Die «NZZ am Sonntag» hatte in einem Artikel publik gemacht, dass die Schweiz, seit 2008 Teil des Schengen-Raums, bei Fachgremien wegen ihrer Vergabe von humanitären Schengen-Visa mehrfach kritisiert worden war.
Mit diesen speziellen Visa ermöglicht die Schweiz syrischen Staatsangehörigen mit Verwandten eine erleichterte Einreise. Bis anhin haben rund 4200 Syrerinnen und Syrer davon Gebrauch gemacht.
«Der Schweiz liegt zurzeit keine offizielle, schriftliche Reaktion der EU vor», schreibt das Staatssekretariat für Migration am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Die EU-Kommission ist mit der Schweizer Vergabe-Praxis nicht einverstanden: «Es war nie die Absicht des Gesetzgebers, diese Regelung dazu zu verwenden, solche Visa für schutzbedürftigen Personen zu verwenden.»
Denn gemäss Brüssel sind humanitäre Schengen-Visa nur für ganz bestimmte Fälle vorgesehen, etwa wenn eine Person die Bedingungen für ein Visum nicht erfüllt, sie aber unbedingt in ein Schengen-Land reisen möchte, da ein enger Verwandter schwer krank ist.
Schutzbedürftige Menschen kämen jedoch nicht für kurze Aufenthalte wie das bei humanitären Visa vorgesehen ist, so die EU-Kommission. Sie sollten vielmehr Visa für längere Aufenthalte oder Aufenthaltsrechte nach nationaler Gesetzgebung erhalten, argumentiert Brüssel.
Die Schweiz ihrerseits sieht die Schengen-Regelung nicht verletzt. Man sei zum Schluss gekommen, «dass die gewählten Instrumente rechtskonform und mit dem Schengen-Acquis vereinbar sind», schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM). Ausserdem gilt das erteilte Visum laut SEM nur für den entsprechenden Schengen-Staat.
Die Schweiz hätte zwar auch die Möglichkeit, nationale Visa auszustellen. Man habe auch diese Möglichkeit geprüft, sich aber für die Vergabe von humanitären Schengen-Visa entschlossen, heisst es weiter.
Hauptgrund sei, «dass mit dem räumlich begrenzten Schengen-Visum keine Weiterreise in einen anderen Schengen-Staat möglich ist. Nationale Visa sind hingegen Aufenthaltstitel.» Mit diesen wäre es den Begünstigten auch möglich, in ein anderes Land als die Schweiz einzureisen, was man vermeiden wolle, heisst es aus Bern.
Gemäss dem SEM wird die Vergabe von humanitären Visa von den Schengen-Staaten unterschiedlich gehandhabt, «weshalb die EU zurzeit Informationen über die Praxis der Schengen-Staaten erhebt». Man habe «bislang keinen Überblick über die Praxis der anderen europäischen Staaten und kennt auch die Haltung der EU-Kommission nicht.»
Die Schweiz plant ausserdem noch weiteren rund 1000 Flüchtlinge die Einreise via humanitärer Schengen-Visa zu gewähren. Man sei darüber informiert, heisst es aus Brüssel. «Die EU-Kommission ist in Kontakt mit den Behörden der Assoziierten Schengen-Staaten.»