Astra-Chef Jürg Röthlisberger ist für E-Mobilität und Mobility Pricing
«In zwei Jahren haben alle Raststätten E-Ladestationen»

Mobility Pricing, E-Ladestationen und überdachte Autobahnen: Im Interview mit BLICK blickt Astra-Chef Jürg Röthlisberger (55) in die grüne Zukunft der Schweizer Strassen. Und er sagt, weshalb er schlaflose Nächte hatte.
Publiziert: 02.02.2020 um 23:51 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2020 um 20:51 Uhr
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Der Astra-Chef Jürg Röthlisberger (55) muss 400 Kilometer Strassen neu verwalten.
Foto: Keystone
Tobias Bruggmann und Ruedi Studer

Der Ort, wo sich fast alles um die Schweizer Nationalstrassen dreht, liegt direkt neben einem Bahnhof. Der Hauptsitz des Bundesamts für Strassen (Astra) ist ein moderner Bau aus Glas und Holz. Vor der Türe stehen E-Bikes. Sein Chef des Amts, Jürg Röthlisberger (55), hat ein spezielles Neujahrsgeschenk bekommen: 400 Kilometer Strassen, die neu ins Nationalstrassennetz aufgenommen wurden.

BLICK: Herr Röthlisberger, sind Sie als Astra-Chef immer mit dem Auto unterwegs?
Jürg Röthlisberger:
(lacht) Strassen bedeuten nicht unbedingt Auto, sondern auch Veloweg oder Trottoir. Natürlich muss ich unser Produkt kennen.

Seit Anfang Jahr sind Sie der Herr über zusätzliche 400 Kilometer Nationalstrassen. Haben Sie die alle schon abgefahren?
Ja sicher, schon einige Male. Sie dürfen den Anspruch an mich haben, dass ich jeden Meter Nationalstrasse kenne. Mit den neuen Strassen geht eine grosse Verantwortung einher. Das Volk erwartet sichere und verfügbare Strassen ab dem ersten Tag. Das ist eine grosse Herausforderung. Wir sind ja alles Ingenieure aus Fleisch und Blut und schlafen schon manchmal schlecht, wenn man sieht, was alles schieflaufen könnte. Ich hatte tatsächlich schlaflose Nächte.

Weshalb das denn?
Stellen Sie sich mal vor, Sie übernehmen eine Erbschaft. Die müssen Sie genau prüfen. Wir kannten die neuen Strassen zuvor nicht und hatten keinen Einfluss auf sie. Zum Beispiel, wenn es um Naturgefahren oder Verkehrssicherheit ging – wir konnten nicht tätig werden, bevor die Strassen bei uns waren.

Müssen Sie irgendwo Sofortmassnahmen einleiten?
Die wird es punktuell geben. Naturgefahren sind in den Bergregionen sicher ein Thema. Bei anderen Bauwerken müssen wir die Tunnelsicherheit anschauen. Wir nehmen jetzt alles genau unter die Lupe und werden die Ergebnisse im nächsten Netzzustandsbericht transparent veröffentlichen. Aber es gibt nach heutigem Kenntnisstand keine Strecken, die wir schliessen oder beschränken müssen.

Herr über die Schweizer Strassen

Jürg Röthlisberger (55) ist seit Anfang 2015 Direktor des Bundesamts für Strassen (ASTRA). Der diplomierte Bauingenieur arbeitet seit über 22 Jahren für das ASTRA, seit Anfang 2015 als Direktor. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern präsidiert in diesem Jahr auch die europäische Konferenz der Strassendirektoren (CEDR) in Paris (F).

Jürg Röthlisberger (55) ist seit Anfang 2015 Direktor des Bundesamts für Strassen (ASTRA). Der diplomierte Bauingenieur arbeitet seit über 22 Jahren für das ASTRA, seit Anfang 2015 als Direktor. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern präsidiert in diesem Jahr auch die europäische Konferenz der Strassendirektoren (CEDR) in Paris (F).

Das Nationalstrassennetz wird ständig ausgebaut, vor allem auch auf mehr Spuren. Dabei fahren Autos immer cleverer, brauchen also weniger Verkehrsfläche. Sie bauen zu viel!
Es ist klar, dass wir neben dem punktuellen Ausbau die Verkehrsfläche noch besser nutzen können und müssen, wenn intelligente Fahrzeuge miteinander verbunden sind. Im Moment sind wir aber noch nicht so weit – und es wird noch einige Zeit dauern. Zudem dürfen Sie Sanierungen und Unterhalt nicht vergessen, da das Strassennetz immer älter wird. Mit mehr Fläche erhalten wir mehr Spielraum, um auch mal eine Spur zu sperren, ohne den Verkehrsfluss gross zu beeinträchtigen.

Im Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds NAF liegen über drei Milliarden Franken. Sie können aus dem Vollen schöpfen.
Das ist eine trügerische Betrachtung. Wenn von Benzin und Diesel auf die Elektromobilität gewechselt wird, ist das gut für den Klimaschutz. Damit werden aber die Einnahmen aus der Treibstoffsteuer zurückgehen. Das sind 500 bis 600 Millionen Franken im Jahr.

Mit Mobility Pricing liesse sich das Loch stopfen. Zahlen wir bald pro Fahrkilometer?
Wir haben vom Bundesrat den Auftrag bekommen, zusammen mit dem Finanzdepartement ein Konzept zur Sicherung der langfristigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu erarbeiten. Zudem suchen wir jetzt Städte und Kantone, die eigene Mobility-Pricing-Pilotversuche durchführen möchten. Einige Kantone haben bereits ihr Interesse angemeldet. Entscheidend ist aber, dass auch die lokale Bevölkerung dahintersteht. Mobility Pricing kann man nicht gegen die Bevölkerung einführen.

Aber eigentlich kommt man nicht darum herum?
Das Problem ist einfach: Strassen und Schienen müssen finanziert werden. Bei der Strasse läuft dies vor allem über Treibstoffabgaben. Aber Diesel und Benzin wollen wir weghaben. Also brauchen wir eine Alternative. Ich sehe nichts Geeigneteres als eine Kilometerabgabe. Im Grunde haben wir ja heute bereits eine Kilometerabgabe über den Treibstoffverbrauch: Wer mehr fährt, bezahlt mehr.

Ein anderes Thema: Bei der Staustatistik verzeichneten Sie 2018 einen Rückgang. Dafür müssen wir immer öfter mit Tempo 80 über die Autobahn schleichen.
Ja, wir müssen in Spitzenzeiten punktuell die Geschwindigkeiten regulieren. Aber lieber langsamer fahren und schneller zum Ziel kommen, als schnell fahren und langsam zum Ziel kommen. Genau das ist der Punkt! Wir haben nur eine Chance, das zu beweisen: Wir müssen mit der Staustatistik belegen, dass wir längerfristig weniger Stau haben. Die Zahlen für 2019 liegen mir aber noch nicht vor.

Was ist neben mehr Tempo 80 geplant?
Wir müssen die bestehende Infrastruktur besser nutzen. Ein Mittel dafür sind Tropfenzähler bei der Autobahneinfahrt in den Spitzenzeiten. Aber das ist heikel, weil wir den Zugang verschärfen. Unser Tafelsilber sind aber die Pannenstreifen. Wir brauchen sie zwar bei Pannen oder für den Unterhalt, aber in Stosszeiten werden wir sie künftig öfter zeitlich beschränkt als Fahrspur umnutzen müssen. Das kann Staus verhindern, wie die Erfahrung in der Romandie zeigt.

Es kommen mehr E-Autos auf den Markt als erwartet. Sind Sie darauf vorbereitet?
Die E-Mobilität ist eine einmalige Chance. Man hat jetzt die Chance, den motorisierten Individualverkehr zu dekarbonisieren. Vom Bundesrat und vom Parlament haben wir den Auftrag, unsere 103 Rastplätze mit Ladestationen auszurüsten. Die Arbeiten laufen und im Frühling geht die erste Ladestation in Betrieb. In zwei Jahren sollten alle Rastplätze mit Ladestationen ausgerüstet sein.

Damit E-Autos wirklich umweltfreundlich sind, muss man sie mit erneuerbarer Energie betreiben. Entlang der Autobahnen hätte es doch genügend Platz für Solarzellen.
Selber installieren wir keine Panels. Aber für Investoren sind wir offen. Aktuell sind zwei Projekte im Wallis und im Knonaueramt geplant, bei welchen die Autobahn überdacht und mit Solarpanels ausgestattet wird. Natürlich wünsche ich mir mehr derartige Projekte. Das Potenzial ist enorm.

Also werden irgendwann alle Autobahnen mit Solarpanels überdacht?
Die Voraussetzung ist, dass ein Geschäftsmodell dahintersteckt, das sich lohnt. Wir sind im Gespräch mit allen grossen Energieproduzenten. Und sie wissen, dass sie mit Ideen zu uns kommen können. Wir haben auch etliche Lärmschutzwände, die man vielleicht nutzen könnte. Man muss sich aber bewusst sein, dass der Unterhalt der Solarpanels aufwendig ist. Sie müssten beispielsweise die Reinigung auf der Autobahn durchführen.

Fahren Sie privat eigentlich auch ein E-Auto?
Ich fahre alles. Privat habe ich noch eine kleine Freude: eine rote Vespa. Beruflich fahre ich für lange Strecken einen 1,6 Liter Turbo Diesel, der enorm effizient ist. Für Kurz- und Mittelstrecken fahre ich einen Elektro-BMW. Zudem haben wir E-Bikes oder ich gehe zu Fuss. Ab und zu kommt es sogar vor, dass ich mit dem ÖV fahre.

Wird das Trottoir zur Kampfzone?

Noch in diesem Jahr will der Bundesrat neue Verkehrsregeln einführen: Kinder bis zu einem bestimmten Alter sollen mit dem Velo auf dem Trottoir fahren dürfen. Schon in der Vernehmlassung war die Kritik am vorgeschlagenen Alter von zwölf Jahren gross. «Das Trottoir verkommt immer mehr zur Fahrbahn», sagte Fussverkehr-Schweiz-Präsident Thomas Hardegger (63) damals zu BLICK. «Zwölfjährige sind oft sehr schnell und in Gruppen unterwegs. Das bedeutet eine zusätzliche Gefährdung für die Fussgänger – gerade für ältere Menschen, Familien mit Kindern oder Behinderte.» Auch der Dachverband der Behinderten spricht von einer Diskriminierung.

Astra-Chef Jürg Röthlisberger (55) relativiert die Kritik. «Das Trottoir gehört den Fussgängern.» Die Regelung sei als Ausnahme für jene Orte gedacht, wo es keine Alternative gebe – etwa keinen Velostreifen. «Letztlich ist es eine reine Güterabwägung.» Den definitiven Entscheid fällt der Bundesrat.

Noch in diesem Jahr will der Bundesrat neue Verkehrsregeln einführen: Kinder bis zu einem bestimmten Alter sollen mit dem Velo auf dem Trottoir fahren dürfen. Schon in der Vernehmlassung war die Kritik am vorgeschlagenen Alter von zwölf Jahren gross. «Das Trottoir verkommt immer mehr zur Fahrbahn», sagte Fussverkehr-Schweiz-Präsident Thomas Hardegger (63) damals zu BLICK. «Zwölfjährige sind oft sehr schnell und in Gruppen unterwegs. Das bedeutet eine zusätzliche Gefährdung für die Fussgänger – gerade für ältere Menschen, Familien mit Kindern oder Behinderte.» Auch der Dachverband der Behinderten spricht von einer Diskriminierung.

Astra-Chef Jürg Röthlisberger (55) relativiert die Kritik. «Das Trottoir gehört den Fussgängern.» Die Regelung sei als Ausnahme für jene Orte gedacht, wo es keine Alternative gebe – etwa keinen Velostreifen. «Letztlich ist es eine reine Güterabwägung.» Den definitiven Entscheid fällt der Bundesrat.

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