BLICK begleitet Tamara Funiciello (SP) und Esther Friedli (SVP) an ihrem ersten Tag im Bundeshaus
Friedli betet, Funiciello protestiert

Esther Friedli und Tamara Funiciello sind zwei der 79 Neuen im Nationalrat. BLICK hat die beiden so unterschiedlichen Frauen am ersten Tag im neuen Amt begleitet – in die Kirche und an die Demo.
Publiziert: 02.12.2019 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2019 um 14:35 Uhr
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Bevor es ab ins Bundeshaus geht, trinkt SP-Nationalrätin Tamara Funiciello einen Kaffee.
Foto: Peter Gerber
Lea Hartmann und Ladina Triaca

Viele von ihnen haben von diesem Tag geträumt – andere nicht zu träumen gewagt: 79 Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben gestern im Bundeshaus ihr Amt angetreten. Unter ihnen sind so viele Frauen wie nie zuvor. Nach den Wahlen vom 20. Oktober sind 41,5 Prozent des Nationalrats weiblich.

Zwei der siegreichen Frauen heissen Tamara Funiciello (29) und Esther Friedli (42). Die ehemalige Juso-Präsidentin und die SVP-Sekretärin, Lebenspartnerin des ehemaligen Parteipräsidenten Toni Brunner (45), könnten politisch kaum unterschiedlicher ticken. Ebenso verschieden starteten die beiden in ihr neues Amt. BLICK hat Funiciello und Friedli am ersten Tag in Bundesbern begleitet.

10.38 Uhr: Frühaufsteherin Funiciello

Es ist nicht ihr erster Kaffee heute. Seit sechs Uhr morgens ist Tamara Funiciello auf den Beinen. «Ich bin eine Frühaufsteherin», sagt die ehemalige Juso-Präsidentin beim Cappuccino im Berner Colonial. «Unser vierter WG-Mitbewohner Matteo ist gestern eingezogen. Da haben wir um viertel nach sechs erst einmal gemeinsam g'käfelet.» Danach habe sie ein paar Dehn- und Kraftübungen gemacht, um ihre überschüssige Energie abzubauen: «Schliesslich muss ich heute den ganzen Tag sitzen!»

11.34 Uhr: Ein Kälbchen zur Wahl

Esther Friedli ist im Stress. Mit einigen Minuten Verspätung drückt sie ihren Eltern Pia (72) und Hans-Peter (73), die im Santa Lucia bereits am gedeckten Tisch sitzen, einen Kuss auf die Wange. An jeder zweiten Ecke sei sie von jemandem aufgehalten worden. Und auch im Restaurant trifft sie Bekannte. Die Familie stösst mit einem Glas Hauswein an. «Auf deinen grossen Tag», sagt Mutter Pia. Dann zückt Friedli das Handy, um den neusten Zuwachs der Familie zu präsentieren: ein Ehringer-Kälbchen, keine zwei Wochen alt. Dessen Mutter habe sie einst von Toni geschenkt bekommen, erzählt sie. Brunner, bis vor kurzem ebenfalls Nationalrat, blieb heute zu Hause – bewusst. Nun hat schliesslich nicht mehr er in Bern mitzumischen, sondern sein «Schatz».

12.30 Uhr: Beten im Münster

Nach dem frühen Zmittag machen sich Friedlis ins Berner Münster auf. Dort findet zum Legislaturstart ein überkonfessioneller Gottesdienst statt. Die Anzahl Parlamentarier, die Gottes Segen suchen, ist überschaubar. Für Friedli, ehemalige Ministrantin, steht der Kirchenbesuch aber ausser Frage. «Es geht darum, Kraft zu holen für das Amt. Ich bin ihm gegenüber sehr demütig», sagt die SVPlerin – und eilt zum nächsten Programmpunkt. Die Sitzung der Bauernvertreter im Parlament hat bereits begonnen, als sie ins Sitzungszimmer im Bundeshaus huscht. Ein wichtiger Termin für Friedli, die ihren Fokus auf Gewerbe-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik legen will.

13.45 Uhr: Windeln vor dem Bundeshaus

Die Frauenstreik-Frauen empfangen Funiciello vor dem Bundeshaus mit offenen Armen, violetten Plakaten – und weissen Windeln. Diese drücken die Aktivistinnen den eintreffenden Parlamentariern in die Hand, um auf die Interessen von Kinderbetreuerinnen aufmerksam zu machen. Funiciello packt gleich mit an. «Tamara ist eine unserer wichtigsten Botschafterinnen», sagt eine der Organisatorinnen. «Sie wird den Frauenstreik ins Bundeshaus tragen.»

13.50 Uhr: Die Mutter muss warten

Vor dem Bundeshaus stehen weit über 100 Angehörige Schlange, um bei der Vereidigung ihrer Liebsten dabei zu sein. Mittendrin Funiciellos Mutter Lotti (65) und ihr Bruder Leandro (27). Viel gemeinsame Zeit vor dem Security-Check bleibt den drei nicht. «Machs gut», sagt die pensionierte Kauffrau nach einer kurzen Umarmung zu ihrer Tochter, «viel falsch machen kannst du nicht.»

15.02 Uhr: Hände hoch zum Schwur

Friedli hat sich den Moment feierlicher vorgestellt. Doch weil so viele Neue gewählt wurden, bleibt keine Zeit dafür, jeden Parlamentarier einzeln zu vereidigen. Stattdessen heben alle Nationalrätinnen und Nationalräte gleichzeitig die Hand zum Schwur. Auf der Tribüne verfolgen die Familien Friedli und Funiciello den wichtigen Augenblick. Als erste Amtshandlung wählt der Nationalrat anschliessend eine neue Präsidentin – bevor es zum Apéro geht.

19.00 Uhr: Anstossen, plaudern, Kontakte knüpfen

Friedli ist geschafft, doch der Tag ist es noch nicht. Die SVP-Nationalrätin wird bereits an einem Anlass der Ostschweizer Regierungskonferenz im Haus der Kantone erwartet. Anstossen, plaudern, Kontakte knüpfen: Friedli tut, was sie heute bereits zur Genüge getan hat und die nächsten vier Jahre noch oft tun wird. Danach gehts ins neue Daheim, das sie mit der Obwaldner Nationalratskollegin Monika Rüegger (51) teilt. Friedli: «Eine WG finde ich eine gute Sache, aber nur mit Leuten aus der gleichen Partei.»

19.30 Uhr: Strozzapreti mit der Freundin

Im Restaurant Luce stossen nun auch Funiciellos Vater Remigio (65) und ihre Freundin dazu. Die ehemalige Juso-Präsidentin steht seit Juni öffentlich zu ihrer Bisexualität. Sie ist die einzige geoutete Frau im Bundeshaus. Und sie will den «Frauen liebenden Frauen» eine Stimme geben. Bevor sie aber politisch in Bundesbern loslegt, gibts jetzt einen Teller Strozzapreti – darauf hat sich die Neo-Nationalrätin schon den ganzen Tag gefreut.

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