Aus dem MEI-Debakel gelernt
ETH und Unis warnen jetzt vor SVP-Initiative

Vor der Abstimmung zur Masseneinwanderungs-Initiative hielten sich die Hochschulen zurück. Was ihnen Kritik eintrug. Bei der Selbstbestimmungs-Initiative schlagen sie nun Alarm. Was der SVP nicht passt.
Publiziert: 02.11.2018 um 19:53 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2018 um 09:31 Uhr
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Fritz Schiesser, Präsident des ETH-Rats, warnt davor, dass die Selbstbestimmungs-Initiative die stabilen Rahmenbedingungen, die die Wissenschaft dringend braucht, gefährdet.
Foto: Keystone
Martina Tomaschett

Die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative sorgte im Februar 2014 für ein politisches Erdbeben. Auch in den Schweizer Universitäten war dieses zu spüren. Die Wissenschaftler mussten sich vorwerfen lassen, nicht früher und umfangreicher vor den Folgen der Initiative für Forschung und Bildung gewarnt zu haben.

«Deshalb äussern wir unsere Bedenken über die Selbstbestimmungs-Initiative nun früher», sagt Michael Hengartner (52), Präsident von Swissuniversities und Rektor der Universität Zürich. Er kritisiert: «Die Initiative ist schlecht für die internationale Vernetzung der Schweizer Hochschulen.»

Auch der ETH-Rat, das oberste Führungsorgan der angesehenen Hochschule, äussert sich zur SVP-Initiative. «Wir geben keine Parolen aus, aber wir informieren über unsere Haltung, damit die Stimmbürger ihre Entscheidung fällen können», sagt Präsident Fritz Schiesser (64). «Die Selbstbestimmungs-Initiative gefährdet die stabilen Rahmenbedingungen, die wir für die Schweizer Wissenschaft brauchen», führt er aus.

«Forschungsleistungen würden zurückgehen»

Die Initiative, über die am 25. November angestimmt wird, will Vorrang für die Schweizer Verfassung gegenüber internationalem Recht. Im Falle eines Widerspruchs müssten völkerrechtliche Verträge neu verhandelt und im Härtefall gekündigt werden. Dies führe zu Rechtsunsicherheit und erschwere die internationale Zusammenarbeit der Forscher, argumentieren die beiden Hochschul-Vertreter. Spitzenleistungen gebe es in der Forschung nur über internationalen Austausch, betont Schiesser.

«Unsere Forschungsleistungen würden wohl zurückgehen, wie die Erfahrungen nach der Masseneinwanderungs-Initiative zeigen, und damit hätten wir weniger Innovationen für die Schweizer Wirtschaft», sagt er weiter. Nach der Annahme der Initiative stufte die EU die Schweiz im Forschungsprogramm Horizon 2020 zum Teilmitglied herunter.

Weniger Beteiligung an internationalen Forschungsprojekten

Daraufhin hat die Beteiligung der Schweiz an internationalen Forschungsprojekten abgenommen. Dies zeigen kürzlich veröffentlichte Zahlen des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). «Es entstand ein nachhaltiger Schaden für die Schweizer Wissenschaft», warnt Schiesser. Auch Michael Hengartner betont: «Rechtsunsicherheit ist Gift für den Bildungs-, Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz.»

SVP-Präsident Albert Rösti (51), selbst ETH-Abgänger, hält dagegen: «Die Selbstbestimmungs-Initiative ist eben genau das, was Rechtssicherheit gibt, indem klar geregelt wird, dass im Konfliktfall mit internationalem Recht die Schweizer Verfassung gilt», betont er.

Dass die Universitäten mit dem vorübergehenden Rausschmiss aus Horizon 2020 argumentieren, sei ein vorgeschobenes Argument. Er nimmt Grossbritannien als Beispiel: «Nach dem Brexit sind die zwei Länder mit den in Europa weltweit mit Abstand besten Hochschulen beide nicht Mitglied der EU.» Da werde die EU selbst Interesse an der weiteren Zusammenarbeit haben, sonst schiesse sie sich ins eigene Bein.

Kritik an politischer Positionierung der Unis

Der Berner Nationalrat ist enttäuscht über die deutliche Positionierung der Universitäten: «Ich hätte die ETH unabhängiger eingeschätzt und nicht erwartet, dass sie unkritisch die Phrasen von Economiesuisse runterbetet», sagt er.

Auch sein Parteikollege Mauro Tuena (46) ist erzürnt: «Es ist befremdlich, dass Institutionen wie die Unis und die ETH politische Empfehlungen abgeben!» Öffentliche Bildungseinrichtungen seien von der Allgemeinheit getragen und sollten politisch neutral sein. Als Mitglied der nationalrätlichen Bildungskommission sagt Tuena: «Wir werden bei der ETH vorstellig werden und deutlich sagen, dass solche Äusserungen zu unterlassen sind.»

Warnung vor der Weichspülstrategie der SVP

Die SVP kleistert seit Wochen die Schweiz voll mit ihren harmlosen Plakaten. Jetzt versuchen die Gegner, Operation Libero, die Kampagne zu kontern. Möglichst nahe zu den SVP-Plakaten sollen nun die Gegenbotschaften aufgehängt werden.

Laura Zimmermann (26), Co-Präsidentin der Operation Libero, ist besorgt: «Die Weichspülstrategie der SVP könnte am Ende noch aufgehen.» Sie befürchtet aufgrund der guten Umfrage-Ergebnisse eine Demobilisation der Gegnerschaft. «So könnte am Ende die Selbstbestimmungs-Initiative noch durchkommen – mit verheerenden Konsequenzen für den Rechtsstaat», sagt Zimmermann.

Während Operation Libero die bisherige Kampagne bekämpft, lanciert die SVP heute – auch in dieser Zeitung – wieder Botschaften, wie man es sich von der Rechtspartei gewohnt ist. SVP-Übervater Christoph Blocher (78) warnt vor «abenteuerlicher Willkürherrschaft», wenn das Anliegen abgelehnt würde. Marcel Odermatt

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