Die Stimmung bei der SVP war schon schlecht, bevor die ersten Ergebnisse vorlagen. Die Eier schmecken nicht, klagten gestern einige SVP-Sympathisanten, die sich mit der Parteispitze in einer Winterthurer Bar zum Abstimmungsbrunch trafen.
Heiterer wurde es für sie trotz Bier an diesem grauen Tag nicht. Die Volkspartei erlitt mit ihrer Selbstbestimmungs-Initiative eine heftige Schlappe: Nur gerade jeder dritte Schweizer stimmte für das Ansinnen, das von Blocher und Co. zum Sein oder Nichtsein der Schweiz hochstilisiert worden war.
Es ist eine weitere schallende Ohrfeige für die SVP. Seit Rösti im April 2016 das Amt als Parteichef von Toni Brunner (44) übernommen hat, kassiert die Partei in ihren zentralen Themen Klatsche um Klatsche. Schon beim Asylgesetz und der erleichterten Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation hatte Röstis SVP beim Volk nicht den Hauch einer Chance.
Rösti punktet ausserhalb der SVP nicht
Wie aber sieht die Bilanz des braven, konzilianten und wenig polternden Berner Oberländers an der Seite von Parteiübervater Christoph Blocher (78) aus? Und waren seine angriffigeren Vorgänger Toni Brunner (44) und Ueli Maurer (67) im Kampf gegen die von ihnen gescholtene «Classe politique» erfolgreicher?
BLICK wollte es genau wissen und hat alle Volksabstimmungen seit 1996 analysiert, bei denen die Sünneli-Partei anderer Meinung war als die Mehrheit des Parlaments. Mit Daten des Bundes, dem Swissvotes-Datensatz von Année Politique Suisse und Angaben der SVP.
Das Ergebnis ist eine weitere Ohrfeige für Rösti: Bei den zehn Urnengängen unter seiner Ägide scharte die Volkspartei im Schnitt nur 37 Prozent des Volkes hinter sich. Das ist dürftig. Um mit einem Thema auch ausserhalb der SVP zu punkten und damit neue Wähler anzulocken, müsste sie die 40-Prozent-Grenze knacken.
SVP setzt aufs falsche Pferd
Rösti setzte ganz offensichtlich auf Themen, die sich als Rohrkrepierer erwiesen. So fassten die Delegierten etwa trotz kritischer Stimmen die Ja-Parole zur No-Billag-Initiative, die sang- und klanglos unterging.
Der aktuelle Parteiboss erzielte in seiner bald dreijährigen Amtszeit nur einen Achtungserfolg: Beim Energiegesetz stimmten immerhin 42 Prozent der Schweizer nach dem Gusto der Rechtspartei. Gegen Bundesrat und Parlamentsmehrheit kann Rösti ebenfalls nur einen Erfolg aufweisen: Zusammen mit der FDP und Linksaussen-Organisationen bodigte man die AHV-Revision.
Nur einem Sieg, der notabene mehr der FDP zugeschrieben werden muss, stehen also acht Niederlagen gegenüber. Röstis Kampf gegen Mitte-links – er ist mit einer Erfolgsquote von nur elf Prozent vorerst gescheitert.
Brunner gewann jede fünfte Volksabstimmung
Erfolgreicher war Toni Brunner, der die Partei von 2008 bis 2016 führte und letzte Woche seinen Rücktritt als Nationalrat bekannt gab. Ganze 34 Mal zog die SVP unter Brunner in die Schlacht gegen die Parlamentsmehrheit. Sieben Mal brachte sie das Volk auf ihre Seite – eine Siegesquote von 21 Prozent.
In die Ära Brunner fallen auch die beiden einzigen erfolgreichen SVP-Initiativen: die Ausschaffungsinitiative von 2010 und die Masseneinwanderungs-Initiative von 2014. Doch der Toggenburger verantwortet auch viele Misserfolge. So setzte es mit den Initiativen «Staatsverträge vors Volk» und «Volkswahl des Bundesrates» jeweils regelrechte Debakel ab.
Und einmal hatte die SVP gar nur 12 Prozent der Schweizer auf ihrer Seite: 2014 im Kampf gegen den Bundesbeschluss über die medizinische Grundversorgung. Diese Flops führen dazu, dass Brunner über alle Urnengänge mit 40 Prozent nur ein wenig besser abschneidet als Rösti.
Maurer, der Regulierungsschreck
Weitaus besser erkannte Ueli Maurer, was das Volk bewegte. Der Langzeit-SVP-Präsident (1996 bis 2008) gewann mehr als jede vierte Volksabstimmung gegen die kritisierte «Classe politique»: acht von 29 Urnengängen. So siegte der Zürcher etwa bei der Verwahrungsinitiative. Und er bodigte reihenweise Gesetze: von erleichterten Einbürgerungen über eine Mehrwertsteuererhöhung bis hin zur Mutterschaftsversicherung.
Was auffällt: Maurer suchte die Entscheidung an der Urne weniger oft als seine Nachfolger. Er setzte bewusst auf jene Themen, bei denen er eine Chance sah. Nur zweimal – bei Abtreibung und Drogen – gab es eine Blamage.
Im Durchschnitt aller 29 Urnengänge gelang es dem heutigen Bundesrat, 46 Prozent der Schweizer zu gewinnen. Ein exzellenter Wert, der auch die Verdoppelung des SVP-Wähleranteils von 15 auf 29 Prozent in dieser Zeit erklärt.
«Von SVP-Opposition die Nase voll»
Kurt Fluri (63) hat die drei letzten SVP-Präsidenten im Parlament erlebt. Der FDP-Nationalrat erklärt die derzeitige Misserfolgswelle der rechten Konkurrentin einerseits mit deren sturer Haltung: «Die SVP ist im Parlament viel weniger kompromissbereit als früher. Die Partei rückt fast nie von ihrer Maximalforderung ab, erzwingt eine Volksabstimmung und verliert.»
Einen weiteren Grund sieht der Stadtpräsident von Solothurn beim Volk: «Es gibt eine gewisse Ermüdungserscheinung. Viele Schweizer haben von der ewigen Opposition der SVP und gleichzeitiger Regierungsvertretung die Nase voll.»
Die Volkspartei selbst habe offensichtlich diese Abnützungserscheinung erkannt – und auch deshalb bei der Selbstbestimmungs-Initiative auf das SVP-Logo verzichtet, sagt Fluri.
Funktioniert Röstis netter Stil?
Das abtretende SVP-Urgestein Ulrich Giezendanner (65) spricht von einer Übergangsphase: «Albert Rösti prägt die SVP mit einem neuen, weniger aggressiven Stil.» Daran müsse sich das Volk erst mal gewöhnen, glaubt der Aargauer Nationalrat – und macht auf Optimismus: «Die SVP wird längerfristig von Röstis Stil profitieren, auch bei Volksabstimmungen.»
Rösti selbst wiegelt ab. «Ich lasse mich nicht an irgendwelchen Prozentsätzen messen, sondern an der Aktivität der Partei, die viel erreicht und in allen Landesteilen sehr motiviert agiert», sagt er.
Der SVP-Einfluss zeige sich darin, dass kein Rahmenvertrag bestehe und der Migrationspakt auf Eis gelegt wurde. Auch meint Rösti, es sei die falsche Zeit für grosse SVP-Erfolge: «Wenn es der Bevölkerung sehr gut geht, haben wir es schwer.»