Berg-Karabach: Konflikt spitzt sich zu
«Es kann wieder zu Krieg kommen»

Seit Jahren kämpfen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Gestern haben sich die Präsidenten der beiden Länder auf einen Waffenstillstand geeinigt. Ein Ende des Konflikt ist dennoch nicht in Sicht, wie Bahar Muradova, Vizepräsidentin des aserbaidschanischen Parlaments, im BLICK-Interview sagt.
Publiziert: 17.05.2016 um 16:32 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 09:45 Uhr
Armenische Artilleriestellung in Martakert in Berg-Karabach: Die Kämpfe in der Region sind Anfang April neu entflammt.
Foto: VAHRAM BAGHDASARYAN / PHOTOLURE
Interview: Sermîn Faki

Frau Muradova, Sie weilten kürzlich zu Gesprächen in der Schweiz. Worum ging es dabei?

Es ging darum, wie die schweizerisch-aserbaidschanischen Beziehungen zu einer strategischen Partnerschaft  ausgebaut werden können. Insbesondere in wirtschaftlichen Fragen sind die Beziehungen sehr eng: In Aserbaidschan sind 65 Schweizer Unternehmen aktiv, im Gegenzug ist unser Energieunternehmen Socar hier tätig.

Wie sollen die Beziehungen intensiviert werden?

Als Parlamentarier haben wir vor allem darüber gesprochen, wie die Beziehungen zwischen den Parlamenten intensiviert werden können, insbesondere durch Freundschaftsgruppen. Auch die Annäherung der Standpunkte bei Problemen in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, sowie die Bereitschaft, eine internationale Plattform zum Schutz des internationalen Rechts in Konfliktsituationen zu schaffen, wurden diskutiert. Hauptthema war jedoch der Konflikt in Berg-Karabach. Ich habe meine Gesprächspartner über die Lage dort informiert.

Wie ist die Situation dort?

Sehr ernst. Anfang April gab es die schwersten Gefechte seit Bestehen des Waffenstillstands 1994. Beide Parteien haben Verluste erlitten. Auch wenn es nun wieder einen Waffenstillstand gibt, haben diese Entwicklungen eine neue Phase im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt eingeläutet.

Inwiefern?

Aserbaidschan kann die Provokationen Armeniens nicht länger hinnehmen. Insbesondere, wenn diese zivile Opfer fordern. Unsere Regierung hat die Pflicht, ihre Bürger zu beschützen. Das haben wir getan – erfolgreich. Wir haben die armenischen Linien durchbrochen und konnten strategische Punkte zurückzuerobern und kleinere Städte befreien.

Befreien? Berg-Karabach wird vor allem von Armeniern bewohnt.

Die Frontlinien liegen vollständig auf aserbaidschanischem Territorium. Die Gebiete, die wir befreit haben, waren nie Bestandteil von Berg-Karabach. Dort haben immer Aserbaidschaner gelebt. Die internationale Gemeinschaft muss anerkennen, dass ein Teil Aserbaidschans seit 23 Jahren besetzt ist.

Wie soll es nun weitergehen?

Können die Vermittler Armenien nicht davon überzeugen, internationales Recht einzuhalten, werden wir zu allen Mitteln greifen, um weitere Provokationen zu vermeiden. Die Erfolge unserer Streitkräfte haben ausserdem den internen Druck auf unsere Regierung verstärkt, das gesamte besetzte Gebiet zurückzuerobern.

Wie wollen Sie dem begegnen?

Wir wollen den Waffenstillstand respektieren und die Kämpfe beenden. Die Situation ist allerdings sehr fragil. Wie lange der Waffenstillstand hält, weiss niemand. Die internationale Gemeinschaft sollte diesen Moment nutzen und die andere Seite von einem konstruktiven Dialog überzeugen. Doch wenn Armenien  auf Rache sinnt und die befreiten Gebiete wieder unter seine Kontrolle bringen will, können wir das nicht tolerieren. Es kann wieder zu Krieg kommen.

Haben Ihre Gesprächspartner hier in Bern konkrete Angebote zur Vermittlung gemacht?

Bei meinem Besuch hat Ständerat Filippo Lombardi, Präsident der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Aserbaidschan und Präsident der Schweizer Delegation der OECD, ein Treffen der aserbaidschanischen und armenischen OECD-Delegationen sowie der aserbaidschanischen und armenischen Bevölkerung von Berg-Karabach angeregt. Wir unterstützen diesen Vorschlag vorbehaltlos. Doch aus der Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass Armenien daran kein Interesse hat.

Sie haben die Beziehungen zur Schweiz als sehr gut bezeichnet. Wurden diese nicht getrübt, als die Schweizer Botschaft in Baku dem Oppositionellen Emin Huseynov Zuflucht gewährte und Aussenminister Didier Burkhalter ihn sogar aus dem Land brachte?

Nein. Beziehungen, die auf einem robusten Fundament basieren, werden nicht durch einen Einzelfall geschwächt. Jeder kann seinen eigenen Weg wählen, um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Herr Huseynov wählte diesen. Mit Geduld und Weisheit haben Aserbaidschan und die Schweiz die Frage gelöst. Beide respektieren, dass Gesellschaften ihre eigenen Entwicklungsgeschwindigkeiten haben. Wir können voneinander lernen.

Was kann die Schweiz von Aserbaidschan lernen?

Die Schweiz hat eine sehr beeindruckende Geschichte. Aserbaidschan ebenfalls. So waren wir das erste demokratische Land der islamischen Welt. Frauen erhielten schon 1918 das universale Wahlrecht, lange vor der Schweiz. Wir kennen Demokratie und Toleranz nicht nur aus anderen Ländern, sie gehören zu unserer eigenen Tradition.

Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen scheint aber limitiert zu sein. Kritiker sagen, Aserbaidschan habe ein Demokratiedefizit.

Aserbaidschan ist noch nicht lange unabhängig und zudem seit Beginn in einen Krieg involviert. Wir betreiben eine konsequent unabhängige Politik. Das gefällt nicht allein. Die Kritik, dass wir keine echte Demokratie sind, dass es kein Recht auf freie Meinungsäusserung gibt, muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Die armenischen Behörden wollen  zeigen, dass es für Armenier und Aserbaidschaner unmöglich ist, zusammenzuleben, um die okkupierten Gebiete zu halten. Auch die armenische Diaspora führt eine Kampagne gegen uns. Bevor uns jemand uns kritisiert, sollte er zu uns kommen und sich ein eigenes Bild machen.

Verstehe ich das richtig: Hinter jeglicher Kritik an Aserbaidschan stecken armenische Verleumdungen? Und Oppositionelle wie Emin Huseynov sind armenische Agenten?

Nicht alle dienen armenischen Interessen. Er und andere nutzen auch jede Möglichkeit, um sich der Verantwortung für wirtschaftliche und andere Rechtsverletzungen, die sie begangen haben, zu entziehen. Daher stellen sie ihre Verbrechen als politisch motiviert dar, um zu beweisen, dass sie nicht in Aserbaidschan leben können. Da wird jedes bisschen genutzt, um Aserbaidschan anzugreifen. Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, wir wären perfekt. Wenn es Schwachstellen auf dem Weg der Demokratisierung gibt, brauchen wir Freunde, die uns darauf hinweisen. Aber Freunde sollten auch unterscheiden zwischen existierenden Schwächen und unhaltbaren Anschuldigungen.

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