Das Parlament ist so zerstritten wie selten zuvor. Seit den letzten Wahlen gerieten sich Nationalrat und Ständerat schon in 15 Fällen derart in die Haare, dass sie in der Einigungskonferenz einen finalen Kompromiss suchen mussten. Dieser kommt erst im Notfall zum Zug – wenn sich die beiden Kammern auch nach dreimaligem Hin und Her nicht einigen können.
Härtere Fronten wegen unterschiedlicher Mehrheiten
Geht es weiter wie in den letzten zwei Jahren, wird der Knatsch-Rekord aus der Legislatur 2007–2011 mit 30 Einigungskonferenzen mindestens egalisiert. In allen Legislaturen zuvor waren es weitaus weniger (siehe Grafik).
«Die Fronten haben sich verhärtet», bestätigt der erfahrene CVP-Ständerat Konrad Graber (59). Heute werde weniger nach einem Konsens gesucht, selbst wegen Details komme es zu Einigungskonferenzen. Dies sagt auch ein langjähriger Vertreter des Nationalrats, Christian Wasserfallen (36, FDP): «Beide Räte haben eine härtere Gangart eingelegt.»
Mitte-links dominiert das Stöckli
Zum grossen Zoff kommt es meist, wenn es FDP und SVP nicht gelingt, die CVP ins Boot zu holen. Zwar können sich die beiden Parteien rechts der Mitte im Nationalrat alleine durchsetzen. Denn seit den Wahlen 2015 haben sie 101 Sitze in der 200-köpfigen Kammer.
Im Ständerat hingegen haben FDP und SVP mit 19 von 46 Sitzen wenig zu melden. Im Stöckli dominiert Mitte-links! SP, Grüne und CVP können mit 26 Sitzen einem Geschäft locker ihren Stempel aufdrücken.
Und das tun sie, wie die grosse Anzahl der Einigungskonferenzen beweist. Doch nicht nur das: Geht es hart auf hart, hat die Kleine Kammer die besseren Karten. Denn der dortige Mitte-links-Block ist stärker als der Rechtsblock im Nationalrat.
Ständerat gewinnt doppelt so oft wie Nationalrat
Nur gerade drei Mal resultierte aus dem Last-Minute-Versuch ein echter Kompromiss. In acht der bisher 15 Fälle liess der Ständerat seine Muskeln spielen und setzte sich durch. Nur gerade vier Nationalratsvorschläge überlebten die Endausmarchung.
Prominentestes Beispiel für die Ständerats-Dominanz ist die Rentenreform. Hier beharrten die Kantonsvertreter eisern auf den 70 Franken AHV-Zustupf. Gebracht hat es nichts: Das Stimmvolk versenkte die Vorlage vor zehn Tagen.
Dasselbe Bild zeigte sich bei der Frauenquote in Unternehmen: Die Grosse Kammer wollte diese verschieben, die Kleine gewann das Seilziehen und beauftragte den Bundesrat, das Aktienrecht entsprechend anzupassen.
«Nationalrat ist ein Weicheier-Verband»
Die Macht des Ständerats zeigt sich jedoch nicht nur in Einigungskonferenzen. Sie entfaltet schon vorher eine psychologische Wirkung: «Der Nationalrat ist wegen der Stärke des Ständerats zu einem Weicheier-Verband mutiert, der zu schnell nachgibt», ärgert sich Ulrich Giezendanner (63, SVP). «Wie der Bundesrat in Brüssel, der vor Beginn der Verhandlungen schon mal Danke sagt.»
Der Ständerat habe die Kompromissbereitschaft des Nationalrats längst bemerkt und nütze sie gnadenlos aus, so der Aargauer weiter. Auch Christian Wasserfallen sagt: «Der Ständerat weiss um seine Macht in den Einigungskonferenzen.» Dem Nationalrat bleibe meist nur noch die Option, mit dem Abschuss des Geschäfts zu drohen.
Standesvertreter widersprechen. «Im Ständerat gibt es eine deutlich höhere Bereitschaft zu Kompromissen», so Claude Janiak (68, SP). Bei Schlussabstimmungen stimme die Kleine Kammer zu, auch wenn sie längst nicht alles erreicht habe. Gegen den Vorwurf der Machtpolitik wehrt sich CVP-Ständerat Konrad Graber: «Wir pokern nicht!»