Die Nachricht schlug ein wie eine Tischbombe: Das deutsche Start-up Biontech und US-Pharmamulti Pfizer gaben am Montag bekannt, dass ihr Impfstoff mehr als 90 Prozent der Geimpften wirksam vor Corona schützt.
Auch wenn es sich erst um Zwischenresultate handelt, löste die Publikation weltweit Euphorie aus. Und staatliches Handeln. So wird die EU-Kommission noch in dieser Woche einen Vertrag mit Biontech/Pfizer über 300 Millionen Dosen abschliessen.
Schweiz auf der Ziellinie
Und die Schweiz? Stefan Kuster (43), Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), liess sich am Dienstag nicht in die Karten schauen. «Der Bund ist nach wie vor mit verschiedenen Herstellern in Kontakt», sagte er an der Experten-Medienkonferenz. «Weitere Details werde ich Ihnen nicht sagen.»
Doch BLICK weiss: Auch mit Biontech/Pfizer ist der Bund in Verhandlungen. Gerüchten zufolge stand man schon vor der spektakulären Meldung vom Montag kurz vor einem Vorvertrag und befindet sich nun auf der Ziellinie. Offen ist, ob sich die Schweiz bei der EU anhängen kann, die Biontech-Dosen über die globale Covax-Initiative unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation erhält, oder aber auf einen eigenen Deal setzt.
Berset will nochmals 100 Millionen Franken
In jedem Fall beantragt Gesundheitsminister Alain Berset (48) dem Bundesrat für die Sitzung am Mittwoch nochmals 100 Millionen Franken für die Impfstoffbeschaffung. Sehr gut möglich, dass dies im Zusammenhang mit Biontech steht.
Mit zwei weiteren Herstellern hat der Bund bereits Verträge abgeschlossen. Im August sicherte sich die Schweiz 4,5 Millionen Impfdosen von Moderna. Mitte Oktober kam ein Vertrag mit dem Pharmakonzern Astrazeneca hinzu – für die Lieferung von bis zu 5,3 Millionen Dosen. Insgesamt hat der Bundesrat bislang 300 Millionen Franken für Impfstoffe reserviert.
BAG rechnet mit ersten Impfungen in einem halben Jahr
Auf verschiedene Rösser zu setzen, ist eine kluge Strategie: Denn noch weiss niemand, welcher der rund 20 Hersteller, die sich weltweit an einem Corona-Impfstoff versuchen, wirklich ins Ziel kommen wird. Auch an der Wirksamkeit des Biontech-Produkts gibt es noch Zweifel. So ruft Samia Hurst (48), Vizepräsidentin der wissenschaftlichen Corona-Taskforce, zu Vorsicht auf. Biontech habe vor allem an jungen und nur leicht erkrankten Patienten getestet. Zudem seien die Studiendaten noch nicht öffentlich. Für eine ernsthafte Evaluation müsse man die Details kennen.
Hurst rechnet damit, dass spätestens Mitte 2021 verschiedene Hersteller marktbereite Impfstoffe haben. Das BAG ist sogar noch optimistischer. Auf BLICK-Anfrage erklärt eine Sprecherin: «Wir gehen davon aus, erste Impfungen im ersten Halbjahr 2021 durchführen zu können.»
Impfstrategie ist noch offen
Damit stellt sich die Frage, welche Bevölkerungsgruppen zuerst geimpft werden sollen – welche Impfstrategie der Bund also verfolgt. Wie Kuster erklärt, werde das von den Impfstoffen abhängen. Davon, wie lange sie wirkten zum Beispiel. Ob es eine oder mehrere Dosen brauche. Und wie die Nebenwirkungen ausfielen. Daher arbeite man derzeit an Szenarien, die konkrete Strategie werde später festgelegt. Klar sei aber: «Die Risikogruppen und ihre enge Umgebung werden im Hauptfokus stehen.»
Unklar ist auch noch, wer impfen kann. Es kommen Spitäler, Impfzentren, Apotheken, Arztpraxen und allenfalls auch mobile Equipen in Frage, wie das BAG sagt. Denn bestimmte Impfstoffe, darunter auch jener von Biontech, müssen konstant tiefgekühlt bei minus 70 Grad gelagert werden. Solche Kühlgeräte gibt es aber nicht in jeder Arztpraxis, sondern nur in speziellen Zentren wie Unikliniken.
Herausfordernde Logistik
Entsprechend aufwendig ist die Logistik. BAG und Armee bereiten sich in Zusammenarbeit mit den Kantonen bereits vor. Die Logistikbasis der Armee wird die Erstaufnahme aller Impfstofftypen an Lagerorten der Armeeapotheke sicherstellen. Dafür werden nun Ultratief- und Kühlsysteme installiert, geeignete Transportmittel beschafft und Mitarbeitende ausgebildet.
Wo die Impfdosen dann lagern werden, ist übrigens geheim, wie die Armee klarstellt: «Die Lagerstandorte der Armeeapotheke sind klassifiziert und können nicht bekannt gegeben werden.»