Berner Grossrat und Muslim Mohamed Hamdaoui (55) wechselte von der SP zur CVP
Ermordung seiner grossen Liebe machte ihn zum Politiker

Fünf Jahre war die CVP im Berner Kantonsparlament nicht vertreten – bis Mohamed Hamdaoui (55) kam. Nach zehn Jahren in der SP lief der Muslim zu den Christdemokraten über. Der Parteiwechsel ist für den Bieler das jüngste Kapitel in einer bewegten Lebensgeschichte.
Publiziert: 27.03.2019 um 23:22 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2019 um 08:08 Uhr
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Nach zehn Jahren in der SP wechselte Mohamed Hamdaoui (55) dieses Jahr zur CVP.
Foto: Peter Gerber
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Mohamed Hamdaoui (55) hat das Thema eigentlich satt. «Mir reichts, immer auf meine Religion reduziert zu werden!», sagt der Bieler energisch. Aber selbst Hamdaoui muss zugeben: Bemerkenswert ist es schon, dass ausgerechnet er, Muslim, benannt nach dem höchsten Propheten des Islams, der einzige Vertreter der Christdemokraten im Berner Kantonsparlament ist – und der erste seit 2014.

Hamdaoui hatte während zehn Jahren für die SP politisiert, bevor er im November überraschend aus der Partei austrat. Vergangenen Monat wurde dann bekannt, dass er zur CVP wechselt – «nach reiflicher Überlegung», wie es im Communiqué hiess. Zwei Wochen später nominierte die CVP ihn gar für die Nationalratswahlen.

SP ist enttäuscht und verärgert

SP-Co-Präsident Ueli Egger (60) ist «extrem enttäuscht» über Hamdaouis Entscheid. Auch, weil dieser nicht mit Kritik an der SP spart – obwohl er betont, sein Herz werde immer links schlagen. Doch die Partei sei dogmatisch; die zunehmende Polarisierung bereite ihm Sorge. «Ich habe es im Stadtrat von Biel erlebt: Geschäfte sind blockiert, weil man nicht bereit ist, aufeinander zuzugehen. Dafür mache ich nicht Politik!»

Egger indes vermutet einen anderen Grund für Hamdaouis Parteiwechsel: dass ihn die SP nicht für die nationalen Wahlen nominieren wollte. «Er hat von uns profitiert – dann springt er ab», sagt Egger frustriert. «Die CVP erschleicht sich so einen Sitz, der ihr eigentlich nicht zusteht.»

Hamdaoui streitet ab, aus Opportunismus zur CVP übergelaufen zu sein. Ebenso wie Béatrice Wertli (43), Präsidentin der Berner CVP. «Es war ein offenes Aufeinanderzugehen und kein Marketingcoup», unterstreicht sie. «Mohamed Hamdaoui passt sehr gut in unsere Partei.» Auch CVP-Schweiz-Präsident Gerhard Pfister (56) ist dieser Meinung: «Herr Hamdaoui hat ausführlich dargelegt, warum er in der CVP sein will. Er kämpft gegen fundamentalistisches Gedankengut, will ein Kopftuchverbot für Kinder und setzt sich für die Werte der Schweiz und den Rechtsstaat ein.»

Als kranker Bub in die Schweiz gekommen

Der Berner Grossrat mit algerischen Wurzeln kam im Alter von drei Jahren in die Schweiz, um hier wegen Kinderlähmung behandelt zu werden. Ursprünglich sollte Hamdaoui danach wieder zu seiner Familie zurückkehren. Doch weil die Behandlung länger dauerte als geplant und man ihm eine gute Schulbildung ermöglichen wollte, blieb der Bub schliesslich hier. «Das war der beste Entscheid, den man treffen konnte», sagt Hamdaoui heute.

Er selbst bezeichnet sich nicht als religiös, «ganz klar nicht». Doch auch wenn Religion für Hamdaoui privat nicht im Vordergrund steht: Politisch spielt sie eben doch eine wichtige Rolle. Die strikte Trennung von Kirche und Staat ist eines der zentralen Anliegen des studierten Soziologen und Anthropologen, der sein Geld mit Journalismus verdient.

Der Kampf für den Laizismus machte ihn auch über die Stadtgrenzen von Biel BE hinaus bekannt: Auslöser für die Kontroverse, die in einem wüsten Shitstorm endete, war eine Werbung auf einem Bieler Bus, die Hamdaoui aufgefallen war: «Gott segne dich», stand darauf in grossen Lettern. Er reichte im Stadtrat einen Vorstoss ein, der ein Verbot für religiöse Werbung – egal, von welchem Absender – an und in Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe forderte. «Ich habe sogar Morddrohungen deswegen erhalten», sagt Hamdaoui, der den Wirbel bis heute nicht verstehen kann. 

Seine grosse Liebe wurde ermordet

Der Bieler eckt öfter an – und das nicht ungern. So spricht er sich beispielsweise auch für das unter Linken umstrittene Burkaverbot aus. «Das ist keine Frage der Religion, sondern des Respekts gegenüber Frauen. Es gibt Frauen, die sterben müssen, weil sie ihren Schleier lüften», begründet er seine Haltung.

Hamdaoui spricht ein persönliches Schicksal an. Anfang der 90er-Jahre verliebte er sich im Algerien-Urlaub in Fatiha. Auf dem Handy zeigt er ein körniges Bild seiner grossen Liebe: eine junge Frau mit welligem schwarzem Haar in Jeansjupe und weissem T-Shirt, die in die Kamera lächelt. Mohamed und Fatiha schrieben sich Briefe, planten eine gemeinsame Zukunft in der Schweiz. Doch es sollte anders kommen. Als der Bürgerkrieg ausbrach, wurde Fatiha von Islamisten verschleppt und enthauptet.

«Ihr Tod hat in mir tiefe Spuren hinterlassen und war einer der Gründe für mein politisches Engagement», sagt Hamdaoui. «Ich hatte damals zwei Möglichkeiten: Entweder lasse ich mich vom Hass einnehmen oder ich kämpfe dafür, dass niemand so leiden muss wie meine Freundin.» Er habe sich für Letzteres entschieden. «Und leider, glaube ich, gibt es da noch viel zu tun.»

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