«Wir wollen Leute aus dem Mittelstand haben»
3:31
Gemeinden kaufen Land:«Wir wollen Leute aus dem Mittelstand haben»

Bezahlbarer Boden wird sogar in der Provinz knapp
Gemeindepräsidenten bangen um die Zukunft ihrer Dörfer

Der Kampf um bezahlbaren Boden tobt nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Provinz. Selbst bürgerliche Gemeinden setzen vermehrt aufs Baurecht und kaufen Land. SonntagsBlick zu Besuch bei den Gemeindepräsidenten von Dagmersellen LU, Rüschlikon ZH und Studen BE.
Publiziert: 04.05.2019 um 23:51 Uhr
|
Aktualisiert: 28.05.2019 um 11:42 Uhr
1/19
Beim «Monopoly» lernen schon Kinder: Eigentum lohnt sich. Je mehr Strassen und Häuser man besitzt, desto höher sind die Einnahmen. Wer dagegen kein eigenes Land hat, muss Runde für Runde Miete zahlen – und verliert, weil irgendwann das Geld alle ist.
Foto: Siggi Bucher
Thomas Schlittler

Beim «Monopoly» lernen schon Kinder: Eigentum lohnt sich. Je mehr Strassen und Häuser man besitzt, desto höher sind die Einnahmen. Wer dagegen kein ­eigenes Land hat, muss Runde für Runde Miete zahlen – und verliert, weil irgendwann das Geld alle ist.

Der teuerste und begehrteste Flecken beim «Monopoly» ist der Paradeplatz in Zürich. In der realen Welt tobt der Kampf um Boden, Mieten und bezahlbare Wohnungen aber längst nicht mehr nur im Zentrum grosser Städte, sondern auch in der Provinz. Zum Beispiel in Dagmersellen LU.

Die Gemeinde mit 5500 Einwohnern kaufte im Februar ein Grundstück von 10 900 Quadratmetern in der Dorfmitte: «Wir wissen noch nicht im Detail, was wir mit dem Areal anfangen werden», sagt Philipp Bucher (53). «Aber wir wollten das Grundstück der Spekulation entziehen.»

«In vielen Gemeinden ist der Boden knapp»

Buchers Aussage lässt aufhorchen. Denn der Gemeindepräsident von Dagmersellen ist Mitglied der FDP. Und auf der Homepage der Partei ist zu lesen: «Der Staat beschränkt immer mehr die Nutzung von Grundeigentum. Das vertreibt Investoren. Anstatt weiter in den Wohnungsmarkt einzugreifen, braucht es bessere Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau.»

Das ist das Gegenteil eines Plädoyers für Landkäufe durch Gemeinden. Wie passt das zusammen?

Bucher zu SonntagsBlick: «In vielen Gemeinden ist der Boden knapp, teilweise gibt es kaum mehr verfügbares Bauland. So auch bei uns in Dagmersellen. Deshalb kaufen wir Land, wenn sich die Gelegenheit ergibt und das Grundstück strategisch wichtig liegt.» Es dürfe nicht jeder Quadratmeter zugebaut werden, es brauche auch Freiräume.

Kein Verkauf mehr von Gemeindeland

In Rüschlikon ZH am Zürichsee beschäftigt man sich ebenfalls intensiv mit der Bodenpolitik. «Wir haben im Gemeinderat vor rund vier Jahren entschieden, kein Gemeindeland mehr zu verkaufen», sagt Gemeindepräsident Bernhard Elsener (66).

Der CVP-Mann, seit 14 Jahren im Amt, hat miterlebt, wie Rüschlikon innert kurzer Zeit stark gewachsen ist. Er ist überzeugt, dass dieses Wachstum der Nähe zur Stadt Zürich geschuldet ist – und dass es weitergehen wird. Elsener: «Wir müssen deshalb schauen, dass wir genügend Bauland besitzen, um die Gemeindeaufgaben weiterhin erfüllen zu können.»

Rüschlikon gibt Land mittlerweile nur noch im Baurecht ab – und zwar an Baugenossenschaften, die sich dazu verpflichten, bezahlbare Wohnungen zu bauen. Beim Baurecht bleibt die Gemeinde Eigentümerin. Der Baurechtsnehmer erhält lediglich das Recht, auf dem Boden zu bauen – in der Regel gegen Bezahlung eines Zinses.

Gemeinden diskutieren über Ressource Boden

Bei Gelegenheit kauft Rüschlikon sogar Land dazu. Elsener: «Es ist extrem wichtig, dass in Rüsch­likon nicht nur hochpreisige Wohnungen entstehen. Wir wollen nicht nur Reiche anziehen, sondern auch ganz ‹normale› Leute. Sonst stirbt das Gemeindeleben aus.»

Dagmersellen und Rüschlikon sind keine Einzelfälle. In Binningen BL, Buchs ZH, Gimmelwald BE, Hochdorf LU, Schänis SG, Schwarzenburg BE, Sisseln AG, Sursee LU, Wila ZH und Zollikofen BE wurde in den vergangenen Monaten ebenfalls über die beschränkte Res­source Boden diskutiert. Oft votierte die örtliche Bevölkerung ­dafür, dass ihre Gemeinde kein Land mehr verkaufen soll.

Stefan Brüesch von der Zürcher Immobilien-Beratungsfirma IAZI sagt dazu: «Wir sehen einen Trend, dass Bauland vermehrt im Baurecht abgegeben wird. Oft ist das Ziel, preisgünstigen Wohnraum zu fördern.» Brüesch verantwortet bei IAZI ein Polit-Monitoring, mit dem in neun Kantonen und 14 Städten auf Vorstösse zum Thema «Preisgünstiger Wohnungsbau» geachtet wird.

«Konsequenzen verfehlter Bodenpolitik»

Nationalrätin Jacqueline Badran (57, SP), die sich seit Jahren für gemeinnützigen Wohnungsbau einsetzt, beobachtet auf lokaler Ebene ebenfalls ein Umdenken: «In den Gemeinden spürt man die Konsequenzen einer verfehlten Bodenpolitik ganz direkt. Deshalb sehen dort selbst Bürgerliche ein, dass die Vergabe von Baurechten finanziell viel attraktiver ist als Verkäufe – und erst noch mehr Gestaltungsspielraum lässt.»

Ein Paradebeispiel für dieses Umdenken ist Studen BE im Seeland. Seit der Jahrtausendwende verkaufte die Gemeinde regelmässig Land, das ihr gehörte. Im Haushaltsplan wurde sogar eine halbe Million Franken pro Jahr aus Landverkäufen fix budgetiert. «Das hat geholfen, Rechnungsdefizite auszugleichen», sagt Theres Lautenschlager (59), seit 2016 Gemeindepräsidentin.

Mittlerweile sind die Landverkäufe gestoppt – und Lautenschlager musste bereits die zweite Steuererhöhung seit Amtsantritt beantragen. Dennoch hält sich die Gemeindepräsidentin mit Kritik an den Landverkäufen zurück: «Man wollte damit Firmen anlocken und Arbeitsplätze schaffen. Leider war das einfach etwas kurzfristig gedacht. Im Nachhi­nein hätte man wohl schon früher auf die Abgabe im Baurecht setzen sollen.»

Nun hat die Gemeinde den Kurs gewechselt: In Zukunft will Studen sein Land nur noch im Baurecht abgeben. Allzu viel ist da allerdings nicht mehr übrig: Die Gemeinde besitzt nur noch 20000 Quadratmeter Industrieland, Bauland hat sie schon lange keines mehr.

Lautenschlager: «Das schränkt unseren Spielraum bei der Gemeindegestaltung ein.» Und sie ergänzt: Das gehe auch anderen Gemeinden so.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?