Es war ein denkwürdiger Auftritt von Bundesrichterin Alexia Heine (51). Die Gerichtskommission des Parlaments hatte sie am Mittwoch eingeladen. Thema war die brisanteste Personalie in Bundesbern: Bundesanwalt Michael Lauber (54). Der Besuch endete mit einer Standpauke.
Alexia Heine ist Mitglied der Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft (AB-BA) und Autorin jenes berüchtigten Disziplinarberichts, der mit Lauber abrechnet – in einer für die Schweiz höchst ungewohnten Schärfe. Der oberste Strafverfolger des Landes habe die Treuepflichten verletzt, gelogen und die Untersuchung rund um unprotokollierte Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino (50) hintertrieben, heisst es in der Verfügung vom 2. März.
Umso überraschender ist ein Verhalten der Aufsicht, das bis jetzt kaum Beachtung gefunden hat: Gesetzlich müsste die AB-BA nach ihrem vernichtenden Befund einen Antrag auf Laubers Absetzung stellen. «Gelangt die Aufsichtsbehörde nach einer Disziplinaruntersuchung zur Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung erfüllt sind, so stellt sie der Gerichtskommission Antrag auf Amtsenthebung», heisst es in der Verordnung über die Aufsichtsbehörde. Dennoch verzichteten Laubers Aufseher auf diesen Schritt.
Farbe bekennen
Woher kommt die Beisshemmung? Das wollte die Gerichtskommission am Mittwoch von Alexia Heine erfahren. Doch zur Antwort bekamen die Parlamentarier einen energischen Appell zu hören: Die Bundesversammlung müsse jetzt endlich Farbe bekennen, echauffierte sich Heine. Nach wenigen Minuten war die Vorstellung beendet, verunsicherte Parlamentarier blieben zurück. So bestätigen es mehrere Anwesende übereinstimmend gegenüber SonntagsBlick.
AB-BA-Sprecher Patrick Gättelin sagt zu SonntagsBlick, dass die Aufsicht den Ball dem Parlament zuspielt: «Ein Antrag auf Amtsenthebung an die Vereinigte Bundesversammlung wäre nach Ansicht der Aufsichtsbehörde zum Zeitpunkt der Eröffnung der Disziplinarverfügung am 2. März 2020 ein politischer Entscheid gewesen. Dieser stand ihr als Fachbehörde wenige Monate nach der Wiederwahl des Bundesanwalts durch die Bundesversammlung nicht zu. Als politisch verantwortliche Wahlbehörde liegt es in der Kompetenz der Bundesversammlung zu entscheiden, ob sie ein Amtsenthebungsverfahren einleiten will.»
Der Präsident der Gerichtskommission, FDP-Ständerat Andrea Caroni (40), will sich dazu ausdrücklich nicht äussern. Sicher ist, dass die Kommission, obwohl mehrheitlich mit Lauber-Gegnern bestückt, ebenfalls zögert.
Caroni weist auf einen möglichen Erklärungsgrund hin: Am Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen ist Laubers Rekurs gegen Heines Untersuchung hängig. Die Chancen, dass der Bundesanwalt dort zumindest teilweise recht bekommt, sind intakt. In St. Gallen befasst sich just jene Instruktionsrichterin mit dem Fall, die Lauber in seiner Auseinandersetzung mit der Aufsicht schon einmal recht gegeben hatte, wie die «NZZ» kürzlich berichtete.
Urteil im Sommer erwartet
Würde die Bundesversammlung Lauber absetzen und das Gericht ihn nachträglich rehabilitieren, wäre die Blamage für das Parlament perfekt. Und Lauber selbst ist gut beraten, jetzt nicht zurückzutreten: Scheidet er aus dem Amt, erlischt das Disziplinarverfahren – und damit die Möglichkeit, in St. Gallen zu siegen.
Daher herrscht nun banges Warten auf das Orakel von St. Gallen. «Das Parlament sollte dieses Urteil kennen, wenn es entscheidet», sagt Caroni, der eine Abwahl Laubers aus staatspolitischen Gründen skeptisch sieht (er verweist auf die USA, «wo Präsident Trump Staatsanwälte, die in für ihn unangenehmer Weise ermitteln, nach Gutdünken feuern kann»). Caroni rechnet noch im Sommer mit einem Urteil. Was für eine Abstimmung in der Herbstsession genügen würde.
Selbst dann hätte Lauber noch einen Pfeil im Köcher: Am Mittwoch wurde auch die Frage besprochen, ob er gegen eine Entlassung rekurrieren kann – gesetzlich ist dies nicht geklärt, weshalb die Kommission juristische Fachleute beigezogen hat. Caroni: «Unsere Rechtsexperten sind zum Schluss gekommen, dass Bundesanwalt Lauber eine allfällige parlamentarische Absetzung voraussichtlich anfechten könnte.»
Ein solcher Rekurs würde ebenfalls bei alten Bekannten landen – beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen.