Just vor einem Monat meldete sich alt Bundesrätin Doris Leuthard (55, CVP) an der CVP-Delegiertenversammlung in Zürich für rund sechs Monate ab – sie wolle in Ruhe reisen und Zeit mit ihrer Familie verbringen. Mit der Ruhe ist es nun aber bereits wieder vorbei: Leuthard wird Verwaltungsrätin bei Coop.
Die CVP-Frau ist sich bewusst, dass der rasche Wechsel für Kritik sorgt. «Ja, ideal wären wohl vier bis sechs Monate Auszeit», sagt sie zum Nachrichtenportal Nau.ch. Die Generalversammlungen seien aber «leider» im Frühling und nicht im Herbst. «Und Ausnahmen bestätigen ja die Regel.»
Leuthard ist nicht das einzige Ex-Bundesratsmitglied, das sich nach seinem Rücktritt aus der Landesregierung nicht aufs Altenteil setzen mag. Ein paar Beispiele gefällig?
- Moritz Leuenberger (72, SP) sorgte für besondere Empörung. Kurz nach seinem Rücktritt 2010 wechselte der Infrastrukturminister in den Verwaltungsrat des Baukonzerns Implenia. Ausgerechnet jene Firma also, die massgeblich in den Bau des Gotthardsbasistunnels involviert war.
- Kaspar Villiger (78, FDP) war nach seinem Rücktritt 2003 bald in den Verwaltungsräten von Nestlé, NZZ und Swiss Re aktiv. Von 2009 bis 2012 amtete der ehemalige Finanzminister gar als Verwaltungsratspräsident der UBS.
- Ruth Metzler (54, CVP) engagierte sich nach ihrer Abwahl 2003 in der Geschäftsleitung von Novartis und im Verwaltungsrat der Six Group. Sie ist bis heute vielfältig aktiv – aktuell etwa als Verwaltungsrätin von AXA oder Bühler.
- Joseph Deiss (73, CVP) wurde nur ein knappes Jahr nach seinem Rücktritt 2006 Verwaltungsrat des Milchverarbeiters Emmi.
- Adolf Ogi (76, SVP) trat 2000 als Bundesrat zurück. Danach sass er zum Beispiel in den Verwaltungsräten von Völkl Sports und Océ Schweiz.
- Flavio Cotti (79, CVP) war nach seinen Rücktritt 1999 unter anderem im Verwaltungsrat von Georg Fischer und Think Tools sowie im Beirat der Credit Suisse.
Bis heute keine «Lex Leuenberger»
Die teils lukrativen Mandate der alt Bundesräte sorgten immer wieder für Diskussionsstoff. Der Fall Leuenberger löste besondere Empörung aus. Jahrelang stand im Parlament eine «Lex Leuenberger» zur Debatte, die eine Karenzfrist für Ex-Regierungsmitglieder verlangte.
Bis heute ist nichts daraus geworden. 2018 unternahm die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrats einen neuen Anlauf. Mit einer parlamentarischen Initiative will sie nun ein Gesetz aufgleisen, wonach Ex-Bundesräte nach ihrem Rücktritt keine bezahlten Mandate in Unternehmen annehmen dürfen, die einen engen Bezug zu ihrem früheren Departement haben. Doch die ständerätliche Schwesterkommission lehnte das Ansinnen ab – damit ist nun der Nationalrat wieder am Zug.
Kritik an Leuthard
Alt Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (70, BL), die schon vor Jahren eine Lex Leuenberger eingefordert hatte, äussert auf Twitter ihren Unmut über Leuthards raschen Wechsel.
«Coop-Swisscom-Präsident Loosli und ehemalige Uvek-Chefin Doris Leuthard als Coop-Verwaltungsrätin. Klare Interessensvermischung», schreibt sie. «Es braucht eine Cooling-down Phase für Ex-BundesrätInnen.»
Zurückhaltender äussert sich SP-Nationalrätin und SPK-Mitglied Nadine Masshardt (34, BE). Leuthards neues Mandat fällt ihrer Ansicht nach zwar nicht in den Anwendungsbereich des SPK-Vorstosses, «da es keinen engen Zusammenhang» zwischen Leuthards früherem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) und Coop gebe. «Generell finde ich allerdings, dass die zurückgetretenen Bundesrätinnen und Bundesräte bei der Annahme von Mandaten aus der Privatwirtschaft die notwendige Sensibilität walten lassen müssen.»
Für Caroni kein Problem
Kein Problem sieht FDP-Ständerat und SPK-Mitglied Andrea Caroni (38, AR) in Leuthards neuem Job. «Diese Anstellung ist für Coop ein Coup, also ein ‹Cooup›», meint er schmunzelnd. «Sie ruft aber nicht nach politischem Eingriff.»
Bundesräte sollten ihre enorme Erfahrung zurück in die Wirtschaft und Gesellschaft tragen können, ist für ihn klar. «Dafür müssen sie auch keine Anstandsfrist abwarten – ausser bei Interessenkonflikten, wie damals bei Bundesrat Leuenberger und der Implenia.»
Allerdings will er dies nicht gesetzlich geregelt wissen, denn: «Wer diesen Anstand vermissen lässt, zahlt rufmässig selber dafür.» Bei Leuthard sieht er diesbezüglich kein Problem. Denn Coop sei – anders als Implenia – «auch nicht intensiv mit den Uvek-Themen verstrickt».