Bergler wollen Umbauten im Maiensäss erleichtern – Landschaftsschützer entsetzt
Aussen Hütte, innen Komfort

Sie wollen aus ihren Ställen Ferienhütten bauen dürfen – dafür spannen die Bündner und Walliser zusammen. Der Landschaftsschutz tobt – und Maiensäss-Schreck Silva Semadeni (66, SP) kämpft gegen die Standesinitiative ihres eigenen Kantons. Trotzdem hat die Aufweichung des Baurechts diese Woche im Nationalrat gute Chancen.
Publiziert: 25.02.2018 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:55 Uhr
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Umbautraum der Bündner: Der äussere Charakter des ehemaligen Stalls wurde erhalten. Ein Durchbruch für Fenster ist bei diesem Maiensäss in der Gemeinde Casti-Wergenstein GR auf einer Höhe von 1750 Metern verboten. «Es ist nicht das ganze Jahr erreichbar und der Stall wurde unter Einhaltung strenger Gestaltungsvorschriften umgebaut», so Maiensäss-Initiative-Vater Crameri.
Foto: Reto Crameri (ZVG)
Cinzia Venafro

Sie stehen in der Landschaft und verfallen. Einst boten sie Heu und Tieren ein Dach – doch längst hat der Bauer sie verlassen. Ställe, Stadel, Holzverschläge.

Was tun mit den rund 400'000 Gebäuden, die abseits der Ballungsgebiete das Bild der Schweiz prägen? «Ausbauen!», fordern Graubünden und Wallis. Damit sie dies dürfen, greifen die beiden Bergkantone jetzt das Raumplanungsgesetz an. Mit zwei Standesinitiativen versuchen die Bergler die rechtliche Grundlage zu erhalten, um aus Hütten Wohnräume zu machen.

Der Bündner CVP-Grossrat Reto Crameri ist der Vater der Maiensäss-Initiative. Er sagt: «Es geht um die Erhaltung von Kulturgut. Wir wollen keine Luxusbauten, keine Saunas in die Ställe bauen.»
Foto: ZVG

«Unsere Vorfahren haben diese Ställe mit schwerer Handarbeit gebaut. In zum Teil erbärmlichem Zustand verschandeln sie heute das Landschaftsbild. Das tut mir im Herzen weh», sagt der Bündner CVP-Grossrat Reto Crameri (27). Der Rechtsanwalt aus dem Albulatal ist der Urheber der Maiensäss-Initiative.

«Es geht um die Erhaltung von Kulturgut. Wir wollen keine Luxusbauten, keine Saunas in die Ställe bauen», betont Crameri. «Aber es besteht ein immer grösseres Bedürfnis in der Bevölkerung, fernab der Massen Ruhe zu erfahren. Dafür könnten wir unsere verlassenen Ställe perfekt nutzen.»

Crameri will, dass die Gesetzgebung auf Bundesebene gelockert wird. «Die Kantone müssen bei der Raumplanung wieder mehr Kompetenzen erhalten.»

BDP-Regierungsrat Parolini: «Keine Visitenkarte für den Tourismus»

Auch der Bündner Volkswirtschaftsdirektor und BDP-Regierungsrat Jon Domenic Parolini (58) betont: «Ohne Umnutzungsmöglichkeiten sind viele ehemalige Stallbauten dem schleichenden Zerfall ausgesetzt.» Das sei «für den Tourismuskanton keine gute Visitenkarte».

Der Bündner Volkswirtschaftsdirektor Jon Domenic Parolini sorgt sich um die touristische Visitenkarte der Schweiz.
Foto: GIAN EHRENZELLER

Doch längst nicht alle in der Südostschweiz stehen hinter dem Vorhaben. «Die Bündner Regierung hat die Standesinitiative nicht grundlos bekämpft», sagt SP-Nationalrätin Silva Semadeni (66). «Wir können doch nicht schweizweit 400'000 und in Graubünden 20'000 Ställen eine Option auf Wohnnutzung ausserhalb der Bauzone ermöglichen. Das wäre ein Beitrag zur weiteren Zersiedelung des Landes!»

Auch wenn es im Initiativtext heisst, dass die Erschliessung der Ferienhäuser nicht vorgesehen sei, «werden da früher oder später sowieso Strassen gebaut. Und die öffentliche Hand wird das bezahlen müssen», ist Semadeni überzeugt. Darum sollen Gebäude, die nicht mehr genutzt werden, abgerissen werden. «Nicht jeder Stall, den unsere Vorfahren einst bauten, hat einen kulturellen Wert!»

Maiensäss-Schreck Semadeni liebäugelt mit abgeschwächter Variante

Die bürgerliche Seite widerspricht vehement. «Die Befürchtung, dass mit dieser Anpassung des Bundesgesetzes Hunderttausende Ställe bewohnt werden, ist falsch», sagt der Walliser SVP-Nationalrat Franz Ruppen (46). Rund die Hälfte würde weiterhin landwirtschaftlich genutzt. Zudem sei nur ein Bruchteil der Maiensässe überhaupt so weit erschlossen, dass man «daraus eine Ferienhütte machen kann».

Franz Ruppen, Nationalrat der SVP des Kantons Wallis.
Foto: GAETAN BALLY

Kommt es sechs Jahre, nachdem die Schweizer die Zweitwohnungs-Initiative angenommen haben, tatsächlich zur Lockerung des Baurechts ausserhalb der Bauzonen? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

Die vorberatende Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) hat die ursprünglichen Standesinitiativen der Bergkantone zwar knapp abgelehnt. Sie «anerkennt allerdings, dass es sich bei Stadeln, Ställen und Scheunen teilweise um wertvolles Kulturgut handelt».

Und so kommt am Dienstag auch eine abgeschwächte Version des Anliegens in die grosse Kammer: Nur wenn der kantonale Richtplan es vorsieht und Bau- und Nichtbaugebiet sauber getrennt sind, sollen Ställe ausgebaut werden dürfen.

Der Ständerat hat bereits grünes Licht gegeben. Und sogar Maiensäss-Schreck Semadeni ist dem Maiensäss-Vorstoss light nicht abgeneigt: Denn der Bundesrat muss den Richtplan absegnen. «Die Kantone erhalten so aber etwas mehr Spielraum.»

Landschaftsschutz läuft Sturm gegen Bündner und Walliser

Diesen föderalen Weg unterstützt darum Daniel Fässler (57), Nationalrat und Landammann von Appenzell Innerrhoden – wie Initiative-Vater Crameri ebenfalls von der CVP. «Ich habe grosses Verständnis für das Anliegen der Bündner und Walliser», so Fässler. «Aber nur weil ländliche Kantone ein Problem haben, müssen wir nicht eine nationale Lösung schaffen. Die Forderungen von Wallis und Graubünden gehen zu weit.»

Raimund Rodewald, Geschäftsleiter Stiftung für Landschaftsschutz.
Foto: JPGE

Opposition hingegen kommt von der Stiftung für Landschaftsschutz: «Wenn man sagt, man erhalte Kulturgut, betreibt man Augenwischerei. Das ist ein klassischer Schwindel», sagt Geschäftsführer Raimund Rodewald. Schliesslich gebe es genug Instrumente, um landschaftsprägende Bauten zu erhalten. «Was jetzt in den Nationalrat kommt, ist reine Geldmacherei. Schliesslich könnten die ausgebauten Ställe, die nicht von der Zweitwohnungs-Initiative betroffen seien, «teuer an Unterländer verkauft werden».

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