Die Episode sagt einiges über den Stellenwert der Schweiz in Brüssel aus: Am Donnerstag wäre im Europaparlament das bilaterale Verhältnis mit Bern traktandiert gewesen. Doch wurde das Thema kurzerhand auf den Mittwoch vorverschoben – mit Russland, Corona und Klimaschutz gibt es auf dem Kontinent gerade Wichtigeres zu besprechen. Anders als von vielen erwartet, redete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht persönlich über das Dossier, sondern schickte ihren Stellvertreter Maros Sefcovic vor.
Gleichzeitig haben in Bundesbern die europafreundlichen Parlamentarier nach dem Verhandlungsabbruch über das Rahmenabkommen am 26. Mai durch den Bundesrat wieder Tritt gefasst: Am Freitag hat die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats beschlossen, die Regierung auf dem Gesetzesweg zu einem institutionellen Austausch mit der EU zu zwingen.
Mit einer Mehrheit von 16 zu 5 Stimmen fiel der Entscheid, eine entsprechende Kommissionsinitiative zu lancieren. Antragsteller ist der Baselbieter SP-Nationalrat und Präsident der Neuen Europäischen Bewegung (Nebs), Eric Nussbaumer.
«Klärung der institutionellen Regeln»
Im vorgeschlagenen «Bundesgesetz über die Erweiterung und Erleichterung der Beziehungen mit der Europäischen Union» heisst es wörtlich, die Regierung solle «im Rahmen des strukturierten Dialogs mit der EU die Klärung der institutionellen Regeln (...) mit der EU anstreben, um die Interessen der Schweiz wahren zu können».
Nussbaumer hatte den Vorstoss mit Kommissionspräsidentin Tiana Angelina Moser (GLP) und FDP-Ratskollegin Christa Markwalder abgesprochen. Explizit werden im Text auch «Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens zur Klärung der institutionellen Fragen» gefordert.
Weiter wird festgehalten, dass die Aussenpolitischen Kommissionen und die Kantone «zeitnah über den politischen Dialog» mit Brüssel informiert werden müssen.
Retourkutsche?
Die Strategie ist offensichtlich: Was im Bundesrat scheiterte – ein Rahmenabkommen mit der EU –, soll via Parlament verwirklicht werden. Die Brüskierung der Legislative durch die Regierung sitzt noch immer vielen in den Knochen. Die Initiative kann daher auch als Retourkutsche gesehen werden. Ebenfalls gutgeheissen wurde am Freitag der Antrag, dass die Geschäftsprüfer den Verhandlungsabbruch untersuchen sollen (SonntagsBlick berichtete). Ausschlaggebend war der Stichentscheid von APK-Präsidentin Moser.
Trotz grossen Zuspruchs in der Kommission für Nussbaumers Initiative warten allerdings noch viele Hürden – jetzt muss erst mal die Schwesterkommission im Ständerat überzeugt werden.
Sozialdemokrat Nussbaumer ist parallel dazu auch parteiintern mit dem Dossier beschäftigt: Eben hat die SP-Spitze die «Arbeitsgruppe Pult» ins Leben gerufen. Diese soll zuhanden der Parteigremien bis Ende Jahr eine tragfähige europapolitische Position ausarbeiten. Geleitet wird das Gremium vom Bündner Nationalrat Jon Pult. Zur Handvoll Mitglieder gehören neben Nussbaumer auch der Waadtländer Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard und die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr.