Mit welchen Adjektiven ihn seine Freunde beschreiben würden, wollte Moderatorin Flavia Wasserfallen (44) von Daniel Jositsch (58) wissen. «Habe ich überhaupt Freunde?», antwortete der Zürcher Ständerat selbstironisch – und erntete den ersten Lacher des Abends.
Überhaupt ging es lustig zu und her in Biel BE, dem zweiten Stopp auf der SP-Roadshow, die am Dienstag in Schaffhausen endet. Auch bei Roger Nordmann (50) sassen die Pointen besser als der Anzug. Die Frage nach den Adjektiven seiner Freunde beantwortete der Romand mit: «Nervensäge». Als Wasserfallen anmerkte, dass es sich dabei um ein Hauptwort handle, korrigierte sich Nordmann: «Nervensägerisch.»
Er wünsche sich eine leidenschaftliche Debatte, rief der Bieler SP-Stapi Erich Fehr (55) zu Beginn der Veranstaltung in den gut gefüllten Saal. Allerdings verhallte sein Versuch, die Kampfgeister der fünf Männer und ihrer weiblichen Konkurrentin zu wecken, die für die Sozialdemokraten in den Bundesrat wollen: Es blieb ein Abend unter Freunden. Nur zum Schluss wurde es kurz giftig.
Da geschah nämlich, was man eigentlich hatte vermeiden wollen. Um bei den Publikumsfragen persönliche Angriffe zu umschiffen, setzte Flavia Wasserfallen auf das Prinzip Zufall. Sie liess die Besucher harmlose Fragen stellen und zog dann den Namen des Kandidaten oder der Kandidatin aus einem Säcklein, der oder die darauf antworten sollte: Wie haben Sie es mit der Armee, der Neutralität, dem Klima, der Pandemie?
Wunden noch nicht verheilt
Das ging so lange gut, bis nur noch – ausgerechnet – Daniel Jositschs Name übrig blieb. Da setzte eine Frau prompt zum Tiefschlag an: «Ihre Chancen, von der Fraktion fürs Bundesratsticket nominiert zu werden, stehen schlecht. Zu welchem Zeitpunkt werden sie verkünden, dass sie nicht zur Wahl antreten werden?»
Da war sie wieder, diese eine Geschichte, die Jositsch seit einem Jahr nicht mehr loswird. Dass er im letzten Dezember, als die Vereinigte Bundesversammlung die Nachfolge von Simonetta Sommaruga regelte, ins Rennen stieg, obwohl die Fraktion explizit nur eine Frau dafür vorgesehen hatte, trägt man ihm immer noch nach. Auch an diesem Abend in Biel. Und manch eine Anwesende oder ein Anwesender fragte sich wahrscheinlich, wie viel Asche dieser Mann denn noch auf sein Haupt streuen soll.
«Wir werden sehen, wie meine Chancen stehen», sagte Jositsch stoisch ins Mikrofon. Er werde, wie schon damals, den Entscheid der Fraktion selbstverständlich akzeptieren. Dann folgte zum Glück der Apéro.
Zweite Chance
Priska Seiler Graf (55) verfolgte das Geschehen nur aus der Ferne. Die Zürcher Nationalrätin gehört zu den Unterstützerinnen Jositschs. Und sie ärgert sich darüber, dass selbst viele Parteigenossinnen und -genossen das Thema nicht ruhen lassen können. «Die SP gibt allen eine zweite Chance, nur beim eigenen Kandidaten scheint das nicht der Fall zu sein.»
Jositsch, der seit 16 Jahren eine «super Arbeit» mache, habe sich auf sämtlichen Kanälen mehrfach entschuldigt, sagt Seiler Graf. Er habe sich erklärt und versichert, dass er den gleichen Fehler nicht noch einmal begehen würde. «Irgendwann ist genug.» Sie macht sich keine Illusionen: «Für Jositsch wird es ganz schwer, einen Platz auf dem Bundesratsticket zu bekommen.» Vor zwei oder drei Jahren habe es anders ausgesehen: «Da war Jositsch unbestritten.»
In weiten Teilen der SP ist er das immer noch. Seiler Graf, Zürcher Co-Parteipräsidentin, berichtet von vielen Anrufen in diesen Tagen, bei denen sich Parteimitglieder darüber irritiert zeigen, was in der SP-Bundeshausfraktion abgeht.
Als es darum ging, ihn als Kandidaten für die Nachfolge Alain Bersets (51) zu nominieren, liess sich Jositsch mehr als eine Stunde lang von der Juso mit Fragen grillen – und verzog dabei keine Miene. Das verschaffte ihm viel Respekt bei den Delegierten, die ihm mit grossem Mehr das Vertrauen schenkten. Ende Oktober wurde er in Zürich bei den Wahlen mit einem Glanzresultat als Ständerat bestätigt.
Ob es Jositsch aufs Ticket schafft, hängt nicht von den öffentlichen Hearings ab. Die Roadshow habe kaum Einfluss darauf, ist Priska Seiler Graf überzeugt. Die Basis schätzte aber den direkten Kontakt mit den Kandidaten. Geplant wurde die Tour sowieso aus taktischen Überlegungen. Dass ausgerechnet in den Kantonen Genf oder Bern haltgemacht wurde, hat mit den zweiten Wahlgängen für den Ständerat zu tun. In Genf kämpft Carlo Sommaruga (64) um seinen Sitz im Stöckli. Und auch in Bern rechnet man mit einem engen Rennen. Da es Flavia Wasserfallen bereits beim ersten Urnengang geschafft hat, konnte sie sich in Biel ganz auf ihre Rolle als Moderatorin konzentrieren.
Jositsch Gelassen
Am Tag nach dem Mini-Eklat in Biel gibt sich Jositsch gegenüber SonntagsBlick versöhnlich. Dass ihm nach seinem Sololauf im letzten Jahr immer wieder dieselbe Frage gestellt werde, habe in erster Linie mit den Medien zu tun: «Was in der Zeitung steht, bleibt eben hängen bei den Leuten.» Als Bundesratskandidat bringe ihn das nicht aus dem Konzept. «Wer sich exponiert, muss auch aushalten können.»
Sein Problem sei ein anderes: die fünf ausgezeichneten Kandidaturen, gegen die er antrete. «Es gibt viel vernünftigere Gründe, mich nicht aufs Ticket zu setzen, als diese Geschichte von früher.»
Ans Aufgeben denkt Daniel Jositsch indes noch lange nicht. Das hat mit seinem Charakter zu tun. Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, wie der Zürcher die Einstiegsfrage in Biel beantwortet hatte. Seine durchaus vorhandenen Freunde würden ihn beschreiben als: «Loyal, gesellig – und manchmal etwas stur.»