Ausgerechnet! SVP verhindert Rechtsrutsch
Die Wende schon am Ende!

Trotz Wahlsieg ist die SVP im Parlament weiter auf Oppositionskurs – und sabotiert so die bürgerliche Wende. Das zeigt eine Auswertung des Politologen Michael Hermann.
Publiziert: 10.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:59 Uhr
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Exklusiv für SonntagsBlick hat Politologe Michael Hermann die ersten drei Sessionen der aktuellen Legislatur ausgewertet.
Foto: Peter Klaunzer
Sermîn Faki und Simon Marti

Seit den Wahlen im vergangenen Herbst haben SVP und FDP im Nationalrat eine knappe Mehrheit. Der Rechtsrutsch, von manchen bejubelt, von anderen verteufelt, ist Tatsache. Doch ausgerechnet die Schweizerische Volkspartei verhindert nun die Entfaltung eines echten rechtsbürgerlichen Powerplays. Das zeigt eine Untersuchung des Polit-Geografen Michael Hermann (44).

Exklusiv für SonntagsBlick hat Hermann die ersten drei Sessionen der aktuellen Legislatur ausgewertet. Resultat: Der Bürgerblock, die geschlossene Allianz von CVP, FDP und SVP, stimmt kaum häufiger gemeinsam gegen die Linke als in den Jahren zuvor. Das liegt an der SVP, die immer noch gerne den Alleingang im Bundeshaus probt. In 32 Prozent aller bisherigen Abstimmungen in der laufenden Legislatur stand die Volkspartei allein. Beispiele dafür sind die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien, aber auch die Verlängerung des Moratoriums für die Ausfuhr von abgebranntem Nuklearmüll.

SVP auf Solo-Pfaden

Damit ist die Rechtspartei noch häufiger isoliert als in den vorangegangenen acht Jahren. Damals hiess es bei 29 Prozent aller Abstimmungen im Parlament «einer gegen alle». «Würde die SVP mit den anderen bürgerlichen Parteien zusammenspannen, wäre der Rechtsrutsch viel massiver», sagt Politologe Hermann. Die SVP aber wandle weiterhin auf Solo-Pfaden.

Welche Macht eine vereinte Rechte hätte, zeigt der Vergleich mit «Mitte-links». CVP und SP finden gerade einmal in 14 Prozent der Abstimmungen einen gemeinsamen Nenner. So lange die SVP sich nicht bewegt, verpufft viel vom bürgerlichen Potenzial. Würden sich SVP, FDP und CVP häufiger so zusammenraufen wie bei der Reform der Unternehmenssteuern, hätte SP-Chef Christian Levrat (56) noch weniger zu lachen.

Doch SVP-Chef Albert Rösti (48) will davon nichts wissen: «Ein Kompromiss um des Kompromisses willen ist doch keine Zielsetzung», sagt er (siehe Interview S. 5). In der Wirtschaftspolitik funktioniere die Zusammenarbeit gut, doch in den zentralen SVP-Themen Europa und Migration gebe es keinen Verhandlungsspielraum für seine Partei.

Das sehen die bürgerlichen Partner ebenso. «In der Europapolitik und in Migrationsfragen wird die SVP auch künftig nicht Hand für Lösungen bieten», sagt FDP-Chefin Petra Gössi (40). «Denn würde die SVP konstruktiv mitarbeiten, könnte sie das Thema nicht weiter bewirtschaften.»

Den Vorwurf Röstis, die FDP habe sich nach links verabschiedet, kontert sie barsch: «Das ist kompletter Schwachsinn.» Ihre einstimmige Wahl beweise ja, dass der Freisinn alles andere als linker geworden sei. Wenn die SVP behaupte, ihren Positionen treu geblieben zu sein, frage sie sich, was genau denn SVP-Position sei, etwa in der Europafrage: «Auf der einen Seite betont die Partei, für den bilateralen Weg einzustehen. Dennoch torpediert sie diesen immer wieder und spricht nun sogar von einer Kündigungsinitiative.» Und Kompromiss sei kein Schimpfwort: «Sondern so funktioniert unser politisches System.»

Hermanns Befund überrascht. Denn am Abend des 19. Oktobers 2015 wähnte sich die Volkspartei am Ziel einer jahrelangen Kampagne. Mit einem historischen Wähleranteil von 29,4 Prozent erreichte sie das beste Ergebnis einer Partei in der Schweiz seit 1919. Es folgte der Rücktritt der erklärten Erzfeindin: BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (60) machte Platz für den Waadtländer Winzer Guy Parmelin (56).

SVP rüstet verbal ab

Seitdem rüstet die SVP verbal ab. Die erwartete harte Kampagne gegen die Asylgesetzrevision blieb aus. Die führenden Köpfe der Partei gaben bekannt, die stramme Oppositionspolitik zugunsten eines konstruktiveren Kurses aufzugeben. «Die SVP ist jetzt vollwertige Regierungspartei. So hoffen wir, weniger Initiativen und Referenden lancieren zu müssen», erklärte Chef-Stratege und alt Bundesrat Christoph Blocher (75) vor vier Wochen im SonntagsBlick. Und Präsident Rösti  verkündete in der NZZ das Gleiche: «Wir erwarten, dass wir mit einer bürgerlichen Mehrheit in Bundesrat und Parlament zumindest einen Teil unserer Ziele besser erreichen können.»

Die Personalpolitik von CVP und FDP schien geeignet, der SVP eine Brücke zu bauen und den oft beschworenen bürgerlichen Schulterschluss zu realisieren. CVP-Chef Gerhard Pfister (53) und Petra Gössi sind klar am rechten Rand ihrer Parteien angesiedelt. Gemeinsam mit dem ebenfalls neuen SVP-Chef Rösti schien der Teppich für eine enge Kooperation gelegt.

Allein, in Bundesbern ist davon wenig zu spüren. Das hat auch Gössi festgestellt: «Die SVP ist in ihrer neuen Rolle als Regierungspartei mit zwei Bundesräten noch nicht richtig angekommen. Oppositionspolitik zu machen, ist natürlich einfacher», sagt sie und folgert: «Konstruktive bürgerliche Politik bleibt daher der FDP vorbehalten.»

«Der Freisinn gibt im Parlament den Ton an»

Tatsächlich avanciert nicht die strahlende Siegerin der letzten Wahlen, die SVP, zum grossen Profiteur des rechten Wählerwillens, sondern die FDP. «Der Freisinn gibt im Parlament den Ton an», sagt Hermann trocken. Gössis Mannschaft gewinnt 86,4 Prozent aller Abstimmungen, ein Ergebnis, das nur noch von der kleinen BDP getoppt wird (86,6 Prozent). Die SVP mit rund 65 Prozent Abstimmungserfolg kann nur SP und die Grünen abhängen. Zwar konnte sie ihre Erfolgsquote im Parlament im Vergleich zur letzten Legislatur um vier Prozent steigern. Damit liegt die Volkspartei trotzdem unter ihrem Wert aus den Jahren 2007 bis 2011, als sie bei zwei von drei Abstimmungen zu den Siegern gehörte. «Die Wähler haben zwar das national-konservative Lager gestärkt», so Hermanns Fazit. «Nur nützt das jetzt dem wirtschaftsliberalen Freisinn.»

Das Ranking: Welscher Freisinn top, Deutschschweizer SP ein Flop

Der erfolgreichste Parlamentarier ist der Freiburger FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois. Die SonntagsBlick-Auswertung zeigt, dass der Direktor des Bauernverbands bei über 91 Prozent aller Abstimmungen auf der Seite der Gewinner steht. Er führt eine ganze Reihe Freisinniger Romands an. Kein Zufall: Die Welschen gelten als gemässigt und staatsnah. Grosse Verliererin ist die SP. Am wenigsten durchsetzen kann sich Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo.

Sie haben die meisten Abstimmungen gewonnen ...

1/12
91.09 %: Jacques Bourgeois (58) FDP, FR
Foto: Gaetan Bally

... und sie sind die Schlusslichter

1/12
51,35 %: Prisca Birrer-Heimo (57) SP, LU
Foto: Gaetan Bally
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