Foto: Siggi Bucher

Anleger investieren Billionen in Nachhaltigkeit
«Der Markt bewegt sich massiv»

Die Wirtschaft wird grün – ohne Weisung der Politik. Anleger investieren Billionen in nachhaltige Firmen, riesige Geldströme ändern die Richtung. Rettet der Markt das Klima von allein?
Publiziert: 15.12.2019 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2020 um 07:59 Uhr
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Immer mehr Anleger investieren in Nachhaltigkeit. Weltweit hat das Volumen die 30-Billionen-Marke überschritten. «Geld regiert die Welt», sagt Antoinette Hunziker-Ebneter (59), VR-Präsidentin der Berner Kantonalbank. «Wenn wir Verantwortung für die Geldflüsse übernehmen, können wir einen Beitrag zu einer besseren Lebensqualität leisten.»
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Danny Schlumpf

Es ist das Megaprojekt des Jahrzehnts: Die Schweiz will die Energiewende schaffen. Das geht natürlich nur, wenn die Wirtschaft grüner wird. Aber: Kann sie das? Will sie das? Die Skepsis ist gross, entsprechend laut sind die Rufe nach Regulierung. Doch SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (59) gibt Entwarnung: «Die Wirtschaft hat bereits umgeschaltet», sagt sie zu SonntagsBlick.

Antoinette Hunziker-Ebneter (59) war lange Vorsitzende der Schweizer Börse, heute amtet sie als Verwaltungsratspräsidentin der Berner Kantonalbank. Sie gibt Sommaruga recht und sagt: «Der Markt bewegt sich massiv.»

Angst, auf wertlosen Bohrtürmen und Pipelines sitzen zu bleiben

Auslöser sind die Investoren. Vermögensverwalter, Versicherungen, Banken und Privatanleger lenken die Kapitalströme um: weg von Kohle, Gas und Öl, hin zu erneuerbaren Energien und grüner Wirtschaft. Dahinter steckt kein neues Öko-Bewusstsein, sondern die Angst, auf wertlosen Bohrtürmen und Pipelines sitzen zu bleiben.

Und weil es ums Geld geht, funktioniert es: «Diese Entwicklung hilft dem Klima mehr als politische ­Willensbekundungen wie das Pariser Klimaabkommen», sagt Adriel Jost (34), Chefökonom des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners. Es ist eine Entwicklung mit enormer Schubkraft. «Geld regiert die Welt», bekräftigt Hunziker-Ebneter. «Wenn wir Verantwortung für die Geldflüsse übernehmen, können wir einen Beitrag zu einer besseren Lebensqualität leisten.»

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Pionierin des nachhaltigen Anlegens

Die Bankerin war eine der Ersten in der Finanzbranche, die sich für verantwortungsvolles Investieren entschied. 2006 gründete sie Forma Futura, ein neuartiges Unternehmen für nachhaltige Vermögensverwaltung. «Bevor wir in eine Firma investieren, wollen wir wissen: Was produziert sie? Welche Ressourcen benötigt sie dafür? Wie geht sie mit Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden um?» Diese Form des Anlegens sei 2006 nur einer Minderheit bekannt gewesen, sagt Hunziker-Ebneter. «Heute ist es Mainstream.»

Der Trend heisst «Sustainable Finance»: nachhaltige Finanzierung. Weltweit werden bereits mehr als 30 Billionen Dollar auf diese Weise angelegt. Die Schweiz verzeichnet im auslaufenden Jahr ein Rekordvolumen von 716 Milliarden Franken. 2018 waren es noch 390 Milliarden – ein Wachstum von 83 Prozent.

«Mindestens gleich gute Renditen erzielen»

Die Investoren meinen es ernst. So will Blackrock, der grösste globale Vermögensverwalter, nur noch in Firmen investieren, die bis 2050 CO2-neutral wirtschaften. Andere Anleger ziehen nach – aus ökonomischen Motiven: «Nachhaltig orientierte Firmen haben ein besseres Risikomanagement und ein geringeres Reputationsrisiko», so Hunziker-Ebneter. Und: «Mit nachhaltigen Anlagen kann man mindestens gleich gute Renditen erzielen wie mit konventionellen. Deshalb investieren immer mehr grosse Anleger in Nachhaltigkeit.»

Damit geraten auch die Unternehmen unter Zugzwang. Sie reduzieren ihren CO2-Ausstoss und lancieren soziale Projekte, damit ihre Wertpapiere in den Klimafonds der Vermögensverwalter landen. In der Schweiz sind Firmen wie Geberit, Georg Fischer, Swiss Re, Sonova, Swisscom und Barry Callebaut besonders aktiv. Der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit zuliebe – aber auch, weil sie wissen: Wer jetzt nicht umschwenkt, verliert den Zugang zum Kapital.

Was ist nachhaltig?

Wer als Investor aufs falsche Pferd setzt, verliert seinen Einsatz. Ein Greenpeace-Report zeigt: Von 2016 bis 2018 steckten die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse zusammen mehr als 83 Milliarden Dollar in die Finanzierung fossiler Brennstoffe. Jetzt überdenken sie diese Strategie. Credit Suisse kündigte diese Woche an, keine Finanzierung mehr zur Entwicklung neuer Kohlekraftwerke zu leisten. Und UBS hat ihre nachhaltigen Anlagen von 74 Milliarden im Vorjahr auf 87,5 Milliarden aufgestockt.

Bloss: Was ist nachhaltig – und was nicht? Bewertungen werden heute von einer Vielzahl von Ratingagenturen wie MSCI oder Sustainalytics angeboten. Das erschwert die Orientierung für die Anleger.

Aber auch die Ratingagenturen selbst stehen vor Schwierigkeiten: Sie müssen darauf vertrauen, dass die Angaben der Firmen über ihre Nachhaltigkeitsprogramme korrekt sind. «Das ist ein Problem», sagt Wellershoff-Ökonom Adriel Jost. Es brauche jetzt rasch Transparenz und klare Standards. «Aber die Wirtschaft und die Konsumenten können das Problem lösen.»

«Nachhaltiges Investieren ist der Königsweg»

Das alles geschieht ohne Einfluss oder gar Weisung der Politik. Es sind die Investoren selbst, die aktiv ­werden. Erstmals in der Geschichte gibt der Markt den Anstoss zum ­klimafreundlichem Wirtschaften.

Ohne Risiko ist das nicht: «Nachhaltiges Investieren ist eine Wette, die noch nicht entschieden ist», sagt Christian Zeyer (57), Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Swisscleantech. «Aber wer auf Nachhaltigkeit setzt, dürfte die besseren Karten haben.»

Heisst das, dass sich die Politik künftig ganz aus der Wirtschaft heraushalten soll, um den Planeten zu retten?

«Nachhaltiges Investieren ist der Königsweg», sagt Zeyer. Doch das genüge nicht. Die Politik müsse für klimafreundliche Rahmenbedingungen sorgen. «Sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig.» Und Pionierin Hunziker-Ebneter meint: «Dass die Finanzströme nun in fortschrittliche Unternehmen fliessen, ist positiv zu bewerten. Doch allein auf Freiwilligkeit zu setzen, reicht nicht aus.»

Es bleibt also auch für Bundes­rätin Sommaruga noch genügend Arbeit, um aktiv am Megaprojekt Energiewende mitzuwirken.

Europa will klimaneutral werden – grosser Knatsch am Klimagipfel

Am Mittwoch präsentierte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (61) ihren Plan, wie Europa bis 2050 als ­erster Kontinent Klimaneutralität erreichen soll. Von der Leyens «Green Deal» dürfte bis zu 500 Milliarden Euro jährlich kosten. Das Vorhaben wird von den osteuropäischen EU-Staaten kritisiert, die massiv von fossilen Energien abhängig sind. So deckt Polen seinen Energiebedarf zu 80 Prozent mit Braunkohle und fordert ­finanzielle Unterstützung für den Übergang zu erneuerbaren Ener­gien. Das wiederum ruft Kritiker in Westeuropa auf den Plan, die nicht noch mehr Geld in den ­Osten transferieren wollen.

Uneinigkeit herrschte auch am Klimagipfel in Madrid, der bereits am Freitag hätte zu Ende gehen sollen, dann aber noch um einen Tag verlängert wurde. Den ganzen Samstag über feilschten die Gipfelteilnehmer an einer gemeinsamen Schlusserklärung. Ein erster Textentwurf provozierte einen Aufschrei bei Umweltschützern und Entwicklungshelfern. «Die Regierungen haben es verkackt», sagte ein Sprecher der Hilfsorganisa­tion Christian Aid. Auch der Schweizer Delegationsleiter, Franz Perrez, lehnte den ersten Entwurf für die Abschlusserklärung ab. «Besser keine Einigung als so eine», sagte Perrez gegenüber Medien. Unter anderem fehlte in dem Papier eine nachdrückliche Aufforderung, im Jahr 2020 die Ziele beim Einsparen von Treib­hausgasen zu erhöhen. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Verhandlungen weiterhin im Gange. Beobachter rechneten nicht mit einem schnellen Durchbruch. – Danny Schlumpf

Am Mittwoch präsentierte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (61) ihren Plan, wie Europa bis 2050 als ­erster Kontinent Klimaneutralität erreichen soll. Von der Leyens «Green Deal» dürfte bis zu 500 Milliarden Euro jährlich kosten. Das Vorhaben wird von den osteuropäischen EU-Staaten kritisiert, die massiv von fossilen Energien abhängig sind. So deckt Polen seinen Energiebedarf zu 80 Prozent mit Braunkohle und fordert ­finanzielle Unterstützung für den Übergang zu erneuerbaren Ener­gien. Das wiederum ruft Kritiker in Westeuropa auf den Plan, die nicht noch mehr Geld in den ­Osten transferieren wollen.

Uneinigkeit herrschte auch am Klimagipfel in Madrid, der bereits am Freitag hätte zu Ende gehen sollen, dann aber noch um einen Tag verlängert wurde. Den ganzen Samstag über feilschten die Gipfelteilnehmer an einer gemeinsamen Schlusserklärung. Ein erster Textentwurf provozierte einen Aufschrei bei Umweltschützern und Entwicklungshelfern. «Die Regierungen haben es verkackt», sagte ein Sprecher der Hilfsorganisa­tion Christian Aid. Auch der Schweizer Delegationsleiter, Franz Perrez, lehnte den ersten Entwurf für die Abschlusserklärung ab. «Besser keine Einigung als so eine», sagte Perrez gegenüber Medien. Unter anderem fehlte in dem Papier eine nachdrückliche Aufforderung, im Jahr 2020 die Ziele beim Einsparen von Treib­hausgasen zu erhöhen. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Verhandlungen weiterhin im Gange. Beobachter rechneten nicht mit einem schnellen Durchbruch. – Danny Schlumpf

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