Einhundert Bewerbungen. Zweihundert Bewerbungen. Ein einziges, enttäuschendes Vorstellungsgespräch. So geht es vielen über 50-jährigen arbeitslosen Schweizerinnen und Schweizern.
Rund 59'000 Menschen über 50 sind derzeit auf Stellensuche. Und dies in einem harten Umfeld: Einmal den Job verloren, bleibt ihnen der Arbeitsmarkt oftmals verschlossen. Die Politik, da ist man sich parteiübergreifend einig, ist gefordert.
Es besteht Handlungsbedarf
Die älteren Arbeitslosen sind angekommen in Bern. Sprichwörtlich: Rund vier Dutzend Direktbetroffene trafen sich am Freitagnachmittag im Bundeshaus.
Geladen hatte eine breite Allianz von Nationalräten. Corrado Pardini (SP), Regula Rytz (Grüne), Kurt Fluri (FDP), Cédric Wermuth (SP), Martin Landolt (BDP) und Marianne Streiff-Feller (EVP) sind sich zwar nicht einig, wie das zunehmende Problem gelöst werden soll.
Sie alle erkennen aber Handlungsbedarf. Und wollen die Betroffenen im Herzen der politischen Schweiz ein Gesicht geben. «Das Problem darf nicht länger kleingeredet werden!», ruft Gewerkschafter Pardini, der Kopf hinter dem Treffen, den Anwesenden entgegen.
Er illustriert die Problematik anhand von Stelleninseraten. Neben Qualifikationen und Erfahrungen sei eine der wichtigsten Anforderungen das Alter. «Sie sind zwischen 30 und 50 Jahre jung», heisst es darin etwa.
Bewerben müssen sich die Stellensuchenden trotzdem auf alle möglichen und unmöglichen Arbeitsplätze – in den meisten Fällen ohne Erfolg.
Unzufrieden mit den Arbeitsvermittlungszentren
Nach Referaten der Politiker kommen die Arbeitslosen zu Wort. Dabei stellen gleich eine ganze Reihe von Betroffenen die Arbeit der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren in Frage.
Ein ehemaliger Geschäftsführer eines KMUs mit 1000 Mitarbeitenden wettert, dass er von einem 23-jährigen RAV-Angestellten beraten werde. «Hinzu kommt, dass sie schlicht nicht richtig qualifiziert sind.»
«Hinter Statistiken stehen immer auch Einzelschicksale», sagt Kurt Fluri. Er warnt vor den Folgen. «Frustration kann zu politischen Problemen führen, etwa wenn er sich in Abstimmungen gegen die Bilateralen entlädt», so der Freisinnige. Er macht aber auch klar: «Ich bin grundsätzlich gegen zusätzliche Regulierungen.» Er fragt auch, ob Ältere freiwillig auf einen Teil des Lohns verzichten könnten. «Es darf keine Tabus geben.»
In eine andere Richtung zielt die Linke. Pardini weibelt für seine parlamentarische Initiative, welche Firmen zwingen soll, die Entlassung älterer Arbeitnehmer zu begründen. Und es verbietet, altgediente Mitarbeiter mit einem Federstrich durch jüngere und billigere Angestellte zu ersetzen.
Bei allen Differenzen zwischen den politischen Lagern, der Wille zum gemeinsamen Handeln bleibt. In den nächsten Wochen will die Allianz für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit im Alter nun ein breit getragenes Manifest verfassen.
Arbeitslose erzählen von der schwierigen Stellensuche
Thomas Gyger (57), ehemaliger Fachspezialist SBB: «Die RAV gehören abgeschafft. Die Bürokratie rund um die vorgeschriebenen Bewerbungen ist kaum zu ertragen. Kleinste Fehler werden finanziell bestraft. Die ganze Funktionsweise widerspricht jedem gesunden Menschenverstand und ist schlicht birreweich.»
Norbert Galster (56), Chemie-Ingenieur aus Biel BE, ist seit 2,5 Jahren auf Jobsuche. Früher sass er in Geschäftsleitungen. Heute richte er Bewerbungen an diese, die Absage komme aber von Lehrlingen, erzählt er. «Seine» Elektro-Industrie sei in den letzten Jahren in den Osten abgewandert, nun sei es enorm schwierig, eine neue Stelle zu finden. Dabei sei er für viele Branchen offen und geeignet, versichert er. Galster glaubt aber: «Es gibt eine Altersguillotine. Ab 45 Jahren wird es extrem schwierig, auch nur zu einem Gespräch eingeladen zu werden.»
Urs Stauffer (54) sucht seit dem letzten Herbst eine neue Stelle. Bis anhin konnte er sich ein einziges Vorstellungsgespräch angeln – bei rund 120 Bewerbungen. Der Volketswiler bleibt aber optimistisch. Denn seit kurzem gibt er sich kreativ. «In meinem Motivationsschreiben biete ich künftigen Arbeitgebern an, den Arbeitgeberbeitrag für die zweite Säule selbst zu übernehmen.» Er wisse nicht, ob das rechtlich einwandfrei sei, doch einige Unternehmen hätten sich interessiert gezeigt. «Irgendwie muss man ja aus der Masse herausragen», sagt Stauffer schulterzuckend.
Monika Weintke (55) stand kurz vor der Aussteuerung, doch nun hat die Personalfachfrau in ihrer alten Branche, der Gastronomie, eine Teilzeitstelle gefunden. In diesem Frühling hat sie mehrere Wochen auf einem Bauernhof beim Spargelstechen geholfen. Auch wenn sie die jüngere Vergangenheit inzwischen als Chance begreift, sagt Weintke: «Ich weiss, wie belastend sich die Arbeitslosigkeit auf die Familie, die Partnerschaft, das Privatleben insgesamt auswirkt.»