Der Zürcher Wirtschaftsfreisinn steht vor einer Wiedergeburt. Denn bald dürfte auch die Fraktionsspitze der FDP aus dem Kreis des einst einflussreichen Parteiflügels von der Limmat besetzt sein. Das Amt ist nach der Wahl von Ignazio Cassis (56) in den Bundesrat vakant. Dass der Zürcher Beat Walti (48) am 17. November das Rennen macht, gilt als reine Formsache. Mit ihm und Parteichefin Petra Gössi (41) würde sich das Machtzentrum der FDP dann definitiv nach Zürich bewegen. Denn obwohl Gössi aus dem Kanton Schwyz kommt, arbeitet sie als Steuer- und Unternehmensberaterin in einer Firma am General-Guisan-Quai, ganz nah des Zürcher Paradeplatzes. Auch inhaltlich politisiert sie stramm auf der Zürcher Linie.
Walti will dieses Amt, wie er auf Anfrage von BLICK bestätigt. Er habe sein Interesse offiziell angemeldet und sein Dossier eingereicht. Eine Kampfwahl wie 2015 –damals stach Cassis (56) den Berner Nationalrat Christian Wasserfallen (36) aus – wird es nicht geben. Die Parteikollegen rollen Beat Walti den roten Teppich bereits aus. FDP-Nationalrat Olivier Feller (43, VD) attestiert ihm «einen integrierenden Stil» und Format, während Ständerat Josef Dittli (60, UR) von der «idealen Besetzung» schwärmt.
Wie zu Zeiten von Bremi, Spoerry und Kopp?
Würde der Zürcher Paradeplatz die Geschicke der FDP wieder wesentlich mitgestalten? In den 70er- und 80er-Jahren war die FDP eng mit der Wirtschaftselite und Grosskonzernen verbandelt. Persönlichkeiten wie der ehemalige Nationalrat und Fraktionspräsident Ulrich Bremi (87) – er sass im Verwaltungsrat der Credit Suisse und war Präsident der Swiss Re – bestimmten den freisinnigen Kurs. Eine weitere Vertreterin des Zürcher Freisinns war alt Ständerätin Vreni Spoerry (79), die unter anderem im Verwaltungsrat der Credit Suisse sowie von Nestlé und Swissair sass.
Die Spitze der politischen Macht erklomm der Zürcher Wirtschaftsfreisinn mit der Wahl von Elisabeth Kopp (80) in den Bundesrat (1984). Nur fünf Jahre später war die Regentschaft aber vorbei. Kopp stolperte über einen Skandal, der sie zum Rücktritt zwang und den Niedergang der Zürcher FDP einläutete.
Walti ist wirtschafsliberaler als FDP
Walti darf als klassischer Vertreter des Wirtschaftsfreisinns gelten. Allerdings sind seine Mandate eine Nummer kleiner als jene der alten Garde. Er ist Anwalt in einer Kanzlei im Seefeld mit Spezialität Gesellschafts- und Vertragsrecht. Zudem berät er Firmen bei Übernahmen. Erst gestern wurde er zum Präsidenten von «Privatkliniken Schweiz» gewählt.
Er steht wie die Vorfahren im Geist für Wettbewerb, Freiheit und Selbstbestimmung ein. Das zeigt der Vergleich zwischen Walti und der FDP bei Smartspider, einem Fragebogen, der Politiker nach ihrer Ausrichtung einordnet. Walti ist deutlich wirtschaftsliberaler und setzt sich für weniger Sozialstaat ein als der Durchschnitt der FDP.
Walti will vor dem Wahltermin «keine öffentlichen Stellungnahmen zu inhaltlichen Fragen und Positionen» abgeben. Die Fraktion solle «eine Diskussion über solche Fragen unbelastet» führen können, sagt er.