Die Briten sagen der EU Goodbye. Die Scheidung wird zäh, Experten rechnen mit jahrelangem Streit. Und: London braucht neue Handelsbeziehungen mit allen EU-Staaten. Das hat negative Folgen für die Schweiz, die Hoffnung auf Brüsseler Zugeständnisse bei der Zuwanderung hegte.
EU hat keine Zeit für uns
Der geordnete Austritt der Briten wird Kräfte in den Verwaltungsapparaten in London und Brüssel blockieren. EU-Experte Thomas Schäubli von der Beratungsfirma Wellershoff und Partners sagt dazu: «Die EU hat jetzt weder Ressourcen noch Interesse an Verhandlungen mit der Schweiz.» Vielmehr sei zu erwarten, dass sich die EU in den nächsten Jahren auch sonst stark mit sich selbst beschäftigen wird. Und: «Die EU wird jetzt, wo sie von internen Spannungen belastet wird, der Schweiz kaum noch Sonderrechte gewähren.»
Letzter Ausweg Abstimmung
Lässt die EU uns warten, müssen wir selbst entscheiden: Personenfreizügigkeit – ja oder nein? Schäubli: «Sollte sich eine EU-konforme Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) als unmöglich erweisen, bleiben zwei Optionen»: Bruch mit der EU oder den MEI-Artikel streichen. Die entsprechende Volksinitiative ist schon eingereicht. Auch denkbar: ein Gegenvorschlag, der die Personenfreizügigkeit als Ausnahme verankert. Damit würden Kontingente und Inländervorrang, wie es die MEI fordert, nur für Drittstaaten gelten.
Der bilaterale Weg ist tot
Nach dem Volks-Nein zum EWR-Vertrag 1992 sollte der bilaterale Weg die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln. Nur will die EU keine zusätzlichen Abkommen aushandeln, sofern die Schweiz nicht zu einem Rahmenabkommen bereit ist. Dieses würde bestimmen, ob EU- oder Schweizer Recht vorgeht. Schäubli: «Selbst wenn die MEI EU-konform umgesetzt werden kann oder verworfen wird, droht der bilaterale Weg zu scheitern. Denn für eine automatische Rechtsübernahme sind weit und breit keine Mehrheiten in Sicht.»
Bern prüft Allianzen
Viele Experten und Politiker rechnen damit, dass London jetzt wieder in die Freihandelsorganisation Efta aufgenommen werden will. Doch wäre das möglich? Ja, sagt Efta-Spezialist Christian Frommelt, der am Liechtenstein-Institut forscht. Bedingung wäre einzig, dass alle Mitgliedstaaten (Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz) zustimmen. Wir hätten es also in der Hand, ob das Königreich aufgenommen würde. Für Schäubli ist klar: «Die Schweiz muss schnell entscheiden, was sie von einem Efta-Beitritt Londons hält.»
Fokus auf Handelsdeals
Viele erhoffen sich Chancen aus dem Brexit, wie etwa Hans-Peter Portmann (FDP, ZH), der laut SonntagsBlick an einer Allianz Schweiz-Grossbritannien zimmert. Etwa, um gemeinsame Deals mit der EU oder den USA auszuhandeln. Das schätzt auch Schäubli so ein: «Wenn es der Schweiz nicht gelingt, den bilateralen Weg zu retten, muss sie sich um eine engere Anbindung an andere Weltregionen bemühen. Dazu können Freihandelsabkommen ein gutes Instrument sein.» Nachteil: Der Aufwand für solche Deals ist hoch.