Gewerkschaften laufen Sturm
Ständeräte wollen Sonntagsarbeits-Verbot aufweichen

Seit Jahren streiten sich Gewerkschaften und Bürgerliche um eine Lockerung des Arbeitsgesetzes. Nun preschen die Wirtschaftspolitiker im Ständerat mit einem neuen Vorschlag vor.
Publiziert: 04.02.2022 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2022 um 16:27 Uhr
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Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich ist stinksauer.
Foto: keystone-sda.ch

Für einen Teil der Angestellten soll das Arbeitsgesetz künftig nicht mehr gelten. Sie sollen auch am Sonntag arbeiten dürfen und nachts – und sich nicht mehr an die gesetzlichen Ruhezeiten halten müssen. Das will die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S).

Die Gewerkschaften sind erzürnt. Von einem «Frontalangriff» auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden ist die Rede. Das Arbeitsgesetz werde ausgehölt, kritisieren sie.

Sozialpartner feilten an Kompromiss

Die Arbeitnehmer-Seite tobt, weil sie sich von den Ständeräten hintergangen fühlt. Denn der Streit um die Lockerung des Arbeitsgesetzes läuft schon lange. Die Bürgerlichen wollen das aus ihrer Sicht für die heutige Zeit viel zu starre Arbeitsrecht flexibilisieren. Weil der Widerstand der Gewerkschaften so gross ist und ein Referendum absehbar wäre, entschied man sich vor zwei Jahren aber, das Projekt einer Gesetzesänderung auf Eis zu legen. Stattdessen versuchte man mit den Sozialpartnern einen Kompromiss zu finden, wie sich nicht das Gesetz, aber wenigstens die Verordnung anpassen liesse.

Die Gespräche waren noch am Laufen. Trotzdem hat die Wirtschaftskommission des Ständerats nun Nägel mit Köpfen gemacht. Man sei zum Schluss gekommen, so die Begründung für die überraschende Wende, dass sich die «Hauptanliegen, nämlich die Möglichkeit zur kurzen Unterbrechung der Ruhezeit und die Möglichkeit, freiwillig am Sonntag zu arbeiten, im Rahmen des geltenden Arbeitsrechts nicht umsetzen lassen».

Wer wäre alles betroffen?

Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften sind aus ihrer Sicht also für die Katz. Statt eine Lösung innerhalb des heutigen gesetzlichen Rahmens zu finden, plant die Kommission nun, gewisse Branchen und Arbeitnehmende ganz vom Arbeitsgesetz auszunehmen.

Betroffen wären – so der Vorschlag – Personen mit Vorgesetztenfunktion, einem Bruttoeinkommen von über 120'000 Franken oder einem höheren Bildungsabschluss sowie einer «grossen Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitszeit». Die Ausnahme soll auf Arbeitnehmende beschränkt sein, die in den Bereichen Informationstechnologie, Beratung, Wirtschaftsprüfung oder Treuhand tätig sind. Die Arbeitnehmenden müssten schriftlich ihr Einverständnis geben.

«Eigentlicher Gummiparagraf»

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ist alarmiert. «Würde die Version der WAK-S angenommen, wäre dies ein Präzedenzfall für die Aushöhlung des Arbeitsgesetzes», schreibt er in einer Mitteilung. Die Ausnahmeregelung sei ein «eigentlicher Gummiparagraf». «Die Branchenbegriffe sind gewollt schwammig, insbesondere eine Zugehörigkeit zur ‹Beratungsbranche›, würde den Anwendungsbereich der Bestimmung ins Ungeahnte erweitern», warnt der SGB.

Der Gewerschafts-Dachverband Travailsuisse teilt mit, man sei vom Vorgehen der Kommission «überrascht und befremdet». «Die Sozialpartner befassten sich im Auftrag von Parlament und Bundesrat intensiv mit der Lösungssuche. Der Entscheid der Kommission ist deshalb unverständlich und erfolgt ohne jeden zeitlichen Druck», sagt Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich.

Bevor der Ständerat über die Vorlage entscheidet, will die Wirtschaftskommission die Meinung des Bundesrats abholen. Die Kleine Kammer wird deshalb frühestens im Sommer über die Aufweichung des Arbeitsgesetzes entscheiden. Anschliessend geht die Vorlage in den Nationalrat. (lha/SDA)

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