«Wir müssen uns jetzt auf den Herbst vorbereiten»
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Taskforce-Chefin Tanja Stadler:«Wir müssen uns jetzt auf den Herbst vorbereiten»

BA.2 auf dem Vormarsch
Ist Corona doch nicht vorbei?

Die Fallzahlen in der Schweiz steigen wieder, und das liegt auch an der neuen Omikron-Variante BA.2. Was das bedeutet.
Publiziert: 12.03.2022 um 15:06 Uhr
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Aktualisiert: 14.03.2022 um 11:46 Uhr
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Bundesrat Alain Berset will am 1. April den nächsten Öffnungsschritt vornehmen.
Foto: keystone-sda.ch

Ist Corona zurück? Die Frage stellen sich immer mehr Menschen in der Schweiz. Denn seit dem 20. Februar steigen die Fallzahlen wieder an. Und seit dem 26. Februar verzeichnen auch die Spitäler wieder mehr Corona-Eintritte.

Der Schuldige ist für viele Menschen schnell gefunden: der Bundesrat, der auf den 16. Februar die meisten Corona-Massnahmen aufgehoben hat: Zertifikatspflicht, Beschränkungen für Grossveranstaltungen, Homeoffice-Pflicht, Maskenpflicht in Innenräumen. Allein im ÖV ist der Mund-Nase-Schutz noch vorgeschrieben. Noch, denn auch hier soll die Maske Ende Monat fallen. Und trotz steigender Zahlen hält der Bundesrat an diesem Plan fest.

Doch ist es so einfach? Blick klärt die wichtigsten Corona-Fragen.

Wie ist die aktuelle Situation?

Am Freitag meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 32'087 Neuinfektionen. Das sind 7000 mehr als am Freitag der Vorwoche. Auch die Positivitätsrate steigt seit Mitte Februar kontinuierlich an. Aktuell sind 55 Prozent aller PCR-Tests positiv, bei den Antigen-Schnelltests sind es 45 Prozent. Die neuste verfügbare Reproduktionszahl R liegt schweizweit bei 1,28. Das heisst: Jede infizierte Person steckt mehr als eine weitere an. Und diese Zahl stammt vom 25. Februar. Mittlerweile wird sie höher liegen.

Lange galt das als unproblematisch: Richtschnur für den Bundesrat war und ist die Belastung der Spitäler. Und hier sah es dank Omikron gut aus: Die Virusvariante gilt zwar als deutlich ansteckender, aber weniger gefährlich als der Ursprungstyp oder die Delta-Variante, die uns im letzten Jahr das Leben schwer machte.

Und so sanken die Spitaleintritte von 140 pro Tag Anfang Januar auf den Tiefststand von 49 am 26. Februar. Seitdem aber steigen sie wieder – aktuell auf 89 am 4. März (das ist die letzte verlässliche Zahl, ab diesem Zeitpunkt sind noch Nachmeldungen zu erwarten).

Allerdings: Bislang bekommen das vor allem die Normalstationen zu spüren. Auf den Intensivstationen liegen schweizweit nur 16 Prozent Covid-Patientinnen und -Patienten. Allerdings sind die regionalen Unterschiede gewaltig: Während es in Freiburg lediglich 8 Prozent sind, belegen Covid-Patienten im Wallis mehr als jedes dritte Intensivbett. Und die Lage dort ist angespannt. Stand Freitag war noch genau ein Intensivbett im Kanton frei. In den meisten anderen Kantonen aber ist die Situation entspannter, Verlegungen sind also ohne weiteres möglich.

Ist jetzt der Bundesrat schuld?

Der grosse Öffnungsschritt vom 16. Februar hat seinen Teil zur Entwicklung beigetragen, das ist sicher: Dass die Mobilität und die Kontakte wieder zunehmen – und damit auch die Zirkulation des Virus, war zu erwarten. Der Bundesrat selbst ging davon aus, dass die Fallzahlen steigen werden und mahnte ja auch, dass jede und jeder selbst verantwortlich mit der Lockerung umgehen sollte.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die wissenschaftliche Taskforce kommt in ihrer Lagebeurteilung vom 7. März zum Schluss, dass der erneute Anstieg der gemeldeten Fälle auf den Öffnungsschritt, aber auch auf die Ausbreitung des Omikron-Subtyps BA.2 zurückzuführen ist. Während lange Zeit Omikrom BA.1 dominant war – in der dritten Januarwoche gingen 95 Prozent aller Infektionen auf diese Vriante zurück – nimmt ihr Anteil seitdem ab und lag Ende Februar nur noch bei 57 Prozent. BA.2-Infektionen machten da schon 42 Prozent aus. In den vergangenen zwei Wochen dürfte ihr Anteil weiter gestiegen sein – BA.2 ist jetzt wohl dominant.

Wie unterscheiden sich BA.1 und BA.2?

Die beiden Omikron-Varianten haben eine Vielzahl von Unterschieden auf der Protein-Ebene. So etwa ist das Spike-Protein anders zusammengesetzt, das verantwortlich dafür ist, wie gut das Virus an die menschliche Zelle andocken kann. Und hier, so scheint es, hat BA.2 einen «Fitnessvorteil». Sie kann beispielsweise den Immunschutz – also die Impfung – besonders gut umgehen und ist ansteckender als BA.1. So gab etwa das Statens Serum Institut bekannt, dass sich BA.2 etwa anderthalbmal so schnell ausbreite wie BA.1. Was das für den Verlauf der Pandemie bedeuten könnte, haben Modellierer der Technischen Universität Berlin errechnet: Für den günstigen Fall nahm das Team an, dass man nach einer BA.1-Infektion gut vor BA.2 geschützt ist und dass die Menschen sich in ihrer Freizeit relativ wenig treffen. Dann würde die BA.2-Welle maximal so gross werden wie die BA.1-Welle im Januar.

Im worst case aber – wenn BA.1 nicht vor BA.2 schützt und sich die Menschen wieder viel treffen wie etwa an der Fasnacht – könnte die Welle zweieinhalbmal so gross werden wie die letzte und damit neue Fallzahlen-Rekorden bringen.

Ist BA.2 auch gefährlicher?

Davon gingen Forscher anfangs aus – auch weil eine japanische Studie mit Hamstern deutlich schwerere Verläufe zeigte. Doch nun stehen die Zeichen eher auf Entwarnung: Ingesamt gebe es keinen grossen Unterschied bei der Krankheitslast, sagen Wissenschaftler aus Deutschland und Südafrika. Noch unklar ist allerdings, wie schwer sich BA.2 bei Ungeimpften auswirkt. Denn einer der Gründe, weshalb die Mehrheit keine Angst vor einer Ansteckung haben muss, ist die Impfung – wenn sie nicht zu lange her ist. Diese schützt auch bei BA.2 gegen schwere Verläufe.

Sorgen machen Experten besonders die wachsenden Infektionen von Risikopersonen wie etwa Senioren. «Bei den über 70-Jährigen sind die nachgewiesenen Fälle derzeit höher, als wir es je gesehen haben in der Omikron-Welle», sagt etwa Urs Karrer, Chefarzt am Kantonsspital Winterthur und Vizepräsident der Taskforce, gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Ihre Immunabwehr ist schwächer, was zu mehr Hospitalisierungen führen könnte.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Bundesrat wird auf den 1. April wohl den nächsten und letzten Öffnungsschritt einleiten. Das Virus kann sich also weiterhin ungehindert verbreiten. Allerdings wird es dann auch wärmer. Das werde, so hoffen Experten, zusammen mit der hohen Immunität der Bevölkerung, dazu führen, dass die Fallzahlen sinken. Doch für Risikopersonen wird es in den kommenden Wochen und Monaten schwierig. Um sich wirklich zu schützen, müssten sie sich stärker oder komplett isolieren. «Ich begreife ja, dass sich die Menschen eine rasche und komplette Öffnung gewünscht haben», sagt Karrer gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Aber aus Sicht der Taskforce wäre eine schrittweise und langsamere Lockerung besser gewesen. Aktuell deute vieles darauf hin, dass wir in den Spitälern eine pandemische Zusatzrunde machen werden, sagt Karrer: «Darauf würden wir alle gern verzichten.» (sf)

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