention haben sich am 12. Dezember 2015 in Paris darauf geeinigt, dass sie alles unternehmen wollen, um den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad – sicher aber auch deutlich unter 2 Grad Celsius – zu beschränken. Das soll vor allem über die Reduktion von CO2-Emissionen erreicht werden. Auch die Schweiz hat das Pariser Abkommen ratifiziert.

Doch der Vertrag hat einen Pferdefuss: Er sieht erstens keine verpflichtenden Massnahmen für die einzelnen Staaten vor, wie der CO2-Ausstoss verkleinert werden soll. Vor Beginn der Klimaverhandlungen in Paris hatten 187 Staaten nationale Klimaaktionspläne und entsprechende CO2-Reduktionsziele eingereicht. Allerdings würden diese zu einer Erderwärmung von etwa 2,7 Grad führen.

Zweitens droht keinem Land eine Strafe, wenn es die Ziele nicht erreicht oder einfach untätig bleibt. Auf wie wackligem Boden das Abkommen steht, zeigt der Rückzug der USA, den Präsident Donald Trump am 1. Juni 2017 bekannt gegeben hat.

196 Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention haben sich am 12. Dezember 2015 in Paris darauf geeinigt, dass sie alles unternehmen wollen, um den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad – sicher aber auch deutlich unter 2 Grad Celsius – zu beschränken. Das soll vor allem über die Reduktion von CO2-Emissionen erreicht werden. Auch die Schweiz hat das Pariser Abkommen ratifiziert.

Doch der Vertrag hat einen Pferdefuss: Er sieht erstens keine verpflichtenden Massnahmen für die einzelnen Staaten vor, wie der CO2-Ausstoss verkleinert werden soll. Vor Beginn der Klimaverhandlungen in Paris hatten 187 Staaten nationale Klimaaktionspläne und entsprechende CO2-Reduktionsziele eingereicht. Allerdings würden diese zu einer Erderwärmung von etwa 2,7 Grad führen.

Zweitens droht keinem Land eine Strafe, wenn es die Ziele nicht erreicht oder einfach untätig bleibt. Auf wie wackligem Boden das Abkommen steht, zeigt der Rückzug der USA, den Präsident Donald Trump am 1. Juni 2017 bekannt gegeben hat.

«Das kann der Wald nicht ausgleichen»

Mit an Bord ist auch Noah Zollinger (37). Der Revierförster im Zürcher Oberland war noch nie politisch aktiv und ist nirgends Parteimitglied. Der Klimaschutz hat ihn nun politisiert. «Der Wald ist ein träges Ökosystem», erklärt er. «Aber solch extreme Verhältnisse, wie wir sie jetzt haben, kann selbst er nicht mehr ausgleichen.» Nun brauche es eine breite Bewegung, um der Politik Beine zu machen.

Susanna Niederer (51), welche die letzten vier Jahre als Klimawandel-Koordinatorin für die kanadische Stadt Calgary gearbeitet hat, ist ebenfalls Gründungsmitglied. Für sie hat die Schweiz ideale Voraussetzungen, Nägel mit Köpfen zu machen. «Wenn wir beim Klimawandel nicht vorangehen, dann ist das eine Beleidigung für unser einzigartiges politisches System, unsere finanzielle Stärke und Innovationskraft.»

Den Klimawandel sieht man am Eiger

Sichtbarstes Zeichen des Klimawandels in der Schweiz sind die schrumpfenden Gletscher – deswegen soll die Initiative auch den Namen Gletscher-Initiative tragen. Und darum ist auch Stephan Siegrist (45) in der Initiativ-Seilschaft, einer der weltbesten Profi-Alpinisten.

38 Mal hat er die Eiger-Nordwand in den letzten zwei Jahrzehnten gemeistert – unter anderem mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Ueli Steck (†40). «Das zweite Eisfeld ist so viel kleiner geworden, dass man zwei Seillängen im Schotter geht», berichtet Siegrist. «Geht das so weiter, können meine Kinder und Enkelkinder die schöne weisse Bergwelt nicht mehr erleben. Dem möchte ich entgegenwirken.»

Der grosse Aletsch ist Geschichte

Wobei man sich nichts vormachen muss, so Glaziologe Haeberli: Die Gletscher der Alpen könnten wir kaum retten. Selbst der Aletschgletscher dürfte Ende des Jahrhunderts grösstenteils verschwunden sein. Dennoch sollten wir alles unternehmen, um den Klimawandel zu verlangsamen. «Wenn wir zuwarten, verlieren wir weitere Optionen, auf die Veränderungen sinnvoll und rechtzeitig zu reagieren», so der Wissenschaftler. Etwa beim Umgang mit Dürren oder bei der Überhitzung der Städte.

Darum will Bio-Bauer Raselli das Null-Emissions-Ziel in der Verfassung verankern. Denn: «Auch wenn die Schweiz das Pariser Abkommen ratifiziert hat, finden unsere Politiker in Bern ständig Ausreden, warum man jetzt doch fossile Brennstoffe braucht.»

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