Am Sonntag versammeln sich die Glarner zur Landsgemeinde
Entscheidet Augenmass über das Burka-Verbot?

Nach dem Tessin könnte Glarus der zweite Kanton mit Burkaverbot werden. Doch es formiert sich Widerstand gegen das Auns-Vorhaben. Am Sonntag stimmen die Glarner per Handzeichen an der Landsgemeinde ab.
Publiziert: 05.05.2017 um 12:24 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:22 Uhr
Uralte Tradition: Die Landsgemeinde in Glarus. Hier vom Sonntag, 1. Mai 2016 in Glarus.
Foto: Samuel Trümpy
Cinzia Venafro

Wird am Sonntag bei Kalberwurst, Härdöpfelstock und Dörrzwetschgen die Burka verboten? Im Kanton Glarus könnte es so weit kommen. Bei der Landsgemeinde entscheiden die Stimmbürger über ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum und an Orten, die allgemein zugänglich sind. Dies wäre de facto ein Burka-Verbot nach Tessiner Vorbild. Dort wurde das Verbot deutlich mit 65 Prozent angenommen. 

Pikant: Bei der traditionellen Landsgemeinde, bei der alle Stimmberechtigten sich versammeln und per Handaufheben über Vorlagen abstimmen, gibt es keine eigentliche Auszählung. Einzig das Augenmass von CVP-Landammann Rolf Widmer entscheidet über das symbolträchtige Verbot der streng muslimischen Verhüllung. Eine elektronische Absicherung oder zumindest Stimmabgabe per Brief gibt es nicht. 

Gegner und Befürworter vertrauen dem Augenmass des Landammann

«Da haben wir volles Vertrauen in den Landamman», sagt Nina Cattaneo vom Bürgerkomitee gegen das Burkaverbot. «Man schwört es ihm ja sogar im Ring öffentlich. Dieser trifft keine Fehlentscheide, der Druck der Masse wäre viel zu gross.» Auch der Vater des glarnerischen Verhüllungsverbots, Auns-Mitglied Ronald Hämmerli, vertraut dem Augenmass des Landammann. 

Nina Cattaneo, Co-Sprecherin Bürgerkomitee gegen Burkaverbot in Glarus.
Foto: zVg

Öffentliche Diskussion angestossen

Wie ist die Stimmung im Kanton Glarus, ein paar Tage vor der Abstimmung? «Man kann derzeit überhaupt nicht sagen, in welche Richtung es am Sonntag gehen wird», sagt Nina Cattaneo. Ihr Bürgerkomitee hat sich mit Hilfe der Operation Libero erst vor wenigen Wochen gebildet, «weil überhaupt keine öffentliche Diskussion geführt wurde». 

Ihr Argument für ein Nein: «Burkas sind in Glarus kein Thema und kein Problem.» Es rechtfertige «niemals die Einschränkung der Freiheit». Hier werde «Propaganda gegen eine Minderheit betrieben».

Hämmerli kontert: Sein Antrag habe «überhaupt nichts mit Hass zu tun». Es gehe gegen Chaoten, nicht gegen Muslime. Doch wer «sein Gesicht nicht zeigen kann, hat sicher was zu verstecken oder lebt unterdrückt», sagt er und macht dann doch eine  Ausnahme: Erlaubt sind «Sakralstätten und Verhüllungen aus Gründen des einheimischen Brauchtums.»

Er will das Verhüllungsverbot im Zigerkanton: SVP- und Auns-Mitglied Ronald Hämmerli.
Foto: zVg

Landsgemeinde «zeugt von gefestigter Politkultur»

Aber ist die Landsgemeinde der richtige Ort für dieses emotionale Thema? Ja, sagt Cattaneo. Am traditionellen Abstimmungsanlass könne man viel sachlicher über das Burkaverbot diskutieren als in den sozialen Medien. «Man überlegt sich ganz genau, was man sagen will, wenn man vor Tausenden Leuten in den Ring steigt. Da hat man vorher einige Gedanken mehr fassen müssen als bei einem Facebook-Post.»

Gerade diese Form der direkten Demokratie lasse «keine rassistischen oder populistischen Äusserungen» zu. Die soziale Kontrolle sei sogar demokratiefördernd: «Wir Glarner wachsen mit dieser Form der Abstimmung auf.»

Es sei sicher kein Problem, wenn man sieht, wie der Nachbar stimme. «Es zeugt von einer sehr erwachsenen und gefestigten Politkultur, dass wir für unsere Meinung einstehen, abstimmen – und danach alle zusammen ein Bier trinken können. Es braucht lange, bis eine Gesellschaft an diesem Punkt ist.»

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