Die Sprechstunde von Angelo Barrile (43) findet von der Stube aus statt. Anstatt mit Patienten telefoniert der Hausarzt und Zürcher SP-Nationalrat mit Verwandten in der Schweiz, im Piemont, in Kroatien und auf Sizilien. «Ich halte den Kontakt während ihrer Isolation und bestärke sie darin, zu Hause zu bleiben», sagt er. Gerade für die Verwandten in Italien sei die Situation schwierig. «Sie alle, und auch ich, kennen Leute, die am Coronavirus gestorben sind.»
Trotz Ferien sehen sie sich selten
Barrile nimmt sich viel Zeit für Telefonate. Ausgerechnet jetzt, mitten in der Corona-Krise, hat der Arzt Ferien. Nun nicht zu arbeiten, sei «total komisch», sagt er. Doch die Situation ist paradox: Ärzte und Pflegende sind für den Ernstfall gerüstet, ein Grossteil hat aber – noch – wenig zu tun. Anders ist es im Bildungswesen: Die Schulen sind zwar geschlossen, doch viele Lehrer stehen gerade deswegen unter Dauerstress.
Seinen Mann sieht Barrile darum selten. Marco Hardmeier (43) ist meist in der Schule, um den Fernunterricht zu organisieren. «Wir sind wie wild am Arbeiten.» Hardmeier ist Schulleiter an einer Primarschule in Wettingen AG – und ebenfalls SP-Politiker.
Und dann kam Corona
Zürich und Aargau: Die Bewohner der beiden Kantone mögen sich nicht sonderlich. Bei Barrile und Hardmeier allerdings ist es Liebe. Und das seit 22 Jahren.
Die Corona-Pandemie wirbelt nicht nur das Berufsleben des schwulen SP-Paars durcheinander, sie wirkt sich auch auf ihre politischen Ambitionen aus. Hardmeier kämpft im Aargau dafür, von der SP als Regierungsratskandidat aufgestellt zu werden. Doch die Rufe nach einer Frauenkandidatur sind in seiner Partei laut. Schliesslich wird der Aargau von einem reinen Männergremium regiert.
«Marco hat mich zur Kandidatur überredet»
Auch Barrile musste umplanen. Anfang April wollte er zum Vizepräsidenten der SP Schweiz gewählt werden. Doch wegen Corona fiel der Parteitag ins Wasser.
Der Sohn italienischer Einwanderer sitzt seit fünf Jahren im Nationalrat. «Ich habe ihn damals von einer Kandidatur überzeugt», so Hardmeier. Er war es auch, der Barrile den Impuls gab, mit 22 Jahren in die SP einzutreten. Umgekehrt hat auch Barrile seinen Partner stets ermutigt, höher nach oben zu klettern. «Mich nervt, dass er immer so tiefstapelt», sagt Barrile. «Er muss sich auch mal etwas mehr in den Mittelpunkt stellen!»
Fernbeziehung seit 17 Jahren
Beide rutschten 2010 im Abstand von wenigen Tagen ins jeweilige Kantonsparlament nach. Ein Zufall. Nicht die einzige Ähnlichkeit in ihren Biografien: Hardmeier ist nur einen Tag jünger als Barrile.
Das halbe Leben verbringt das Paar Seite an Seite. Allerdings oft nur im übertragenen Sinne. Ihrer politischen Ämter wegen führen Hardmeier und Barrile seit 17 Jahren eine Fernbeziehung. Barrile lebt in einem Altbau am ehemaligen Strassenstrich am Sihlquai, Hardmeier mitten in der Aarauer Altstadt. An den Wochenenden sehen sie sich. Und immer am Donnerstagabend. «Dieser Termin ist uns heilig: Dann haben wir einen Tanzkurs», sagt Barrile. Beim Rumba führt er, beim Walzer Hardmeier. «Und wenn Tango drankommt, muss Marco dringend eine Zigi rauchen, und ich brauche einen Kafi.»
Das Tanzen tue ihnen als Politiker gut, meint Hardmeier mit einem Augenzwinkern. Sie, die sonst gerne den Lead übernehmen, müssen auf dem Parkett auch einmal gehorchen.
Richtige Hochzeit soll folgen
2017 liessen die beiden ihre Partnerschaft eintragen. Den Antrag hatte Hardmeier über ein Jahr zuvor an seiner Grossratspräsidenten-Feier gemacht. Als erste Amtshandlung als oberster Aargauer nötigte er die Brass-Band der Kantonspolizei, dafür extra die Italo-Schnulze «Io senza te» zu proben. «Dafür bin ich ihnen auf ewig dankbar», sagt er.
Es soll nicht der einzige Antrag bleiben. Die SP-Politiker kämpfen für die «Ehe für alle». Nach jahrelangem politischem Seilziehen dürfte sie im Sommer vom Parlament angenommen werden. Dann wollen Barrile und Hardmeier richtig heiraten – inklusive erneuten Niederkniens. «Dann bin wohl aber ich an der Reihe», sagt Barrile und lacht.