Die Schweiz hat ein Luxusproblem. Es fehlen Lehrlinge. Gemäss dem Wirtschaftsdepartement dorhen 8500 Lehrstellen in diesen Jahr unbesetzt zu bleiben. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann schlug nun im BLICK vor, diese mit ausländischen Jugendlichen zu besetzen. «Wenn wir motivierten Jugendlichen aus den Nachbarländern eine Chance geben, können wir offene Lehrstellen besetzen. Gleichzeitig gewinnen wir nach deren Lehre noch die eine oder andere neue Fachkraft. Das nützt allen», so der Wirtschaftsminister.
Genügend Übergänger
Im Parlament stösst Schneider-Ammanns Idee aber auf Skepsis. Etwa bei Bildungspolitiker Matthias Aebischer.
Es gebe immer weniger Schulabgänger und daher immer mehr unbesetzte Lehrstellen. «Vor den Sommerferien spricht man immer von mehreren tausend», so der Berner SP-Nationalrat. «Letztlich konnten wir aber immer fast alle Lehrstellen besetzen – und zwar mit Jugendlichen aus der Schweiz.»
Gemäss Aebischer gibt es beispielsweise viele Jugendliche, die im letzten Jahr die Schule abgeschlossen, aber noch immer keine Lehrstelle gefunden haben. «Die Anstrengungen sollten sich darauf konzentrieren, diese Übergänger in den Arbeitsmarkt zu integrieren – auch wenn sie prima vista vielleicht nicht die perfekten Lehrlinge sind», fordert er daher. Die Jugendlichen würden so die Chance erhalten, sich noch zu entwickeln.
Besser Flüchtlinge, die ohnehin Geld kosten
Auch auf der anderen Ratsseite bei der SVP trifft Schneider-Ammann auf Unverständnis.
«Dass es je nach Region und Beruf schwierig sein kann, Lehrlinge zu finden, ist nicht neu», sagt Magdalena Martullo-Blocher. Die Bündner Nationalrätin leitet mit der Ems-Gruppe selbst ein Unternehmen mit knapp 3000 Mitarbeitern. Sie ortet insbesondere in den technischen Disziplinen ein Problem. Dennoch sollten Unternehmen freie Lehrstellen zuerst mit inländischem Personal besetzen, beispielsweise mit Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen. «Denn die sind ohnehin da und kosten uns Geld.» Deren Integration auf dem Arbeitsmarkt sei zwar eine enorme Herausforderung. «Aber immer noch besser als nun noch zusätzliche Ausländer ins Land zu holen.»
Kein Support von der FDP
Selbst in der eigenen Partei steht man Schneider-Ammanns Idee skeptisch gegenüber.
«Lehrstellen zu besetzen, ist kein Selbstzweck» sagt FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler. «Es geht darum, genügend qualifiziertes Personal für die Wirtschaft sicherzustellen. Ausländische Jugendliche zu holen, kann daher keine Lösung sein» so der Direktor des Gewerbeverbands. Dies, zumal ein Ausbildungsplatz durchschnittlich 20'000 Franken kostet, wie Bigler sagt. «Dieses Geld sollten wir in unsere Jugendlichen investieren.»
Bern/Basel/Genf – Was Bundespräsident Schneider-Ammann fordert, ist in vielen Schweizer Grenzregionen längst Realität. Werden Mitte August beim Pharmakonzern Roche in Basel und Kaiseraugst AG rund 100 Berufseinsteiger ihre Lehre beginnen, bedeutet das für viele von ihnen ein Neuanfang im Ausland. Roche-Sprecher Karsten Kleine sagt: «Rund 20 Prozent unserer Lehrlinge sind Grenzgänger.» Für das Unternehmen sei es «seit jeher selbstverständlich», auch Lehrlinge aus dem grenznahen Ausland auszubilden. Roche ist nicht die einzige Firma mit Sitz in Basel, die auf Lehrlinge aus dem Ausland setzt. René Diesch vom Basler Erziehungsdepartement sagt: «Grenzgänger sind in unserem Kanton eine wichtige Klientel.»
Im Halbkanton sind derzeit noch 260 Lehrstellen in 63 Berufen ausgeschrieben. Baselland hat derweil allein auf dem Lehrstellenportal Lena noch rund 560 Stellen zu vergeben. «Jede besetzte Lehrstelle ist ein Erfolg», sagt Jürg Schneider vom Amt für Berufsbildung und Berufsberatung des Kantons Baselland. Im vergangenen Jahr seien 2,4 Prozent der Lehrverträge von Grenzgängern unterschrieben worden. «Aufgrund ihrer geringen Anzahl sind sie keine Konkurrenz für Schweizer Jugendliche», betont Schneider.
In Genf ist die Zahl der Grenzgänger unter den Lehrlingen rund doppelt so hoch. «Sie beträgt rund fünf Prozent», sagt Grégoire Evéquoz, Direktor des kantonalen Amts für Berufsbildung. Die Zahl sei nicht höher, weil das Modell Berufslehre in Frankreich relativ unbekannt sei, erklärt er. Auf mehr ausländische Lehrlinge sei man aber auch nicht angewiesen. «Zwar sind aktuell noch viele Lehrstellen ausgeschrieben.» Dies liege allerdings daran, dass in der Romandie oftmals erst im September Lehrverträge unterzeichnet werden. Evéquoz: «Am Schluss werden die meisten Lehrstellen besetzt sein.» Lea Hartmann
Bern/Basel/Genf – Was Bundespräsident Schneider-Ammann fordert, ist in vielen Schweizer Grenzregionen längst Realität. Werden Mitte August beim Pharmakonzern Roche in Basel und Kaiseraugst AG rund 100 Berufseinsteiger ihre Lehre beginnen, bedeutet das für viele von ihnen ein Neuanfang im Ausland. Roche-Sprecher Karsten Kleine sagt: «Rund 20 Prozent unserer Lehrlinge sind Grenzgänger.» Für das Unternehmen sei es «seit jeher selbstverständlich», auch Lehrlinge aus dem grenznahen Ausland auszubilden. Roche ist nicht die einzige Firma mit Sitz in Basel, die auf Lehrlinge aus dem Ausland setzt. René Diesch vom Basler Erziehungsdepartement sagt: «Grenzgänger sind in unserem Kanton eine wichtige Klientel.»
Im Halbkanton sind derzeit noch 260 Lehrstellen in 63 Berufen ausgeschrieben. Baselland hat derweil allein auf dem Lehrstellenportal Lena noch rund 560 Stellen zu vergeben. «Jede besetzte Lehrstelle ist ein Erfolg», sagt Jürg Schneider vom Amt für Berufsbildung und Berufsberatung des Kantons Baselland. Im vergangenen Jahr seien 2,4 Prozent der Lehrverträge von Grenzgängern unterschrieben worden. «Aufgrund ihrer geringen Anzahl sind sie keine Konkurrenz für Schweizer Jugendliche», betont Schneider.
In Genf ist die Zahl der Grenzgänger unter den Lehrlingen rund doppelt so hoch. «Sie beträgt rund fünf Prozent», sagt Grégoire Evéquoz, Direktor des kantonalen Amts für Berufsbildung. Die Zahl sei nicht höher, weil das Modell Berufslehre in Frankreich relativ unbekannt sei, erklärt er. Auf mehr ausländische Lehrlinge sei man aber auch nicht angewiesen. «Zwar sind aktuell noch viele Lehrstellen ausgeschrieben.» Dies liege allerdings daran, dass in der Romandie oftmals erst im September Lehrverträge unterzeichnet werden. Evéquoz: «Am Schluss werden die meisten Lehrstellen besetzt sein.» Lea Hartmann
Noch vor nicht allzu langer Zeit zitterten Jugendliche um die wenigen Lehrstellen. Jetzt suchen Firmen verzweifelt Lehrlinge. Der Wind hat so stark gedreht, dass Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann unkonventionelle Massnahmen zur Diskussion stellt: Jugendliche aus Nachbarländern sollen die freien Lehrstellen übernehmen.
Vor dem Hintergrund, dass die Bevölkerung am 9. Februar 2014 für die Begrenzung der Zuwanderung gestimmt hat, mögen die Überlegungen des Bundespräsidenten risikoreich erscheinen. Immerhin würden mehr ausländische Stifte die Zahl der Grenzgänger erhöhen. Mit Blick auf die Masseneinwanderungs-Initiative ist das nicht unproblematisch.
Trotzdem sollte der Vorschlag des Wirtschaftsministers unvoreingenommen geprüft werden. Immerhin ist die Wirtschaft auf Grenzgänger-Lehrlinge angewiesen, die Firmen machen gute Erfahrungen. Und praktisch alle Grenzkantone haben kein Problem mit diesen Lehrlingen.
Noch vor nicht allzu langer Zeit zitterten Jugendliche um die wenigen Lehrstellen. Jetzt suchen Firmen verzweifelt Lehrlinge. Der Wind hat so stark gedreht, dass Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann unkonventionelle Massnahmen zur Diskussion stellt: Jugendliche aus Nachbarländern sollen die freien Lehrstellen übernehmen.
Vor dem Hintergrund, dass die Bevölkerung am 9. Februar 2014 für die Begrenzung der Zuwanderung gestimmt hat, mögen die Überlegungen des Bundespräsidenten risikoreich erscheinen. Immerhin würden mehr ausländische Stifte die Zahl der Grenzgänger erhöhen. Mit Blick auf die Masseneinwanderungs-Initiative ist das nicht unproblematisch.
Trotzdem sollte der Vorschlag des Wirtschaftsministers unvoreingenommen geprüft werden. Immerhin ist die Wirtschaft auf Grenzgänger-Lehrlinge angewiesen, die Firmen machen gute Erfahrungen. Und praktisch alle Grenzkantone haben kein Problem mit diesen Lehrlingen.