Es ist ein Kampf Twitter-Goliath gegen Twitter-David.
Julian Reichelt (37), Berlin, Chef der «Bild»-Zeitung, 52'964 Follower, schreibt:
«Findet die SPD es wirklich richtig, dass Staatsbürger anderer Länder gegen die deutsche Regierungskoalition stimmen, lieber @KuehniKev? Wollen Sie diese Stimmen wirklich?»
Es ist die Antwort auf einen Tweet von Joël Bühler (22), Liestal, Juso-Einwohnerrat, 706 Follower:
«Heute die grosse Entscheidung. Auch als ausländischer Agent ca. 20 km von der deutschen Grenze entfernt betrifft mich deutsche Politik. Ich stimme #NoGroKo, was sagt ihr? @jreichelt #GroKoDealsTränen»
Darum geht es
Ab heute können SPD-Mitglieder basisdemokratisch mitbestimmen, ob die Partei erneut eine grosse Koalition mit der Union (CDU/CSU) eingehen soll - oder nicht. Der dazugehörige Vertag wurde in den letzten Wochen ausgehandelt.
Abstimmen dürfen auch ausländische SPD-Mitglieder. Das ist der grössten Zeitung Deutschlands, der «Bild», ein Dorn im Auge: «Ausländer dürfen über deutsche Regierung abstimmen», titelte die Zeitung bereits am 6. Februar.
In seinem Kommentar doppelte Reichelt nach: «Nur Deutsche können also entscheiden, wer Deutschland regiert. Sollte man meinen. Mit ihrem Mitgliederentscheid unterwandert die SPD dieses zwingend logische und eigentlich unumstössliche Prinzip.»
Joël Bühler ist dies egal. Er ist seit sechs Jahren Jungsozialist, seit letztem Jahr Einwohnerrat von Liestal BL – und neuerdings auch SPD-Mitglied.
«Ich habe mich vor drei Wochen online registriert», sagt Bühler zu BLICK. «Weil ich schon Mitglied der SP Schweiz, bin kostet mich das nur 30 Euro Mitgliederbeitrag pro Jahr.»
Bühler tat den Schritt aus Überzeugung - nicht nur, weil er in Grenznähe wohnt. Selbstironische bezeichnet sich Bühler als «ausländischer Agent».
«Der Mitgliederentscheid ist nicht nur für Deutschland wichtig - sondern für die Sozialdemokratie in ganz Europa, weil Deutschland Signalwirkung hat», sagt der 22-Jährige. «Es geht darum, die Menschen wieder zurückzuholen, die zur AfD gewechselt sind. Es geht nicht, dass die Debatte zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus stattfindet - es braucht wieder eine starke linke Alternative.» Und diese Alternative ist für Bühler die Sozialdemokratie.
Für Bühler ist klar: «Eine grosse Koalition dürfte vor allem der AfD helfen - darum bin ich gegen den Koalitionsvertrag.»
Eigentlich wolle er ausländischen Parteien strategisch ja nicht dreinreden. «Trotzdem wünsche ich mir eine SPD in der Opposition. Das ist besser, wenn man einen Regierungskurs nicht mittragen kann. Linke Politik ist mit der CDU nicht zu machen. Nur in der Opposition klappt das mit den inhaltlichen Erneuerungen.»
Mit seiner Meinung liegt Juso Bühler auf einer Linie mit dem Deutschen Juso-Chef Kevin Kühnert, der momentan auf Deutschland-Tour gegen den Vertrag weibelt.
«Wir Linken ziehen nicht willkürlich Grenzen»
Und obwohl er sich nicht anmasst, die kleine Baselbieter SP als Vorbild für die grosse deutsche SPD zu sehen, kann er doch von positiven Erneuerungserfahrungen berichten.
«Bei uns ist die SP vor drei Jahren aus der Kantonsregierung ausgeschieden. Das hat uns gut getan, und wir haben unglaublich Schwung bekommen.» Zudem habe man viele Neueintritte verzeichnet.
Dass sich Reichelt und die «Bild»-Zeitung so sehr gegen ausländische Mitbestimmung wehren, kann Bühler nicht verstehen. «Grundsätzlich vertritt die Partei die Meinung ihrer Mitglieder. Gerade wir Linken ziehen nicht willkürlich Grenzen, wer ein Stimmrecht erhält.»
Dass die SPD-Elite so sehr an einer Weiterführung der grossen Koalition interessiert ist, kann Bühler sogar verstehen. «Ich denke nicht, dass es ihnen nur darum geht, an ihren Ämtli festzuhalten.» Trotzdem freue es ihn, dass die Sozialdemokraten basisdemokratisch unter Einbezug der Mitglieder entscheiden.
Ist er eigentlich Team Schulz oder Team Nahles? «Weder noch! Ich interessiere mich eher für die Inhalte als für Personen. Aber klar, ich hatte letztes Jahr grosse Hoffnungen in Schulz.»
Bei Nahles sei es nun mindestens nötig, dass sie sich der Basis im internen Wahlkampf stelle.
Gestern habe er nun sein SPD-Parteibuch und die entsprechenden Unterlagen bekommen. Abstimmen können SPD-Mitglieder im Ausland elektronisch.
Ob das «Bild»-Reichelt nun passe, oder nicht.