Tamara Funiciello (27) eckt an. Das ist ihr Job als Präsidentin der Jungsozialisten (Juso). In den sozialen Medien schlägt ihr dafür erschreckender Hass entgegen. Er kommt in Wellen. Wenn eine solche Welle über sie hereinbricht, gibt Funiciello ihre Accounts auf Facebook oder Twitter an eine Drittperson ab. «Bist du voll drin, nimmt das eine unglaubliche Dimension an. Du hast dann das Gefühl, du wirst auf allen Kanälen angegriffen.» Wichtig sei es dann rauszugehen, Abstand zu gewinnen. «Aber die Distanz muss man zuerst hinkriegen.»
Der Hass aus dem Netz kann über jeden hereinbrechen. Doch besonders oft trifft es junge Frauen. Die Kommentare zielen auf ihren Körper, ihre sexuelle Identität. Das betrifft nicht nur Politikerinnen. Paula Deme ist eine Bloggerin, sie schreibt über Frauenthemen, oft kontrovers. Deswegen wird ihr im Netz mit Gewalt gedroht, auch mit Vergewaltigung. Deme ängstigt das nicht. Sie antwortet den Hatern: «Andere runtermachen zeigt deine Armseligkeit, nicht meine. Andere runtermachen macht weder dein Leben besser, noch bekommst du dadurch mehr Selbstbewusstsein.»
Funiciello wundert sich oft, wie viel Zeit manche Menschen zu haben scheinen: «Es gibt Leute, die verbringen Tage auf Facebook, nur um mich bei jedem meiner Posts zu beleidigen und zu bedrohen.»
Funiciello lässt sich nicht beirren
Es brauche Mut, in diesem Hass zu bestehen. Sie sage sich immer wieder: «Ich lasse mich nicht beirren.» Ihr Ziel sei es, dass ihre Nachfolgerin nicht erleben muss, was sie erlebt. Und sie fragt sich, ob es mehr Frauen in der Politik geben würde, wenn der Hass nicht wäre.
Mario Gmür beschäftigt sich schon lange mit Opfern öffentlichen Hasses; er hat ein Buch darüber geschrieben und begleitet Betroffene. Der Psychiater weiss, was der Hass bewirken kann: Depression, Selbstzweifel, suizidales Verhalten.
Bei den Hatern sehe er auch eine stark sadistische Komponente. Gepaart sei deren Lust am Quälen mit experimenteller Neugierde: Wie reagiert der Betroffene?
Waren es früher Zeitungen, die Menschen zu Medienopfern machten, sei heute jeder potenzieller Täter – und potenzielles Opfer. «Das gibt dem Ganzen den Charakter eines Bürgerkrieges.» Wenn man zum Ziel des Hasses werde, könne es helfen, sich zur Wehr zu setzen. «Man muss den Täter entlarven und damit den kriminellen Charakter seines Tuns offenlegen.»