Als das Stimmvolk 1957 zum ersten Mal an der Urne über die zivile Nutzung der Atomenergie zu entscheiden hatte, legte es beseelt vom Glauben an die Zukunftstechnologie mit einem überzeugten Ja den Grundstein für das AKW-Zeitalter in der Schweiz.
Seither kamen weitere Atom-Entscheide auf Bundesebene dazu. Die meisten fielen dabei – wenn auch knapp – zugunsten der Atomkraft-Nutzung aus. Nur einmal schwangen die AKW-Gegner bisher oben aus.
Schaffen sie am 27. November den zweiten Sieg? Ein kleiner Blick zurück auf die bewegte Atom-Debatte.
1957: Atom-Grundstein
Ach, waren das noch Zeiten! Nach dem Zweiten Weltkrieg gewinnt die zivile Nutzung der Atomkraft an Bedeutung. Sie gilt als saubere Zukunftstechnologie, so dass ihr auch die Bevölkerung in Massen huldigt.
Am 24. November 1957 sagt das – damals nur männliche – Stimmvolk mit 77,3 Prozent deutlich ja zu einem neuen Atom-Artikel in der Bundesverfassung. Sämtliche Parteien geben die Ja-Parole aus. Eine organisierte Opposition bleibt aus.
Damit wird der Grundstein für die zivile Nutzung der Atomtechnologie in der Schweiz gelegt. Die Gesetzgebung im Atom-Bereich wird zur Bundessache. Zudem muss der Bund Vorschriften über den Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlung erlassen.
Zwölf Jahre später geht in Beznau das erste Atomkraftwerk der Schweiz ans Netz. 1972 folgen ein zweiter Reaktor in Beznau und das AKW Mühleberg.
1979: Hauchdünne Niederlage
Die Anti-Atom-Bewegung richtet sich in ihren Anfängen gegen die atomare Bewaffnung der Schweiz. Auch die ersten beiden Anti-Atom-Initiativen wenden sich dagegen – und werden 1962 beziehungsweise 1963 beide deutlich verworfen.
Die Kritik an der zivilen Atomkraft-Nutzung kommt erst später auf. Zu Beginn der 1970-er Jahre formiert sich der organisierte Widerstand gegen neue AKW wie Gösgen (seit 1979 am Netz) oder Kaiseraugst (nie gebaut).
Die AKW-Gegner lancieren auch eine Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen». Die Kernforderung: Neue AKW brauchen eine Konzession – und für diese braucht es nicht nur die Zustimmung der Bundesversammlung, sondern auch der Standortgemeinden, der angrenzenden Gemeinden und aller Kantone, die nicht weiter als 30 Kilometer vom Standort entfernt sind. Die Initiative verlangt auch eine obligatorische Haftpflichtversicherung.
Ein Ja hätte wohl das Aus für das in Bau befindlichen AKW Leibstadt bedeutet und neue Atommeiler praktisch verunmöglicht. Die Initiative schafft am 18. Februar 1979 48,8 Prozent Ja und wird damit knapp abgelehnt.
Noch im gleichen Jahr segnet das Stimmvolk das neue Atomgesetz ab, welches als informeller Gegenvorschlag aufgegleist wurde. Demnach dürfen neue AKW nur gebaut werden, wenn sie für die Stromversorgung der Schweiz nötig sind und vom Parlament bewilligt werden.
1984: Achtungserfolg für Baustopp-Initiative
Das AKW Leibstadt geht 1984 als letztes Schweizer AKW in Betrieb. Im gleichen Jahr entscheidet das Stimmvolk erstmals über einen AKW-Baustopp. Die von der Schweizerischen Energie-Stiftung lancierte Initiative «für eine Zukunft ohne weitere Atomkraftwerke» verlangt, dass keine neuen AKW gebaut und die bisherigen nicht ersetzt werden dürfen.
Das Volksbegehren schafft am 23. September 1984 einen Ja-Anteil von 45 Prozent – die Atomlobby hat sich noch einmal durchgesetzt.
1990: AKW-Moratorium dank Tschernobyl
Neuen Aufwind erhält die Anti-AKW-Bewegung nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986. In der Folge schafft eine Anti-AKW-Initiative erstmals nicht nur einen Achtungserfolg, sondern den Durchbruch: Mit 54,5 Prozent Ja heisst das Stimmvolk am 23. September 1990 die Volksinitiative für ein zehnjähriges AKW-Moratorium gut.
Die von der SP lancierte Ausstiegs-Initiative hingegen, welche neue Meiler verbieten und die bisherigen «so rasch als möglich» stilllegen will, scheitert gleichentags knapp mit einem Ja-Anteil von 47,1 Prozent.
2003: Doppel-Schlappe für AKW-Gegner
Die AKW-Gegner versuchen es erneut mit einem Doppelpack: Einer Ausstiegs- und einer Moratoriums-Initiative. Doch diesmal kennt das Stimmvolk für beide Begehren keine Gnade.
Deutlich wie nie zuvor lehnt es am 18. Mai 2003 beide Initiativen ab. Für eine Weiterführung des Moratoriums um weitere zehn Jahre vermögen sich nur noch 41,6 Prozent der Stimmenden zu erwärmen. Die Ausstiegs-Initiative erreicht sogar nur noch 33,7 Prozent Ja.
2016: Grüner Überraschungscoup?
Fast 60 Jahre nach dem euphorischen Volksentscheid zugunsten der Atomenergie ist das Ende des AKW-Zeitalters in der Schweiz absehbar. Die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 hat bewirkt, dass nun selbst Bundesrat und Parlament mit ihrer Energiestrategie 2050 für den schrittweisen Ausstieg plädieren – ohne allerdings einen konkreten Abschalttermin zu nennen.
Das wollen die Grünen mit ihrer Volksinitiative für einen gestaffelten Atomausstieg bis 2029 korrigieren. Sagt das Stimmvolk Ja, müssen Beznau I und II sowie Mühleberg schon nächstes Jahr vom Netz. Gösgen ginge 2024 und Leibstadt 2029 ausser Betrieb.
Gemäss den bisherigen Umfragen hat die Initiative intakte Chancen auf eine Ja-Mehrheit. Ob die Anti-AKW-Bewegung zum zweiten Mal auf einen Sieg anstossen kann, entscheidet sich am 27. November 2016.