Auf einen Blick
- Schweizer Asylbehörden prüfen türkische Gesuche genauer wegen gefälschter Dokumente
- Türkische Asylsuchende nutzen Scheinverfahren mit bestechlichen Staatsanwälten als Beweismittel
- SEM stellte in den letzten Jahren über 100 Fälschungen bei türkischen Gesuchstellern fest
Die Schweizer Asylbehörden schieben seit Jahren einen Pendenzenberg vor sich her. Mit ein Grund ist, dass die Abklärung von Asylgründen teilweise detektivische Kleinarbeit erfordert.
Wie Blick erfahren hat, versuchten im vergangenen Jahr vermehrt Türkinnen und Türken, sich mit gefälschten Dokumenten Asyl in der Schweiz zu ergaunern. Deshalb prüfen die Mitarbeitenden von Asylminister Beat Jans (60, SP) derzeit die Gesuche von Menschen aus der Türkei genauer – offenbar mit entsprechender Auswirkung auf die Bearbeitungsdauer.
Mehr als 100 Fälschungen
Wie eine Asylorganisation berichtet, würden in der Türkei vermehrt Scheinverfahren mithilfe von bestechlichen Staatsanwälten eingeleitet, damit die Personen an Beweismittel kommen, die ihnen einen in der Schweiz anerkannten Asylgrund «beschaffen». Etwa, dass sie in der Türkei politisch verfolgt würden.
Diese Beobachtung bestätigt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage. Die Fälle stellen die hiesigen Behörden vor eine besondere Herausforderung, da die Beweismittel formal echt sind. «Die Erkennung illegal erworbener, aber echter Dokumente ist kaum möglich», sagt SEM-Sprecher Nicolas Cerclé.
Die von den Asylsuchenden eingereichten Dokumente seien jedoch nur eines der Elemente, die bei der Prüfung eines Gesuchs beurteilt würden. «In Fällen, in denen das SEM Missbrauch vermutet, tätigt es weitere Abklärungen und trifft die notwendigen Massnahmen.»
Anwalt bezahlt
Die «NZZ» berichtete im Juli etwa über einen türkischen Anwalt, der Landsleute bei den Behörden in der Türkei meldete, weil sie regierungskritische Propaganda im Internet verbreitet hatten. Bemerkenswert ist, dass die betroffenen Personen den Anwalt genau dafür bezahlt hatten. Durch diese Anzeigen wollten sie ihre Gefährdung im Heimatland dokumentieren. Offenbar spielen teilweise auch korrupte türkische Staatsanwälte bei dieser Masche mit.
Wie oft die Schweiz solchen Betrügern auf die Spur kam, kann oder will man nicht ganz genau ausweisen. «Erfahrungsgemäss kann jedoch gesagt werden, dass Gerichtsdokumente bei türkischen Asylsuchenden eine grosse Rolle spielen und das SEM in den vergangenen Jahren jeweils mehr als 100 Fälschungen in Beweismitteleingaben türkischer Gesuchsteller festgestellt hat», heisst es beim zuständigen Staatssekretariat weiter.
Für diplomatische Verstimmungen hat das bisher nicht gesorgt. Die offizielle Schweiz habe dieses Thema im Rahmen des bilateralen Austausches «nicht angesprochen», heisst es auf Anfrage von Blick.
2023 suchten mehr Türken Schutz
Die Türkei gehört zu den wichtigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern in der Schweiz. Allein im Oktober stellten 384 Menschen aus der Türkei ein Asylgesuch. Nur aus Afghanistan baten noch mehr Menschen um eine Aufnahme.
Die Zahl der Asylgesuche türkischer Staatsangehöriger nahm 2023 europaweit deutlich zu, in der Schweiz um über 40 Prozent. 6822 Gesuche stammten letztes Jahr von Menschen aus der Türkei. «Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei bezüglich der Ausübung politischer Rechte und der freien Meinungsäusserung kontinuierlich verschlechtert», hiess es beim SEM Anfang Jahr.
Behörden bauen aus
In der Vergangenheit sorgten die vielen Verfahren gegen Anhänger der Gülen-Bewegung dafür, dass Betroffene in der Schweiz ihre Fluchtgründe besonders gut nachweisen konnten. Manche konnten beispielsweise die Akten der türkischen Strafverfahren vorweisen, die zeigten, dass sie willkürlich wegen Terrorismusvorwurf angeklagt und inhaftiert worden waren.
Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich aber ein wegweisendes Urteil gefällt. So kamen die Richter in St. Gallen zum Schluss, dass türkische Asylsuchende nicht einzig aufgrund der Tatsache als Flüchtlinge anzuerkennen seien, dass im Heimatstaat staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen «Präsidentenbeleidigung» oder «Propaganda für eine terroristische Organisation» hängig seien.
Inzwischen würden türkische Asylsuchende vermehrt von psychischem Druck erzählen, der nicht mehr auszuhalten sei, von Polizeischikanen oder Arbeitsverboten für Personen, die bei der türkischen Regierung in Ungnade gefallen seien, berichten Asyl-Experten. Allerdings braucht das SEM auch für diese Prüfung tendenziell mehr Zeit als bei gut dokumentierten Fällen mit juristisch festgehaltener Strafandrohung.
Bundesrat Beat Jans (60) betonte bei seinem Antritt, dass der Abbau der hängigen Gesuche eine Priorität seines Departements darstelle. Im Februar hat der Bundesrat dafür 60 zusätzliche Vollzeitstellen genehmigt. Die Zahl der offenen Asylgesuche ist nun von über 15'500 Ende 2023 auf 12'500 Ende Oktober 2024 zurückgegangen.