Ein Foto prangert an. Es zeigt, wie Zürcher Polizisten letzten Mittwoch einen Fifa-Funktionär vom Nobelhotel Baur au Lac abführen. Mittels Leintuch verbirgt der Concierge die Identität aller Beteiligten.
Die Verhüllung steht für schweizerische Diskretion. Der Rest ist amerikanische Cowboy-Taktik, willfährig unterstützt von der Schweizer Regierung. «Die Amerikaner verhaften effektvoll», sagt der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli (54). «Gezielt luden sie die Medien ein.»
Drei Reporter der «New York Times» warteten in der Lobby, darunter ein Fotograf. Die US-Behörden hatten sie vorab informiert, und zwar mit allen relevanten Details. «Das ist dégoûtant», sagt der Zürcher SP-Nationalrat Martin Naef (44).
Als widerlich empfindet der linke Jurist, wie sich die Schweiz von Amerika vorführen lässt. Die USA bitten darum, sieben Personen zu verhaften. Die Schweiz willigt ein. Zumal ein Abkommen sie dazu verpflichtet.
Die Schweiz plant und organisiert die Verhaftung. Sie findet auf Schweizer Boden statt. Diskret teilt sie die Pläne den USA mit. Amerika ist alles andere als diskret – und informiert die «New York Times». Die Zeitung nimmt dankend an. Ihre Journalisten buchen Flüge nach Zürich. Sie engagieren einen ortskundigen Fotografen, der Deutsch spricht.
Rechtzeitig am richtigen Ort seien sie gewesen, sagen sie später. Dabei ist alles inszeniert – von langer Hand.
Am vergangenen 20. Mai geht beim United States District Court in Brooklyn die Strafanzeige gegen 14 Personen ein, darunter die sieben Fifa-Funktionäre, die wenige Tage später in Zürich verhaftet werden.
Das amerikanische Departement of Justice (DoJ) schickt am 21. Mai ein Verhaftsersuchen nach Bern. Es trifft am 22. Mai beim Bundesamt für Justiz (BJ) ein. Berner Juristen prüfen es sofort. Bereits am 23.Mai, vielleicht schon früher, weiss auch die «New York Times»: Nächste Woche, vor dem Fifa-Kongress, schlägt die Polizei zu.
Das Departement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (55) gibt dem US-Begehren statt, informiert den gesamten Bundesrat – und erteilt der Zürcher Kantonspolizei den Auftrag. Bern informiert Washington. «Wir haben den Einsatz mit dem Department of Justice abgestimmt», bestätigt BJ-Sprecher Folco Galli. Niemand soll davon erfahren. Dem Department of Justice ist das egal – und es gibt die vertraulichen Polizei-Pläne einfach so preis. Am Abend vor der Razzia besprechen sich die Reporter. Im Dunkeln aber tappen Polizei und Fifa. Sie haben keine Ahnung, dass die Presse wartet.
Mittwoch um 5 Uhr, die amerikanischen Journalisten frühstücken gelassen im Baur au Lac. Um 6 Uhr erscheint ein Dutzend Beamte in Zivil. Sie holen beim Concierge Zimmerschlüssel, verhaften sieben Gäste. Der für die «New York Times» arbeitende Schweizer Fotograf Pascal Mora (32) macht das Bild. Nun stehen die verdächtigen Funktionäre am Pranger. Es gilt: Wer sich hinter Leintüchern versteckt, ist schuldig.
Öffentliche Demütigung
Die Zürcher Kantonspolizei ist verdutzt. «Wir wussten nicht, dass Journalisten vor Ort sein werden», sagt Sprecher Marc Besson. Er habe keine Ahnung, wer die Presse informierte. Der Auftrag sei vom BJ gekommen. «Die Kantonspolizei Zürich war nur die ausführende Behörde.»
Zum Kasper haben die Amerikaner die Beamten gemacht, kritisiert Nationalrat Naef. «Die Schweizer Polizisten sind zu Schauspielern und Statisten einer öffentlichen Inszenierung degradiert worden», so Naef. «Die Polizei hat einen guten Job gemacht.» Letztlich untergrabe die Aktion die Demokratie. «Die öffentliche Demütigung von Beschuldigten widerspricht meiner Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit vollständig», sagt Naef. Die USA begegne der Schweiz nicht auf Augenhöhe. «Wenn wir im Rahmen der Abkommen mit den USA unsere Pflichten erfüllen, darf die Schweiz nicht als Marionette Amerikas vorgeführt werden.»
Säuerlich reagiert das Bundesamt für Justiz. «Es ist nicht erfreulich, falls die Presse im Voraus über eine Polizei-aktion informiert wird», sagt BJ-Sprecher Galli. «Das kann den Erfolg einer solchen Aktion gefährden.»
Zudem stahlen die Amerikaner den Schweizer Ermittlern die Show. Am selben Mittwoch nämlich stellte die Bundesanwaltschaft bei der Fifa Dokumente sicher. Die Schweizer untersuchen, ob es bei der Vergabe der WM 2018 und 2022 zu Bestechung kam. Niemand nahm das richtig wahr.
«Kriecherismcher Akt»
Nationalrat Mörgeli tadelt das Verhalten der offiziellen Schweiz. «Das Bundesamt für Justiz ist obernaiv, zu glauben, die Amerikaner geben keine Informationen an die Presse weiter.» Die Verhaftung sei «ein kriecherischer Akt der Schweiz gegenüber den USA» gewesen. «Einmal mehr hat sich das Bundesamt für Justiz nicht mit Ruhm bedeckt.» Die Schweiz habe Hand geboten – «ohne von den USA eine Gegenleistung zu erhalten».
Schwere Bedenken äussert der Aargauer SVP-Nationalrat Luzi Stamm (62). «Durch die Veröffentlichung und die Art der Verhaftung entfällt die Unschuldsvermutung.» Es sei gefährlich, aussenstehende Personen einzuweihen. «Sie könnten die Verdächtigen gegen Bezahlung warnen.»
Nun will der Grünen-Nationalrat Geri Müller (AG/54) «die Verhaftung in die Aussenpolitische Kommission bringen».