Altkanzler Gerhard Schröder im grossen Interview
«Ich habe getan, was ich tun musste»

Deutschland wählt im September die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel. Im SonntagsBlick-Interview sagt ihr Vorgänger Gerhard Schröder, was er von der Kritik seiner Genossen hält, weshalb er Russland-Versteher ist – und warum ihn die Schweizer Regierung verwundert.
Publiziert: 08.08.2021 um 01:12 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2021 um 08:32 Uhr
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«Frau Merkel hat keinen schlechten Job gemacht», sagt der Altkanzler über seine Nachfolgerin.
Foto: Johannes Arlt/laif
Interview: Reza Rafi

Wer Gerhard Schröder trifft, begegnet deutscher Nachkriegsgeschichte. Er wuchs in den Jahren des Wiederaufbaus in ärmlichen Verhältnissen auf, der Vater war 1944 an der Front gefallen. 1963, in der Ära Adenauer, trat der 19-jährige Gerd der SPD bei, er machte das Abitur und schlug eine Juristenlaufbahn ein. 1978 wählten ihn die Jungsozialisten zu ihrem Vorsitzenden. In jenen Jahren vertrat er als Rechtsanwalt auch den RAF-Mitgründer und späteren Neonazi Horst Mahler.

In den Neunzigern wurde Schröder Ministerpräsident von Niedersachsen und zum Hoffnungsträger der Sozialdemokratie. 1998 beendete er mit der Wahl zum Bundeskanzler die 16-jährige Regierungszeit von Helmut Kohl. Und sorgte für die erste Koalition auf Bundesebene mit den Grünen.
Schröders Amtszeit endete 2005 mit dem Sieg seiner Herausforderin, der CDU-Politikerin Angela Merkel.

Der Altkanzler empfängt SonntagsBlick in St. Moritz GR zum Gespräch, wo ihn Gemeindepräsident Christian Jott Jenny als 1.-August-Redner hat gewinnen können. Dies gelang dank Mithilfe von Schröders Schweizer Freund, dem Stadler-Rail-Patron und ehemaligen SVP-Nationalrat Peter Spuhler. Der sitze in der falschen Partei, findet Schröder.

2005 übernahm Angela Merkel von Ihnen die Kanzlerschaft. Einfach schien Ihnen der Machtwechsel nicht zu fallen. Wir erinnern uns an Ihren denkwürdigen Auftritt in der ZDF-Elefantenrunde nach den Wahlen.
Gerhard Schröder:
Das war diese Kultsendung …

Man müsse die Kirche im Dorf lassen, sagten Sie Ihrer Wahlniederlage zum Trotz. Am 26. September finden Bundestagswahlen statt, Merkels Amtszeit endet. Wie stehen Sie heute zu ihr?
Das Verhältnis ist sehr entspannt. Frau Merkel hat insgesamt keinen schlechten Job gemacht. Auch wenn Fehler vorgekommen sind.

Wo zum Beispiel?
Etwa bei der Migrationspolitik.

Von Merkel stammt der Ausspruch: «Wir schaffen das!» Sie halten den Satz für einen Fehler.
Da hatte sie ein grosses Herz, das braucht man auch. Aber sie hatte keinen Plan! Es hätte heissen müssen «Wir können das schaffen, wenn …»: Wenn zum Beispiel genügend Sozialarbeiter und Lehrpersonen in den Schulen vorhanden sind, die helfen können. Wenn wir genügend Wohnraum zur Verfügung stellen können, damit es keine Konkurrenz zu denen gibt, die hier leben. Da sind Fehler gemacht worden, die dazu führten, dass die AfD aus den Ängsten der Bevölkerung Kapital schlagen konnte.

In Deutschland herrscht Wahlkampf. Wie genau verfolgen Sie die Debatte?
Nicht mehr so eng, wie ich das in meiner aktiven Zeit gemacht habe. Ich werde vielleicht für den einen oder anderen mir nahestehenden Genossen einen Auftritt absolvieren. Aber ich gehöre nicht zu denen, die in das Geschäft hineindrängen, das jetzt andere machen müssen. Ich betrachte das eher aus der Distanz.

Bei der Kandidatenauswahl ist die Öffentlichkeit gnadenlos. Kritik prasselt vor allem auf den CDU-Mann Armin Laschet und die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock ein. Ihre Einschätzung?
Frau Baerbock hat ihre Qualifikation für dieses Amt bisher nicht nachweisen können. Dazu kommen die Plagiatsvorwürfe. Das wird schwierig für sie, weil die Wählerinnen und Wähler ihr das Amt schlicht nicht zutrauen.

Hätten die Grünen ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck aufstellen sollen?
Es ist nicht an mir, den Grünen Ratschläge zu erteilen. Aber immerhin war Herr Habeck in Schleswig-Holstein Minister. Das Argument der fehlenden Regierungserfahrung würde bei ihm wegfallen.

Ihr Parteikollege Olaf Scholz kommt noch am besten weg, findet medial dafür am wenigsten statt.
Herr Scholz hat einwandfrei nachgewiesen, dass er internationale Erfahrung hat, dass er eine Regierung führen und mit – demokratisch kontrollierter – Macht umgehen kann. Er hat in Hamburg als Erster Bürgermeister bewiesen, dass er grosse Verwaltungen leiten kann. Insofern ist er ohne Zweifel für dieses Amt sehr qualifiziert. Man soll aber Herrn Laschet nicht unterschätzen.

Weshalb?
Er hat zum einen den Vorteil, dass er der Kandidat der CDU ist, jener Partei, die die strukturelle Mehrheitsfähigkeit im Land hat. Das war historisch meistens so, mit einigen Ausnahmen. Und jemandem, der wie Herr Laschet das grösste deutsche Bundesland regiert, kann man die Qualifikation nicht abstreiten. Natürlich ist ihm der eine oder andere Fehler unterlaufen. Vor allem der eine Fehler …

Sie meinen, dass Laschet an einem Gedenkanlass für die Flutopfer im Rheingebiet lachte.
So etwas kann passieren. Nur darf es nicht passieren. Aber ich will das nicht bewerten. Das kann die Presse. Dafür seid ihr ja da.

Laschet gilt als Favorit für die Kanzlerschaft. Ihre Prognose?
Das Rennen ist offen. Es könnte in einer Konstellation mit Grünen und FDP auch einen sozialdemokratischen Kanzler Scholz geben. Denkbar ist natürlich auch, dass die CDU vorne liegt und mit Grünen und FDP koaliert.

Rot-Rot-Grün halten Sie für ausgeschlossen?
Ich glaube nicht, dass die Grünen und viele in der SPD dies akzeptieren würden.

Sie haben sieben Jahre lang harmonisch mit Joschka Fischers Grünen regiert ...
Vergessen Sie den damaligen Umweltminister Jürgen Trittin nicht. Er war ein Stabilitätsfaktor. Jemand, auf den man sich verlassen konnte, der sich an eine Vereinbarung gehalten hat.

Also klappte die Zusammenarbeit gut?
Sie war einfacher, als ich zunächst gedacht hatte. Auch in Krisensituationen konnten wir uns aufeinander verlassen.

Das ist zwei Jahrzehnte her. Wie schätzen Sie die Partei heute ein?
Die Grünen verstanden sich ja zunächst als eine Art «Nicht-Partei» ...

Eher als Bewegung?
Eine Bewegung, die immer im Fluss war. Dann haben sie sich sehr schnell etabliert. Heute sind die Grünen eher eine neokonservative Partei. Sie leben von einem gegenwärtig dominanten Thema, dem Klimaproblem. Aber weil das Führungspersonal nicht so ist, wie die Deutschen sich das vorstellen, kommt das nicht so zum Tragen. Zudem gibt es ja auch noch andere wahlentscheidende Themen: wirtschaftliche Kompetenz und soziale Gerechtigkeit.

Wenn Schröder die politische Konkurrenz kritisiert, fällt auf, wie loyal er sich öffentlich gegenüber der SPD gibt. Dabei ist das Verhältnis mit seiner eigenen Partei kompliziert. Das hat mit zwei historischen Entscheiden seiner Amtszeit zu tun: Für Deutschlands Nichtbeteiligung am Irakkrieg wurde er bejubelt. Dann kam das Reformpaket «Agenda 2010». Dazu gehörten eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die Erhöhung der Bildungsausgaben und Kürzungen der Arbeitslosenhilfe («Hartz IV»). Es war – auch dank des schwachen Euros – der Grundstein für das deutsche Wirtschaftswachstum der Folgejahre. Doch die Linken haben Schröder nie verziehen. Der «Genosse der Bosse» wurde in die neoliberale Ecke gestellt und verlor 2005 die Wahlen. Links von der SPD erstarkte eine neue Partei.

Ihre Reformen leiteten eine Hochkonjunktur ein. Von Ihren Genossen beziehen Sie dafür Prügel. Das muss bitter sein.
Schauen Sie, das ist das Problem in der Politik: Wenn Sie notwendige Dinge durchsetzen müssen, die teilweise auch gegen die Wünsche und Sehnsüchte der eigenen Partei verstossen, können Sie nicht mit grosser Zuneigung rechnen. Das ist auch in der SPD so. Vielleicht bin ich deswegen da drin.

Können Sie das genauer erklären?
Die Sozialdemokratie will eine absolut gerechte Gesellschaft, wenn Sie so wollen: das Paradies auf Erden errichten. Das ist ja erst mal ein schönes Ziel. Weil sich das Paradies in der Realität jedoch nicht verwirklichen lässt, kann die SPD mit allem, was sie erreicht hat, nie zufrieden sein. Aber: Wenn Sie sich als Partei ständig selbst als ungenügend kritisieren, fragt sich irgendwann der Wähler, warum er Sie wählen soll.

Undank ist der Welt Lohn. Wie gehen Sie damit um?
Gelassen. Denn wenn man Kritik nicht ertragen kann, dann sollte man die Finger von der Politik lassen. Wie sagt man so schön: Wem es in der Küche schnell zu heiss wird, der sollte nicht Koch werden. Ich habe getan, was ich meiner Meinung nach tun musste, was ich für vernünftig und richtig hielt. Etwa die Agenda 2010 oder die Nichtbeteiligung am Irakkrieg.

Sie wurden als Brioni-Kanzler etikettiert, als Kaschmir-Kanzler.
Ach, das sind so Etiketten, die mit der Realität wenig zu tun haben.

In 50 Tagen wis sen wir, wer auf Merkel folgt

Deutschland wählt am 26. September. Wäre die Person an der Spitze des Landes diese Woche direkt gewählt worden, hiesse der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (63). In einer aktuellen Umfrage von YouGov kommt der amtierende Vizekanzler, ein Sozialdemokrat, auf 21 Prozent. Die Grüne Annalena Baerbock (40) liegt bei 18 Prozent, CDU-Mann Armin Laschet (60) bei 15Prozent. Noch vor einem Monat war er mit 21Prozent auf Platz eins – während der Überschwemmungskatastrophe Mitte Juli gab der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen jedoch ein schlechtes Bild ab.

Seine Hoffnungen auf eine Regierung Laschet braucht er sich aber dennoch nicht abzuschminken. Denn zur Wahl stehen nicht die Kandidierenden fürs Kanzleramt, sondern die Parteien. Und hier liegen CDU/CSU mit 28Prozent nach wie vor an erster Stelle (minus zweiProzent gegenüber Anfang Juli). SPD und Grüne erreichen je 16Prozent (plus eins bzw. minus drei). Die FDP und die AfD kommen auf je zwölf, Die Linke auf acht Prozent.

Der Wahlkampf ist bislang nicht wirklich in Fahrt gekommen. Eifrig diskutiert wurden Details aus Baerbocks Lebenslauf – hat sie nun Völkerrecht studiert oder Public International Law? Zuletzt setzte sich die grüne Kandidatin mit dem Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» in die Nesseln: Das eilig zusammengeschusterte Werk bedient sich grosszügig aus verschiedensten Quellen, ohne diese auszuweisen.

Die Debatte in Deutschland wird derweil von der Pandemie beherrscht. 53,6  Prozent der Bevölkerung sind voll geimpft (Schweiz: 48,3); weitere 8,5 Prozent haben eine erste Spritze erhalten. Die Wirtschaft wächst wieder. 3,1Prozent der Arbeitnehmenden – 1,06 Millionen Menschen (Schweiz: 300'000) – sind in Kurzarbeit; der tiefste Wert seit Februar 2020. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,6Prozent (Schweiz: 2,8).

In Meinungsumfragen geben die Wähler Gesundheit und soziale Sicherung als drängendste politische Probleme an. Es folgen Umwelt und Klima. Das Thema Einwanderung liegt erst auf Platz zehn des Sorgenbarometers.

Deutschland wählt am 26. September. Wäre die Person an der Spitze des Landes diese Woche direkt gewählt worden, hiesse der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (63). In einer aktuellen Umfrage von YouGov kommt der amtierende Vizekanzler, ein Sozialdemokrat, auf 21 Prozent. Die Grüne Annalena Baerbock (40) liegt bei 18 Prozent, CDU-Mann Armin Laschet (60) bei 15Prozent. Noch vor einem Monat war er mit 21Prozent auf Platz eins – während der Überschwemmungskatastrophe Mitte Juli gab der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen jedoch ein schlechtes Bild ab.

Seine Hoffnungen auf eine Regierung Laschet braucht er sich aber dennoch nicht abzuschminken. Denn zur Wahl stehen nicht die Kandidierenden fürs Kanzleramt, sondern die Parteien. Und hier liegen CDU/CSU mit 28Prozent nach wie vor an erster Stelle (minus zweiProzent gegenüber Anfang Juli). SPD und Grüne erreichen je 16Prozent (plus eins bzw. minus drei). Die FDP und die AfD kommen auf je zwölf, Die Linke auf acht Prozent.

Der Wahlkampf ist bislang nicht wirklich in Fahrt gekommen. Eifrig diskutiert wurden Details aus Baerbocks Lebenslauf – hat sie nun Völkerrecht studiert oder Public International Law? Zuletzt setzte sich die grüne Kandidatin mit dem Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» in die Nesseln: Das eilig zusammengeschusterte Werk bedient sich grosszügig aus verschiedensten Quellen, ohne diese auszuweisen.

Die Debatte in Deutschland wird derweil von der Pandemie beherrscht. 53,6  Prozent der Bevölkerung sind voll geimpft (Schweiz: 48,3); weitere 8,5 Prozent haben eine erste Spritze erhalten. Die Wirtschaft wächst wieder. 3,1Prozent der Arbeitnehmenden – 1,06 Millionen Menschen (Schweiz: 300'000) – sind in Kurzarbeit; der tiefste Wert seit Februar 2020. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,6Prozent (Schweiz: 2,8).

In Meinungsumfragen geben die Wähler Gesundheit und soziale Sicherung als drängendste politische Probleme an. Es folgen Umwelt und Klima. Das Thema Einwanderung liegt erst auf Platz zehn des Sorgenbarometers.

Ein anderes Thema, das die Deutschen und ihren Ex-Kanzler entfremdet, ist Schröders Verhältnis zu Russland. Mit Kreml-Chef Wladimir Putin verbindet ihn eine Freundschaft. Er ist Aufsichtsratschef des russischen Ölkonzerns Rosneft. Wenn der Westen Putins aggressive Machtpolitik und den harten Umgang mit der Opposition kritisiert, zieht Schröder Beschwichtigung vor. Auch der aktuelle Streit um die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 offenbart, wie belastet das Dossier ist. Schröder leitet den Aktionärsausschuss der in Zug domizilierten Firma Nord Stream AG.

Sie gelten in Deutschland als Russland-Versteher. Das ist ein Schimpfwort.
Das ist in den Medien zu einer Art Kampfbegriff geworden, der diejenigen diskreditieren soll, die in der Debatte differenzieren. Politik besteht zu einem beträchtlichen Teil aus dem Bemühen, Leute zu verstehen, die etwas anderes für richtig halten. Nur wer dazu in der Lage ist, kann selbst rationale Politik machen. Wenn ich partnerschaftlichen Umgang mit einer grossen Nation wie Russland will, die übrigens ein sehr wichtiger Nachbar der EU ist, muss ich doch wenigstens deren Position verstehen. Was nicht heisst, alles zu billigen. Auch wenn man amerikanische Politik bewertet, muss man verstehen, ohne billigen zu wollen.

Mit der Nichtbeteiligung am Irakkrieg haben Sie 2003 die Achse Moskau-Berlin-Paris gestärkt. Heute zieht sich Amerika freiwillig aus Krisenherden zurück.
Was die USA machen, ist von uns aus ohnehin schwer zu beeinflussen. Amerikanische Aussenpolitik ist sehr häufig eine Resultante der dortigen Innenpolitik. Das erleben wir gerade jetzt wieder, wo der Abzug aus Afghanistan von Trump angeordnet wurde, ohne sich mit den Bündnispartnern abzustimmen. Natürlich wird Joe Biden einen Teufel tun, das rückgängig zu machen, denn der ist zwar konzilianter im Ton, aber die politischen Positionen ändern sich nur wenig.

Was Russland auszunützen weiss ...
In der internationalen Politik geht es in erster Linie um Interessen, und das kann man auch niemandem vorwerfen. Wer aber glaubt, Staaten wie Russland oder China isolieren zu können, der ist naiv. Beide Staaten haben ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat und sind Atommächte. Deswegen halte ich auch wenig von der gegenwärtigen Sanktionspolitik, die immer mehr um sich greift. Denn mit Sanktionen kann man nicht alles kriegen, das zeigt sich auch daran, dass Sanktionen gegen eine Macht wie Russland wirkungslos geblieben sind.

Noch einmal zurück zu Ihrer Amtszeit: Anders als beim Irak entschieden Sie sich, am Afghanistan-Feldzug 2001 teilzunehmen.
Die USA waren am 11. September 2001 angegriffen worden, übrigens von Terroristen, die sich teilweise auch in Deutschland aufgehalten haben. Das war ein Angriff auf uns alle.

Sie prägten den Begriff der «uneingeschränkten Solidarität» mit den USA.
Entscheidend war: Die Terroristen genossen den Schutz der afghanischen Regierung. Die Vereinten Nationen und die Nato haben geschlossen reagiert. Wir hatten zum ersten und bisher einzigen Mal den Nato-Bündnisfall ausgerufen. Für mich kam nichts anderes infrage, als Solidarität mit den USA zu zeigen, und zwar auch militärisch.

Hat sich die Intervention gelohnt?
Die Bilanz ist gemischt. Es gab im Land auch Fortschritte, wenn Sie etwa daran denken, dass Millionen Jungen und vor allem Mädchen wieder zur Schule gehen konnten. Aber klar ist: Die Taliban gewinnen heute wieder an Macht. Was auch mit dem übereilten und unkoordinierten Abzug der Amerikaner zu tun hat. Und Deutschland kann nichts anderes machen als zu sagen: Jetzt gehen wir ebenfalls raus. Denn Deutschland alleine kann Afghanistan nicht stabilisieren.

Da hat die Schweiz weitaus friedlichere Probleme. Hier wird um das Verhältnis zu Europa gestritten.
Zunächst: Das war eine souveräne Entscheidung der Schweiz, von aussen nicht zu beeinflussen. Mich hat aber verwundert, dass der Bundesrat den Rahmenvertrag mit der EU zu Fall gebracht hat. Denn der hätte für die Schweiz wenigstens die Möglichkeit beinhaltet, in Fragen, die die Schweiz betreffen, mitreden zu können, ohne Mitglied zu sein. Insofern ist das eine verpasste Chance. Die jetzige Situation ist die schlechteste aller denkbaren Lösungen.

Kritiker warnten vor einem Souveränitätsverlust. Sehen Sie eine Chance für neue Verhandlungen?
Ich würde das sehr begrüssen. Interessant ist ja: Würde die Schweiz heute entscheiden, der EU beitreten zu wollen, wäre sie morgen Mitglied. Denn alle Kriterien einer Mitgliedschaft erfüllt sie bereits.

Im Gegensatz zu gewissen EU-Ländern im Osten …
Sowohl Polen als auch Ungarn verstossen gegen elementare Werte der EU. In Polen dämmert es lang- sam, dass man sich nicht einerseits von der EU finanzieren lassen und andererseits rechtsstaatliche Gesichtspunkte vernachlässigen kann. Das ist in Polen und in Ungarn insbesondere bei der Justiz der Fall. Ich sage: Eigentlich müsste die EU-Kommission entscheiden, die finanziellen Fragen als Hebel zu benutzen.

Gerhard Schröder ist sehr gefragt – der Altkanzler muss zum nächsten Termin. Im Oberengadin umgarnt ihn der Jetset. An der Bundesfeier der Gemeinde wird er ins Publikum schauen und sagen: «In St. Moritz sitzen all diejenigen, die ich als Juso-Vorsitzender mit einer Revolution verhindern wollte.»

Politisches Urgestein

Gerhard Schröder (77) wuchs vaterlos in Westdeutschland auf und studierte in Göttingen Rechtswissenschaften. Der Sozialdemokrat war von 1990 bis 1998 Ministerpräsident des Bundeslands Niedersachsen. Von 1998 bis 2005 war er als Nachfolger Helmut Kohls der siebte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er arbeitet als Anwalt, Lobbyist und Berater, auch für den Ringier-Verlag, der den SonntagsBlick herausgibt. Schröder ist in fünfter Ehe mit der südkoreanischen Dolmetscherin Soyeon Schröder-Kim verheiratet. Das Paar lebt in Hannover (D), Berlin und Seoul.

Gerhard Schröder (77) wuchs vaterlos in Westdeutschland auf und studierte in Göttingen Rechtswissenschaften. Der Sozialdemokrat war von 1990 bis 1998 Ministerpräsident des Bundeslands Niedersachsen. Von 1998 bis 2005 war er als Nachfolger Helmut Kohls der siebte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er arbeitet als Anwalt, Lobbyist und Berater, auch für den Ringier-Verlag, der den SonntagsBlick herausgibt. Schröder ist in fünfter Ehe mit der südkoreanischen Dolmetscherin Soyeon Schröder-Kim verheiratet. Das Paar lebt in Hannover (D), Berlin und Seoul.

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