Lange, lange wusste niemand, was der Uno-Migrationspakt eigentlich ist. Doch im Sommer – als der Text der rechtlich nicht verbindlichen Absichtserklärung fertig war – kam plötzlich Bewegung in die Sache.
Die USA kündigten an, dem Text nicht zuzustimmen, später folgten Ungarn, Australien, Polen, Österreich und weitere Staaten. Zuletzt kündigte auch Israel an, Mitte Dezember nicht ins marokkanische Marrakesch zu reisen, wo der Pakt verabschiedet werden soll.
Bundesrat will abwarten
Auch die Schweiz wird nicht dabei sein. Das hat der Bundesrat heute entschieden. Zur Begründung führt er vier Vorstösse an, die in der Wintersession in den National- und Ständerat kommen. Zwei davon fordern, dass die Schweiz dem Pakt nicht zustimmt. Die beiden anderen, dass das Parlament darüber entscheiden soll, ob die Schweiz Ja sagt oder nicht.
Aussenpolitik liegt prinzipiell in der Kompetenz des Bundesrats. Er könnte dem Pakt also ohne weiteres zustimmen. Doch bei «Verträgen von grosser Reichweite» sollte er das Parlament konsultieren. Das hat er nach Ansicht vieler bürgerlicher Parlamentarier nicht ausreichend getan.
Migration löst Unbehagen aus
Bundesrat und Schweizer Diplomaten wiederholen gebetsmühlenartig, dass der Pakt keine negativen Auswirkungen auf die Schweiz haben werde.
Und doch glaubt man ihm nicht.
Denn im Dokument finden sich viele Formulierungen, die als Zwängerei verstanden werden. Etwa die Absicht, dass Medien, die gegen Migranten hetzen, nicht staatlich gefördert werden sollen. Nicht wenige wittern darin einen Angriff auf die Pressefreiheit.
Doch das Problem liegt tiefer: Der Aufschrei war auch darum so gross, weil der Uno-Pakt Migration als etwas Positives darstellt – Einwanderung in der Bevölkerung aber vor allem Unbehagen auslöst.
Ein Jahr vor den Wahlen nahmen einige Schweizer Parteien diesen Ball dankbar an. Allen voran die SVP. Der Migrationspakt war ein willkommenes Feindbild im Abstimmungskampf für die Selbstbestimmungs-Initiative.
Der Bundesrat hat Dokument unterschätzt
Bei aller Instrumentalisierung: Der Bundesrat hat die öffentliche Wirkung des Dokuments unterschätzt. Wie sich zeigt, hätte er ihn im Parlament besser abstützen müssen. Migration ist ein Thema mit Sprengpotenzial. Es ist tödlich, wenn sich Aussenpolitiker wie FDP-Ständerat Philipp Müller und CVP-Präsident Gerhard Pfister gegen ein Abkommen stellen.
Der Pakt ist wohl zwischen Tisch und Bank gefallen. Oder zwischen Aussenminister Ignazio Cassis und seinen Vorgänger Didier Burkhalter. Begonnen haben die Verhandlungen noch unter Burkhalter, abgeschlossen wurden sie unter Cassis.
Und im Aussendepartement hatte er kaum erste Priorität. Diese liegt bei der Verhandlungen mit der EU. Im Vergleich zum Migrationspakt hätte das Rahmenabkommen sehr konkrete Auswirkungen auf die Schweiz – da gab man ihm den Vorzug.
Kein Ticket nach Marrakesch
Verständlich, aber das rächt sich jetzt. Der Bundesrat dürfte in der Wintersession eine Niederlage erleiden. Es ist kaum vorstellbar, dass das Parlament ihm ein Flugticket nach Marrakesch in die Hand drückt. Die Schweiz wird dem Pakt nicht zustimmen.
Ein herber Verlust es ist nicht: Das Ansehen der Schweiz in der Uno dürfte leiden. Untergehen wird unser Land nicht.