Alt SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer zum Fall Roth
«Frauen werden anders und härter kritisiert»

Die Lage in der Aargauer Kantonsregierung ist dramatisch. Schuld daran: Eine Frau – schon wieder! Kein Zufall sagen nun andere Politikerinnen. Frauen werden härter kritisiert als Männer.
Publiziert: 24.03.2019 um 12:45 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2019 um 07:15 Uhr
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Der SVP-Hardlinerin Franziska Roth wird schlechter Kommunikationsstil vorgeworfen.
Foto: KEYSTONE/Walter Bieri
Aline Wüst
Aline WüstReporterin SonntagsBlick

Wann immer eine Frau in der Aargauer Kantonsregierung sitzt, ist Feuer im Dach. Vorgekommen ist das zwar noch nicht so oft – exakt drei Frauen wurden bisher in dieses Amt gewählt. Dramatisch war es aber stets: Die erste wurde abgewählt. Die zweite extrem kritisiert. Die aktuelle gilt als unfähig.

Hier ist die Rede von Franziska Roth (54), einer SVP-Hardlinerin, 2016 trotz fehlender Politerfahrung offiziell von ihrer Partei nominert.

Dass die ehemalige Präsidentin des Bezirksgerichts Brugg in den ersten beiden Jahren ihrer Amtszeit nicht brillierte, ist unbestritten. Dass es in ihrem Departement zu mehreren Abgängen gekommen ist, ebenfalls. Zudem wird Roth ein schlechter Kommunikationsstil vorgeworfen.

Unfähiger als 111 Männer

Solch harte Kritik gab es bisher noch an keinem Mitglied des Regierungsrates. Ist Roth also tatsächlich so viel unfähiger als alle 111 Männer, die dieses Amt vor ihr bekleideten?

Vielleicht sollte man das Aargauer Debakel aus einem etwas anderem Blickwinkel betrachten. Etwa aus dem eines Gleichstellungsbüros. Ein solches allerdings sucht man im Aargau vergebens. Die Bürgerlichen haben es 2018 abgeschafft. Helena Trachsel, Leiterin der Zürcher Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann sagt: «Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden härter kritisiert, bekommen weniger Unterstützung nach einem Fehltritt und werden schneller fallen gelassen als Männer.»

Fallengelassen wurde Roth bereits. Auch von ihrer Partei. Ausschlaggebend war eine überparteiliche Fraktionserklärung, in der ihr mangelnde fachliche Kompetenz und mangelnder Respekt vor dem Parlament vorgeworfen wurde. Die Aargauer SVP stellte sie daraufhin vor die Wahl: Entweder tritt sie ab oder sie bekommt die Probleme bis im Sommer in den Griff.

Thomas Burgherr (56), Nationalrat und kantonaler SVP-Parteipräsident, sagt nur ein Wort zur Frage, ob Roth heftiger angegangen wird, weil sie eine Frau ist: «Nein!»

«Frauen werden anders und härter kritisiert»

Die ehemalige Zürcher SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer (65) sieht das anders. «Frauen werden anders und härter kritisiert», sagt sie. Was Roth nun vorgeworfen wird, sei nicht belegbar, beispielsweise eine hohe Fluktuation im ihrem Departement. Auch Fuhrer wurde dies einst vorgehalten – dagegen keinem einzigen männlichen Regierungsrat.

Im Falle Fuhrer wurde die Geschäftsprüfungskommission aktiv. Herausgekommen ist: Fuhrer lag mit der Anzahl Personalwechsel genau im Mittelfeld. Es gab drei Kollegen im Regierungsrat mit höherer und drei mit tieferer Fluktuation.

Dass in der Schlacht um Franziska Roth der Faktor Frau eine Rolle spielt, bestreiten viele Aargauer Politiker. BDP-Grossrätin Maya Bally (57), die 2016 ebenfalls für das Amt kandidiert hatte, sagt sogar: «Ein Mann wäre schon viel früher und härter angegriffen worden.» Andere Grossräte meinen, dass die Kritik an Roth doch gerade auch von Seiten der Frauen komme.

Für Helena Trachsel vom Zürcher Gleichstellungsbüro ist das keine schlüssige Argumentation. «Eine Frau wird anders beurteilt als ein Mann, auch von Frauen.» Denn sie seien auf die gleiche Weise sozialisiert worden wie Männer. Die Art zu führen ist geprägt durch die Jahrtausende alte Vorbildrolle der Männer, insbesondere bei einem Exekutivamt. Frauen kommen in eine Welt, die seit der Entstehung des Bundesstaates männlich ist. «Das alles spielt mit Sicherheit eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Franziska Roth», so Trachsel. Sie verweist auf einen anderen Regierungsrat, der aktuell in der Kritik steht: den Genfer Pierre Maudet. Im Gegensatz zu Roth ermittelt in seinem Fall die Staatsanwaltschaft. Im Amt ist Maudet trotzdem noch. Die Genfer FDP hat ihm sogar ihr Vertrauen ausgesprochen.

Meinung geändert

Roths politische Gegnerin, die Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne Feri (53) sieht das ähnlich. Auch sie unterlag Roth damals bei der Wahl, auch sie geizt nicht mit inhaltlicher Kritik an ihr. Trotzdem sagt Feri: «Vermutlich würde ein Mann unter gleichen Umständen nicht so grob angegangen.»

Mit Genderdiskussionen nichts am Hut hatte bisher FDP-Grossrätin Renate Gautschy (64). Sie sagt: «30 Jahre lange habe ich behauptet, dass es in öffentlichen Ämter keinen Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt.» In den letzten Monaten hat sie ihre Meinung geändert. Gautschy: «Frauen werden sehr wohl anders beurteilt und haben es schwer in guten Positionen.» Darauf kam sie, als sie den Wirbel um Roth analysierte. Dabei fielen ihr die gleichen Muster auch bei den zwei bisherigen Aargauer Regierungsrätinnen auf. Nun ist Gautschy überzeugt: «Frauen werden härter kritisiert.» Und zwar weil sie anders führen und denken als Männer. Dabei sei genau dies eine Bereicherung. «Ich frage mich, wieso das im 21. Jahrhundert immer noch so ist.»

Ob es an den verlässlicheren und stärkeren Seilschaften der Männer liegt? Oder daran, dass Frauen grundsätzlicher weniger solidarisch sind mit anderen Frauen? Mit hinein spiele in jedem Fall, so Gautschy, dass Frauen zu hohe Ansprüche an sich stellen. «Sie glauben, alles selber machen zu müssen.» Männer seien da viel grosszügiger, in allen Bereichen des Lebens. Sie sagten schon seit jeher: Kochen und Haushalt kann ich nicht!

Frauenbewegung wird stets aufs Neue zurückgeworfen

Für Gleichstellungsexpertin Helena Trachsel sind die Vorgänge im Aargau mit ein Grund, dass die Frauenbewegung stets aufs Neue zurückgeworfen wird. Am Ende trete dann doch wieder ein Mann in die Fusstapfen der Frau. «Ganz nach dem Motto: Wir haben ihr eine Chance gegeben. Die hat sie verpasst. Nun kommt ein Mann, der weiss, wie man es macht.»

Franziska Roth sagt zu all dem nur: «Ich habe nichts angestellt, ich bleibe im Amt.» Eine externe Untersuchung wird nun zeigen, wie schlimm es wirklich um ihr Departement steht.

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