Berset zum Ja für Embryountersuchungen
«Die Mehrheit will PID, aber mit klaren Grenzen»

Gesundheitsminister Alain Berset ist zufrieden mit der klaren Zustimmung zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Das Resultat zeige, dass man auch über extrem komplexe Themen eine öffentliche Diskussion führen könne. Die nötige Reife sei vorhanden.
Publiziert: 14.06.2015 um 17:25 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 10:13 Uhr

«Die Mehrheit will PID, aber mit klaren Grenzen», sagte Berset am Sonntag vor den Bundeshausmedien. Er erinnerte auch daran, dass die Verfassungsänderung erst eine Voraussetzung dafür schafft. Zugelassen werde PID erst mit der Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, und das werde nicht morgen oder nächste Woche geschehen.

Berset rechnet damit, dass das Referendum gegen die vom Parlament beschlossene Vorlage zu Stande kommt. Eine Abstimmung könnte dann im Lauf des nächsten Jahres stattfinden. Es werde also noch einmal eine Diskussion über das Thema geführt werden müssen.

Die Verfassungsänderung, die die Grundlage legt für die Untersuchung künstlich befruchteter Embryos vor der Einpflanzung in den Mutterleib, ist am Sonntag mit 61,9 Prozent angenommen worden.

Formell ging es erst um die Anzahl Embryos, die im Reagenzglas gezeugt werden dürfen. Heute erlaubt die Verfassung so viele, wie der Frau sofort eingepflanzt werden können. In der medizinischen Praxis sind das höchstens drei. Damit sind die Untersuchungen aber nicht sinnvoll durchzuführen.

Künftig erlaubt die Verfassung daher die Befruchtung so vieler Eizellen, wie «für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind». Aus medizinischer Sicht ist damit der Weg frei für die Präimplantationsdiagnostik (PID). Für die Zulassung muss aber noch die Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes in Kraft gesetzt werden können. Diese hat das Parlament bereits beschlossen.

Die Abstimmung fiel deutlicher aus als erwartet. Rund 1'374'800 Personen legten ein Ja in die Urne, 845'900 sagten Nein. Die Stimmbeteiligung lag bei 42,2 Prozent. Bei der letzten Umfrage Ende Mai hatten die Befürworter noch einen so geringen Vorsprung gehabt, dass keine Prognose möglich war.

Von den 23 Standesstimmen entfielen 17 ganze und 3 halbe auf die Verfassungsänderung. Geschlossen und mit grossen Mehrheiten stimmte die Westschweiz der Verfassungsänderung zu: In der Waadt sagten 84,8 Prozent Ja, in Genf 82,2 Prozent, in Neuenburg 75,2 Prozent, gefolgt von den Kantonen Freiburg und Jura. Der erste Deutschschweizer Kanton im Ja-Lager ist Zürich mit 64,8 Prozent Ja.

Skeptisch waren kleine und ländliche Kantone. Mit 55,8 Prozent Nein-Stimmen lehnte Obwalden die Präimplantationsdiagnostik am deutlichsten ab, gefolgt von Appenzell Innerrhoden mit 55,5 Prozent. Im Nein-Lager sind auch Uri, Appenzell Ausserrhoden, Schwyz und Schaffhausen.

Die Vorlage spaltete nicht Landesteile, sondern auch die Parteien. Gegen den Widerstand kirchlicher Kreise hatte die CVP Annahme empfohlen, ebenso FDP, BDP, Grüne und GLP. Die SP beschloss Stimmfreigabe, die SVP empfahl trotz vieler befürwortender Stimmen ein Nein. Beide Lager warben denn auch mit bunt besetzten Komitees für ihre Sache.

Bereits die Debatte im Parlament hatte gezeigt, dass es nur wenigen gelingt, Präimplantationsdiagnostik ideologisch oder rein rational zu beurteilen. Viele Ratsmitglieder fochten Gewissenskonflikte aus, obwohl sie die guten Argumente für die Zulassung der Untersuchungen durchaus anerkannten.

Dazu gehört zunächst, dass die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft viel grösser ist, wenn der Frau ein gesundes Embryo eingepflanzt wird. Das erspart den Eltern die Belastung von erfolglosen Behandlungszyklen und Mehrlingsschwangerschaften.

Zudem wird dem so genannten PID-Tourismus ein Riegel geschoben. Viele Frauen umgehen heute die strengen Schweizer Gesetze, indem sie sich im Ausland behandeln lassen. Und schliesslich wird der Widerspruch aufgelöst, dass Embryos zwar nicht im Reagenzglas, aber später im Mutterleib untersucht werden dürfen. Geschädigte Embryos werden dann oft abgetrieben, weshalb von «Schwangerschaft auf Probe» die Rede ist.

Kirchliche Kreise und Skeptiker der «grenzenlosen Machbarkeit» hingegen warnen vor Eugenik und vom «Zwang zum gesunden Kind». Sie wollen nicht zulassen, dass zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben unterschieden wird.

Das könne dazu führen, dass Kranke und behinderte Kinder künftig als vermeidbares Risiko und als Belastung angesehen würden. Auch von «Designer-Babys» war die Rede. Leid lasse sich lindern, aber nicht aus der Welt schaffen, argumentieren die Gegner.

Höchstwahrscheinlich bekommen sie eine zweite Chance, eine Mehrheit von diesen Bedenken zu überzeugen: Die EVP will das Referendum gegen das Gesetz ergreifen, trotz des klaren Abstimmungsresultats.

Der Kampf der Gegner ist nicht aussichtslos, denn die Räte haben ihnen mit einer weit gehenden Liberalisierung viel Munition geliefert. Anders als vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen sollen nämlich nicht nur jene Paare PID anwenden dürfen, die Träger schwerer Erbkrankheiten sind.

Vielmehr sollen alle Paare, die auf Methoden der künstlichen Befruchtung zurückgreifen, die Embryos vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Chromosomenanomalien untersuchen lassen dürfen. Damit würde die Schweiz auf einen Schlag zu den liberalsten Ländern Europas gehören.

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