Blocher über den Rechtspopulismus, die Asylpleite und seinen Kampf gegen die EU
«Der Siegeszug der Extremisten macht mir Sorgen»

SVP-Chefstratege Christoph Blocher sieht den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa kritisch. Besonders problematisch sei der französische Front National. Blocher äussert sich im Interview auch zum verlorenen Asylreferendum: Die Abstimmungspleite helfe der SVP auf längere Sicht.
Publiziert: 12.06.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2018 um 18:02 Uhr
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Christoph Blocher blickt mit Sorge auf den Aufstieg von Donald Trump und Co.
Foto: Valeriano Di Domenico
Interview Simon Marti, Sermîn Faki

SonntagsBlick: Herr Blocher, wie geht es Ihnen nach der zweiten Abstimmungspleite in Folge?
Christoph Blocher:
Leider wurde das neue Asylgesetz gutgeheissen. Sorgen bereitet mir im Zusammenhang mit den Problemen rund um die Zuwanderung aber auch der damit verbundene Siegeszug der Extremisten, die eine geordnete Politik ablehnen. Schauen Sie nur nach Europa oder in die USA.

Ist Ihnen der Gedanke an einen Präsidenten Donald Trump tatsächlich unheimlich?
Nein, aber das Phänomen dahinter. Das Erstarken dieser Bewegungen zeigt, dass die Bürger den Glauben an die etablierten Politiker verloren haben. Das muss zu denken geben. Dank der direkten Demokratie und der SVP ist es in der Schweiz zum Glück noch nicht so weit gekommen.

Die Schweizer glauben noch an die Politik?
Das wäre übertrieben. Aber weil die SVP die Zuwanderung und den Asylmissbrauch nicht nur anprangert, sondern ernsthaft Abhilfe schafft, gibt es hier keinen Raum für extremistische Bewegungen.

Moment. Die SVP weist selbst alle Elemente einer rechtspopulistischen Bewegung auf: Sie sind der Volkstribun, schiessen gegen die Classe politique, machen Stimmung gegen Ausländer. Das soll ein Bollwerk gegen Populismus sein?
Genau diese Stigmatisierung führt zum Extremismus. Parteien, welche die herrschenden Zustände hinterfragen und den Finger auf die Versäumnisse der Politik legen, sind keine  «rechtspopulistischen» Bewegungen. Es ist typisch: Wer sich gegen die Einbindung der Schweiz in die EU und für die schweizerische Selbstbestimmung einsetzt, wird in diese Ecke gestellt. Doch grenzt man besorgte Bürger aus, radikalisieren sich diese, ob rechts oder links.

Also sind Sie der Franz Josef Strauss der Schweiz? Vom ehemaligen bayrischen CSU-Ministerpräsidenten stammt die Losung, dass es rechts von ihm keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.
Diese Losung habe ich für die SVP immer vertreten. Die Partei hat das geschafft, indem sie jene Anliegen aufgreift, die sonst «Populisten» in die Hände spielen: Überall in Europa, aber auch in den USA ist die Massenzuwanderung und der Asylmissbrauch das vorherrschende Problem. Diese Stimmung im Volk muss man ernst nehmen und nicht verdrängen.

Sie distanzieren sich von FPÖ, AfD, Front National und Ukip. In Tat und Wahrheit kopieren diese aber die SVP. Ihre Partei gilt als Aushängeschild der Rechtspopulisten.
Ich kenne diese Parteien nur aus den Medien. So habe ich weder Frau Le Pen jemals getroffen noch Herrn Haider. Die SVP ist eine Schweizer Partei und hat für die Schweiz zu schauen.

Inhaltlich wären die Parteien kein Problem?
Mit der Politik der Ukip in England haben wir weniger Mühe als mit dem Front National, denn der ist nicht nur für nationale Selbstbestimmung, sondern auch sozialistisch. National und sozialistisch – ein problematisches Gemisch. Die SVP ist zwar immer für eine souveräne Schweiz eingestanden, aber als liberal-konservative Partei.

Verschiedene SVP-Exponenten haben weniger Hemmungen: Lukas Reimann posiert mit AfD-Chefin Frauke Petry und Ukip-Chef Nigel Farage, SVP-Staatsrat Oskar Freysinger ist gern gesehener Gast beim Front National.
Es ist doch nicht verboten, mit solchen Leuten zu sprechen! Aber ich als Verantwortlicher für die Strategie der SVP muss hier vorsichtiger sein. Ich habe Oskar Freysinger und anderen Exponenten immer etwas Zurückhaltung nahe gelegt. Die Gefahr, instrumentalisiert zu werden, ist gross.

Wenden wir uns wieder der Schweiz zu: Die SVP hat das Asylreferendum verloren. Warum?
Das war zu erwarten. Bundesrat und Parlament haben versprochen, in Zukunft würden Asylgesuche schneller erledigt, und die unechten Flüchtlinge würden ausgeschafft. Das sind Ziele der SVP-Asylpolitik. Bei der Vorlage ging es um technische Fragen.

Dennoch haben Sie das Referendum ergriffen.
Die SVP hat im Parlament unzählige Verbesserungsanträge gestellt, welche von den anderen Parteien aber abgelehnt wurden. Ohne Referendum hätte man uns später vorgeworfen, wir seien auch dafür gewesen. Aber die Quittung für dieses Ja an der Urne wird kommen – und sie wird teuer, da können Sie sicher sein. Darum, obwohl die SVP die Abstimmung verloren hat, haben wir in der Sache gewonnen.

Wie das? Nur 33 Prozent Zustimmung sind ein Tiefpunkt.
Haben Sie nicht bemerkt, dass FDP und CVP nun eine härtere Gangart in der Asylpolitik fordern? Das ist unser Erfolg. Volksinitiativen und Referenden darf man nur einreichen, wenn man «Figgi und Mühli» hat. Hätten wir gewonnen, liefe es künftig besser im Asylwesen. Jetzt haben wir verloren, die Asylmisere geht weiter, aber die Partei steht glaubwürdig da.

Die SVP ist seit Jahresbeginn wieder mit zwei Bundesräten in der Regierung vertreten. Das Ende des Oppositionskurses?
Die SVP ist jetzt vollwertige Regierungspartei. So hoffen wir, weniger Initiativen und Referenden lancieren zu müssen. Ausnahme ist die jetzt anstehende Auseinandersetzung in der Europafrage. Wir werden uns gegen die geplante Einbindung der Schweiz in die EU wehren. Ich habe mich aus dem Nationalrat zurückgezogen, um mich einzig auf diesen Kampf gegen den geplanten Rahmenvertrag zu konzentrieren.

Entscheidend wird sein, wie sich die Wirtschaft positioniert. Die Verbände wollen die bilateralen Verträge auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Sollte dies nur mit einem Rahmenvertrag möglich sein, haben Sie nicht nur die Parteien, sondern auch die Wirtschaft gegen sich.
Wenn es so weit kommen sollte, werden wir auch das tragen müssen, wie 1992 im Kampf gegen den EWR.

Gegen die Vorlage des Bundesrats können Sie das Referendum ergreifen. Werden Sie die Selbstbestimmungsinitiative dennoch einreichen?
Auf jeden Fall. Die Initiative gegen fremde Richter und für die rechtliche Selbstbestimmung verlangt, dass die Bundesverfassung und nicht schwammiges internationales Recht in der Schweiz gelten soll. Spätestens im September reichen wir die Initiative ein. Die Unterschriften sind beisammen.

Im Moment laufen die Verhandlungen der SVP mit der Wirtschaft zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Wie ist der Stand?
Die Unternehmer anerkennen zunehmend, dass die masslose Zuwanderung gesenkt werden muss. Der Zuwanderungsartikel in der Bundesverfassung berücksichtigt auch die Bedürfnisse der Wirtschaft. Angestellte, die man in der Schweiz nicht findet, können im Ausland rekrutiert werden. Der Inländervorrang bei der Stellenbesetzung scheint sich durchzusetzen und die ganz verheerende Zuwanderung ins Sozialsystem soll ebenfalls angegangen werden. Konkrete Lösungen müssen im Detail noch ausgearbeitet werden.

Das heisst?
Ein Beispiel: Für uns dürfen Ausländer nur mit einem gültigen Arbeitsvertrag oder einer verbindlichen Offerte dazu einreisen. Heute können sie samt Familie sechs Monate mit Wohnsitz in der Schweiz eine Stelle suchen. Wenn sie keine Stelle finden, bleiben sie hier und sind Sozialhilfeempfänger. Weiter offen ist die Karenzzeit im Falle der Arbeitslosigkeit.

Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Jemand muss wenigstens ein Jahr in der Schweiz gearbeitet haben, bevor er Arbeitslosenunterstützung bekommt. Die SVP hat ursprünglich sogar zwei Jahre gefordert, wir sind aber bereit, uns zu bewegen. Auch bei der Beschränkung des bewilligungs- und kontingentsfreien Aufenthalts: Wir wollten diesen auf vier Monate begrenzen, die Wirtschaft fordert ein Jahr. Das kommt nicht in Frage. Der Tourismus will mindestens neun Monate. Das ist für uns denkbar, wenn es eine befriedigende Gesamtlösung gibt.

Die Zeit drängt: Die Brexit-Abstimmung steht vor der Tür ...
Das hat uns nicht zu kümmern. Die Bundesverfassung sieht ausdrücklich jährliche Kontingente und Höchstzahlen vor. Über die Ausgestaltung und unter welchen Bedingungen diese Kontingente angewendet werden, ist noch zu streiten. Die SVP ist dazu bereit, aber kann nur einer Lösung zustimmen, die die masslose Zuwanderung senkt und die Anstellung fehlender Arbeitskräfte gewährleistet.

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