Die Nähe zu einem autoritären Regime kann für Schweizer Politiker rasch peinlich werden. Diese Erfahrung musste jüngst auch die sozialdemokratische alt Nationalrätin Margret Kiener Nellen (67) machen.
Dabei begann es eigentlich mit einem freudigen Ereignis: Die Bernerin, Präsidentin des Freundschaftsvereins Schweiz-Belarus, soll für ihre Verdienste sogar einen Orden erhalten. Allerdings trägt das dazugehörige Dekret, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete, die Unterschrift des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko. Eine Ehrung aus der Hand des Mannes also, gegen den Tausende Bürgerinnen und Bürger seines eigenen Landes seit Wochen auf die Strasse gehen.
Kiener Nellen trat vor einem Jahr aus der grossen Kammer aus, doch auch unter den aktiven Ratsmitgliedern gibt es manche, die enge Bande mit Belarus unterhalten. Zum Beispiel Andreas Aebi (61): Der Berner SVP- Nationalrat fungierte bis vor kurzem als Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Belarus.
Im Dezember wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Nationalratspräsidenten gewählt und wäre dann nominell der höchste Schweizer. Dementsprechend stolz kündigte die belarussische Botschaft noch im Juni auf ihrer Homepage ein Treffen «mit dem 1. Vizepräsidenten des schweizerischen Nationalrats» an. Dabei werde es um «die Umsetzung gemeinsamer Projekte» gehen.
«Wie lange wollt ihr den eigentlich noch?»
Beinahe hätte Minsk noch einen weit bedeutenderen PR-Coup gelandet: Wie mehrere Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats gegenüber SonntagsBlick erklären, habe Aebi mit dem Gedanken gespielt, Belarus einen Besuch abzustatten, sobald er zum Nationalratspräsidenten gewählt sei. Das war allerdings vor Beginn der Proteste gegen Fälschungen bei einer anderen Wahl: der in Belarus am 9. August. Damals sass Präsident Lukaschenko – seit 1991 im Amt – noch fest im Sattel.
«Wohin ich als Nationalratspräsident reisen werde, weiss ich heute noch nicht, das hängt auch von der Pandemie ab», sagt Andreas Aebi auf Anfrage. «Ich hatte eine Zeit lang die Ukraine im Kopf, da wäre Weissrussland am Weg gelegen. Aber in der momentanen Lage ist ein Besuch nicht möglich.»
Überhaupt sei er nicht länger Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe. Dieses Amt habe er an seinen Partei- und Ratskollegen Martin Haab (58, ZH) abgegeben. Zusammen mit Haab ist Aebi aber nach wie vor daran, aus den Reihen der Bundesversammlung weitere Mitglieder für die Gruppe zu rekrutieren. Aebi betont: «Wer Martin Haab oder mich kennt, der weiss: Für Propaganda lassen wir uns nicht einspannen.»
Unter anderem teile er seinen belarussischen Gesprächspartnern regelmässig mit, dass er ein Gegner der in ihrem Land immer noch vollstreckten Todesstrafe sei. «Und ich frage sie mit Blick auf Lukaschenko: Wie lange wollt ihr den eigentlich noch?»
In keiner Art und Weise zu rechtfertigen
Was aber nicht bedeutet, dass Aebi Sanktionen befürworten würde, um das Regime in Minsk unter Druck zu setzen. Belarus müsse seine Probleme intern lösen. «Am besten wären rasche Neuwahlen», sagt der SVP-Politiker. «Es ist aber nicht an der Schweiz, Sanktionen zu ergreifen. Das ist Chabis.»
Martin Haab, Aebis Nachfolger als Co-Präsident, spricht von einem Vakuum in der Freundschaftsgruppe. «Ich übernehme für Andreas Aebi, aber es bräuchte noch einen Co-Präsidenten aus dem linken Lager.» Die Suche sei nicht ganz einfach, «auch mir wurde vor zwei Wochen bewusst, dass ich da wohl einen brisanten Posten übernehme», so der Zürcher.
Martin Haab hat einen langen und engen Bezug zu Belarus, das er wiederholt bereiste, und ist dort mit vielen Menschen befreundet. Der Botschaftsvertreter, den er im Sommer getroffen habe, stehe der Regierung eher kritisch gegenüber und sei inzwischen abgelöst worden. Was aber im Westen gerne vergessen gehe: «Lukaschenko wollte immer das Beste für Weissrussland, auch wenn er kein Demokrat ist.»
Die frühere sowjetische Teilrepublik habe sich in den letzten 30 Jahren positiv entwickelt, das gelte besonders für die Landwirtschaft. Dass nun die jüngere Generation rebelliere, die keine kommunistische Herrschaft mehr erlebt habe, sei verständlich. Und auch Haab betont: «Die Gewalt, mit der die Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten vorgehen, ist in keiner Art und Weise zu rechtfertigen.»