Mit Ignazio Cassis amtet endlich wieder ein Tessiner als Bundespräsident. Und der Freisinnige lässt kaum eine Gelegenheit aus, die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Eidgenossenschaft zu betonen. Der Bund ist ohnehin gehalten, die Landessprachen zu pflegen. Seit 2007 verpflichtet das Sprachengesetz die Departemente und die Bundeskanzlei, Informationen in allen Landessprachen zugänglich zu machen. Dazu beschäftigt die Verwaltung eigens Übersetzerinnen und Übersetzer, die munter hin- und herdolmetschen.
Nur sind die Sprachdienste regelmässig am Anschlag, immer wieder vergibt die Bundeskanzlei (BK) Aufträge an externe Dienstleister. Die sitzen aber nicht immer im polyglotten Herzen Europas, sondern oft irgendwo jenseits der Landesgrenzen. So schloss die Bundeskanzlei auf Gebot des Finanzdepartements (EFD) zwei Verträge für Übersetzungen mit Firmen in Rom und Modena (I). Damit sichert sich das EFD Übersetzungsdienstleistungen für die kommenden drei Jahre. Die Kostenspanne der beiden Verträge liegt jeweils zwischen 750 000 und 1,2 Millionen Franken.
Kostenpunkt: 4,2 Millionen Franken
Italiener helfen also mit, dass die Schweiz ihrem Anspruch auf Vielsprachigkeit auch gerecht wird. Das Beispiel aus dem EFD ist kein Sonderfall, wie die Bundeskanzlei bestätigt. Bei Arbeitsüberlastung oder Dringlichkeit «und wenn alle internen Möglichkeiten der zuständigen Sprachdienste ausgeschöpft sind», würden einzelne Übersetzungsaufträge an Externe vergeben. Die meisten «externen Sprachfachleute» seien in der Schweiz ansässig. Aber: «Da die Vergabe von Übersetzungsaufträgen im Einklang mit dem geltenden Recht und den Prozessen der öffentlichen Beschaffungen erfolgt, kann bei der Vergabe kein Unterschied zwischen Sprachfachleuten in der Schweiz und im Ausland gemacht werden», schreibt die BK. Tatsächlich liess der Bund 43 245 Seiten allein in den Jahren 2019 bis 2021 im Ausland übersetzen. Kostenpunkt: 4,2 Millionen Franken.
Ein Zustand, der SP-Nationalrat Matthias Aebischer (54), immerhin Mitglied der parlamentarischen Gruppe «Italianità», gar nicht passt. «Die Viersprachigkeit ist ein Vorzeigeprodukt unseres Landes und wirkt identitätsstiftend», sagt der Berner. Daher erwarte er, dass die Texte der Eidgenossenschaft auch in der Schweiz übersetzt werden. «Sonst wäre diese Tugend eine Farce», so Aebischer. Er will die Auftragsvergabe in einer der kommenden Fragestunden des Nationalrats thematisieren.