Danger Zone. Die Luftwaffenbasis der Royal Air Force in Lossiemouth ist schwerbewachtes, militärisches Sperrgebiet und alles andere als schottische Highland-Idylle. Zehn Stunden am Tag pfeift und faucht es hier am Himmel: Es kreischt und quietscht wie die Autopneus eines Formel-1-Boliden bei einer Vollbremsung.
Dazu passt die Kerosin-geschwängerte Luft, die einem auf dem Rollfeld in der Nähe der Jets in warmen, vibrierenden Wellen entgegenbrandet. Tausende Liter Treibstoff verheizen hier noch bis am 7. Dezember alleine 40 Schweizer Piloten mit ihren F/A-18.
Unsere Luftwaffe hat auf dem Nato-Stützpunkt für die Übung «Scotnight» elf Maschinen und 18 Seecontainer Material stationiert. 100 Angehörige des Bodenpersonals stehen den Piloten während vier Wochen in zwei Ablösungen zur Seite. Das jährlich stattfindende Nachtflug-Training ist aus jeder Perspektive ein Kraftakt. Aber unbedingt notwendig, wie Bernhard Müller (61), Kommandant der Schweizer Luftwaffe, gegenüber BLICK betont.
BLICK: Divisionär Müller, ist unsere Luftwaffe wirklich fit genug, wenn sie in der Schweiz im Winter nur gerade vier Stunden pro Woche Nachtflug übt und im Ausland 35 Stunden während vier Wochen?
Bernhard Müller: Ja, wir bewegen uns auf Augenhöhe mit anderen Nationen. Im Bereich des Nachtflugtrainings sind wir aber sicher am absoluten Minimum. Deshalb sind diese Trainings in Schottland von enormer Bedeutung: Sie bringen uns in kurzer Zeit ein grosses Stück weiter.
In Schottland ist das Fliegen mit Kampfjets billig: Der Liter Kerosin kostet hier 71 Rappen, in der Schweiz 1,33 Franken. Wie sehr spielt das Geld eine Rolle?
Eine sehr grosse. Wir verbrauchen in Schottland rund 1,5 Millionen Liter Kerosin in vier Wochen. Dabei sparen wir gegenüber den Preisen in der Schweiz rund 930'000 Franken. Damit können wir alle anderen Kosten für den Materialtransport, die Unterkünfte und weiteres decken. Der Aufenthalt hier in Schottland ist also kostenneutral. Günstiger geht es kaum.
«Take My Breath Away» – getreu dem Song aus dem Film-Klassiker «Top Gun» mit Tom Cruise bleibt einem auch um die schnittigen Piloten in Lossiemouth schier der Atem weg. Zwei der drei britischen Typhoon-Geschwader auf dem Stützpunkt sind in ständiger Bereitschaft. Die Schweizer Piloten trainieren mit gestählten, kampferfahrenen Briten.
Sind die kriegserfahrenen britischen Piloten ernsthaft eine Vergleichskategorie für unsere Luftpolizisten?
Die Schweizer Armee muss auf Verteidigungsfähigkeit ausgerichtet sein. Das steht so in der Verfassung. Unsere Kampfjetpiloten brauchen dafür Know-how, das wir uns im Gesprächsaustausch und in gemeinsamen Trainings erarbeiten können.
Ist es neutralitätspolitisch vereinbar, wenn unsere Militärpiloten auf einem Nato-Stützpunkt üben, der in voller Kampfbereitschaft ist?
Grundsätzlich ist Lossiemouth ein britischer Stützpunkt, der von der Nato mitgenutzt wird. Wir haben bilaterale Abkommen mit den Briten und technische Abkommen mit der Nato. Um Neutralitätspolitik geht es erst dann, wenn es Krisen gibt, in welche die Schweiz involviert werden könnte. Die Schweiz ist über die «Partnerschaft für den Frieden» in die Nato-Ausbildungsprogramme eingebunden. Für Friedenseinsätze ist es wichtig, gemeinsam zu üben. Denn wenn es eine Krise gäbe, hätten wir dafür keine Zeit mehr.
Eine Herausforderung sind in Schottland auch die Wetterbedingungen. Selbst wenn es bis Mitte November aussergewöhnlich warm ist: Schon in wenigen Tagen werden den Jet-Piloten beissend scharfer Wind, Regen und Schnee mit 100 Stundenkilometern ins Gesicht peitschen.
Den Tom-Cruise-Fliegeranzug verstauen die Piloten deshalb gerne in der Garderobe, wenn es auf einen der drei täglichen «Waves» – so heissen die Übungen – über dem eiskalten Meer geht, bis zu 250 Seemeilen von der Küste entfernt. Auf die Unterwäsche folgen ein Pyjama «Modell Calida 70er-Jahre» mit Reissverschluss und Bördchen, ein wasserdichter Ganzkörper-Trockenanzug, Kompressionsgurt und -hosen, zwei Paar Handschuhe und Kappe unter dem Helm sowie schliesslich ein rund 10 Kilo schweres Gurtgilet inklusive Schwimmweste und Atemschutzmaske. Sexy sieht anders aus: Wie Ausserirdische schlurfen die Piloten zu ihren Jets.
Herr Müller, haben Sie manchmal Angst um ihre jungen Kampfjetpiloten?
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Aber Respekt braucht es. Die Bedingungen in der schwarzen Nacht über dem Meer sind speziell, man ist nicht zu Hause. Richtig entspannt ist man erst, wenn spätabends alle sicher am Boden sind.
«Heaven in Eyes» – auch dieser «Top Gun»-Song passt zum weiten Himmel über der Nordsee. Geübt werden Tiefflüge bis 1500 Meter herunter. In der stockdunklen Nacht absolvieren die Herren der Lüfte Überschallflüge, Parcours, taktische Kampfstrategien und Waffeneinsatz mit anderen Piloten. Die Männer kämpfen untereinander um die Starts. Spürt einer einen leichten Druck auf den Ohren, geben sich alle anderen besorgt, dass er sich ja gut auskuriert.
Doch bevor die Piloten jeweils ihre mausgrauen Maschinen wie Katzen über die Piste schleichen lassen und sich dann urplötzlich wie aus dem Stand donnernd in den Nachthimmel absetzen – finden Wetter- und Strategiebriefings mit den Fluglehrern statt. «Das ist hier kein Rodeo, sondern jedes Detail, jeder Sicherheitsparameter wird stundenlang vorbesprochen», sagt Aldo Wicki (56), Kommandant des Detachements. Und nach jedem Flug werten die Piloten ihre Leistungen wieder mittels Daten- und Bildträgern aus.
Haben Sie im richtigen Moment geschossen? Hätten Sie den Feind erwischt? Wie gut war das Zusammenspiel im Team? Als Belohnung warten dann aber weder Alpenbitter noch Whisky – sondern ein (selber bezahltes) Glas Bier an der Bar im «Stotfield Hotel» – einer in die Jahre gekommenen Unterkunft der Piloten direkt am Strand von Lossiemouth, wo sie sich frühmorgens joggend trimmen.
In Schottland trainieren ganz junge Militärpiloten, die im Januar während des WEF in Davos in einem Ernstfall nachts, tief in den Tälern zum Einsatz kämen. Warum übt das die Schweizer Luftwaffe über der Nordsee, bei ganz anderen Bedingungen?
Diese Übungsflüge hier haben andere Vorteile: Die Lufträume sind viel grösser, die Piloten können viel tiefer fliegen und sie können ein breiteres Spektrum trainieren. Gerade für die Jungen ist es in der jetzigen Ausbildungsphase das Beste, was wir ihnen bieten können. Die enge Schweizer Geografie schränkt ein.
Aber sagten Sie nicht selber «Das, was die Qualität unserer Piloten ausmacht, ist die Vertrautheit mit unserem Gelände»?
Dabei bleibe ich. Nach den Trainings in Schottland können sich die Piloten in der Schweiz auf anderes konzentrieren, das sie dazu befähigt, in unseren engen Tälern zu fliegen. Auch nachts, denn ab 2020 leisten wir Luftpolizeidienste an 365 Tagen und rund um die Uhr.
«Through the fire» – durchs Feuer wie in «Top Gun» gehen auch die Maschinen. Die F/A-18 werden hier stark beansprucht, was ihnen technisch gesehen guttut und sie weniger pannenanfällig macht. Die mitgeführten Werkzeuge, Ersatzteile und Mechanik – so steht im riesigen Hangar ein ganzes Triebwerk – zeigen, welchen Aufwand die Schweizer Luftwaffe betreibt.
Läuft die Lebensdauer unserer Kampfflugzeuge eigentlich schneller ab, wenn sie in Schottland über dem salzhaltigen Meer herumdüsen?
Nein, überhaupt nicht. Die Turbinen werden gewaschen, und die Jets brauchen die üblichen 100-Stunden-Kontrollen. Sie sind aber in einem hervorragenden Zustand!
Wie bitte? Dann hat die SP recht, wenn sie sagt, dass man die F/A-18 durchaus länger als 2030 einsetzen könnte?
Nein! Die Jets sind zwar heute in einem guten technischen Zustand, aber ihre Lebensdauer geht zu Ende. Das hängt mit der besonderen Klebetechnik zusammen, die beim F/A-18 angewendet wird. Die Maschinen besassen einmal eine Garantie für 5000 Stunden, dann haben wir diese für viel Geld auf 6000 Stunden erhöht. Sie nochmals zu erhöhen, würde rund eine Milliarde Schweizer Franken kosten. Das grösste Problem aber wäre, dass wir nach 2030 definitiv die Einzigen wären, die den F/A-18 fliegen. Jede Software-Entwicklung, jedes Ersatzteil, das dann notwendig würde, wäre immens teuer.
Welchen neuen Kampfjet-Typ favorisieren Sie?
Wir können sie noch nicht beurteilen, denn alle haben sich seit den Evaluationen vor der letzten Abstimmung 2014 massiv weiterentwickelt. Wir sind sehr gespannt, wenn die Flugzeuge 2019 für Tests in die Schweiz kommen.
Wenn die Innovation so schnell weitergeht: Kämpfen wir in zehn Jahren mit Drohnenschwärmen über der Nordsee gegeneinander?
Das sind Überlegungen, die man sich weltweit für die Kampfflugzeuge der 6. Generation macht. Diese würden dann nicht nur selbst im Einsatz stehen, sondern auch noch Drohnenschwärme mitführen. Aber das sind bis jetzt Ideen auf dem Reissbrett. Ich bin sehr gespannt, wie sich das alles in den nächsten Jahren entwickelt.
Bleibt die Frage, wie lange die Schweizer Luftwaffe noch auf britischen Stützpunkten üben kann. An den Schotten läge es nicht. Lärmklagen kennen sie nicht, auch wenn es am Tag gerademal für rund 10 Stunden ruhig ist.
Zumindest fast ruhig: Denn stehen die Jets still, kreischen die Seemöwen. Zu den «Top Gun»-Helden gesellen sich Hitchcocks Vögel. Vor ihnen haben die Jetpiloten sogar richtig Schiss. «Kommt einer ins Triebwerk, dann gute Nacht», sagt Julien «Teddy» Meister (38). Der Fluglehrer und ehemalige F/A-18-Demopilot beisst krachend in einen Apfel und macht Feierabend. 1319 Kilometer von der Schweiz entfernt.