Sie fahren bereits gratis in der ersten Klasse durch die Schweiz. Jetzt sollen die Bundesparlamentarier noch von einem weiteren Verkehrs-Goodie profitieren: Berns Stapi Alec von Graffenried (56, Grüne Freie Liste) schenkt ihnen ein Abo des Velo-Leihservices Publibike.
Aber wozu? Das fragten sich die 246 Bundesparlamentarier, die einen Brief, gezeichnet von Graffenried, auf dem Pult hatten: «Als Zeichen seiner Wertschätzung wollte Ihnen der Gemeinderat heute ein Publibike-Abo überreichen», heisst es darin.
Und weiter: «Mit dem Publibike, so die Idee, bewegen Sie sich innert kürzester Zeit von A nach B, vom Bundeshaus zu externen Sitzungen oder Anlässen und wieder zurück. Rasch, nachhaltig und gesund.»
Von links bis rechts sorgt von Graffenried für Ärger
Statt für Freude sorgt das ungebetene Geschenk für Unmut. «Dieses Geschenk ist völlig daneben!», enerviert sich SVP-Nationalrat Alfred Heer (56). «Wir sind ja schon überprivilegiert als Parlamentarier und haben es zuletzt nötig, auch noch gratis in der ganzen Schweiz Velos ausleihen zu können. Denn das Publibike-Abo ist nicht nur in Bern gültig. «Eine solche Beeinflussung von Volksvertretern ziemt sich nicht!», sagt der Zürcher.
Das Geschenk im Wert von je 400 Franken ist heikel. Auch wenn die Annahme laut geltendem Reglement wohl erlaubt wäre, sind die Bundespolitiker angehalten, bei grossen Zuwendungen zurückhaltend zu sein.
Problematischer als der Wert ist der ursprüngliche Absender des Geschenks: Denn Publibike ist nicht irgend eine Firma, sondern sie gehört zu Postauto, die seit Frühling wegen des Subventionsbetrugs nicht mehr aus den Schlagzeilen kommt. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) führt noch immer ein Strafverfahren wegen des Postauto-Bschisses.
Und ausgerechnet von diesem Unternehmen, das den Steuerzahler betrogen hat, sollen Parlamentarier profitieren. Zwar schenkt nicht Postauto direkt den Bundespolitikern die Publibike-Abos, doch die Stadt Bern erhält diese zu einem stark reduzierten Preis, nämlich für 76 Franken pro Stück. Wenn jeder National- und Ständerat das Geschenk annimmt, kostet das den Stadtberner Steuerzahler fast 18'700 Franken.
Und dabei steht Publibike in der Kritik, weil Postauto das Projekt mit den vom Steuerzahler ergaunerten Millionen finanziert haben soll.
«Mit Steuergeldern wird der Markt verzerrt»
Richtig hässig macht das auch den Dreifach-Parlamentarier Erich Hess (37). Der SVP-Mann flitzt jeweils mit seinem privaten E-Trottinett zwischen Stadt-, Kantons-, und Bundesparlament hin und her.
Neben dem grosszügigen Umgang der rot-grünen Stadtregierung mit Steuergeldern ärgert Hess auch, dass die Gratis-Abos den Markt verzerren: «So wird mit Steuergeldern eine Firma künstlich über Wasser gehalten. Man erzeugt viele angebliche Abonnenten, um zu beweisen, dass das Angebot auf Gegenliebe stösst. Das ist falsch.»
Auch SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (54) blickte gestern ungläubig auf das Schreiben von Stapi von Graffenried. «Mich dünkt es heikel, wenn man uns solche Geschenke anbietet», sagt die Präsidentin der Verkehrskommission des Nationalrats. Sie werde das Geschenk nicht annehmen. «Es ist doch nicht Aufgabe des Staates, uns günstigere Konditionen anzubieten», so die Sozialdemokratin.
Von Graffenried witzelt über Diebstahl-Schildbürgerstreich
Der Thurgauerin stösst aber noch etwas anderes sauer auf. Die Publibikes waren so einfach zu knacken, dass in Bern bereits die Hälfte davon gestohlen wurde und die Anbieter derzeit an einer neuen technischen Lösung arbeiten müssen.
In von Graffenrieds Brief klingt das so: «Als politisch interessierte Personen haben Sie sicher vom Missgeschick mit den leicht zu öffnenden Schlössern gehört. Dank ihrer Beliebtheit waren mehr als die Hälfte der Berner Publibikes innert kürzester Zeit verschwunden.»
Man werde die Abos darum erst dann zur Verfügung stellen, wenn «Kinderkrankheiten auskuriert sind und das ganze System funktioniert.»
Graf-Litscher: «Wir wissen ja mittlerweile, was mit den Schlössern passiert ist. Da sollte man Klartext reden und nicht von «grosser Beliebtheit» sprechen, wenn es um Diebstahl wegen Sicherheitsmängeln geht.»
«Wertschätzung für die Arbeit der Parlamentsmitglieder»
Ganz anders beurteilt das Stadtpräsident Alec von Graffenried, der wie die Mehrheit des Berner Gemeinderats früher selbst im Bundesparlament sass: Man erachte das Geschenk als «sinnvoll und angemessen», schreibt er BLICK. Und: «Die Stadt Bern ist gerne Bundesstadt und bestrebt, gute Voraussetzungen für Politik und Verwaltung zu schaffen.» Das Geschenk sei ein Dank und ein Zeichen der Wertschätzung für die Arbeit der Parlamentsmitglieder.
Ein einfaches Merci wäre im Bundeshaus aber offenbar besser angekommen.